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Kommentar: Fünf Forderungen für gute Jugendschutz-Filter

Eine Recherche von netzpolitik.org und BR Data hat die Schwächen von JusProg gezeigt, Deutschlands wichtigstem Jugendschutz-Filter. Richtig eingesetzt sind solche Filter aber gut und wichtig. Ein Kommentar.

Illustration im Bauhaus-Stil generiert mit DALL-E-3 zeigt eine Mutter mit Kind und Smartphone
Filter können Eltern unterstützen (Symbolbild) – Public Domain DALL-E-3 („mother with child and smartphone, bauhaus style reduced minimalist geometric shape“)

Wie kann man Kinder im Internet schützen und dabei möglichst wenige Grundrechte einschränken? Eine der besten Antworten darauf sind Jugendschutz-Filter. Eltern können sie direkt auf den Geräten ihrer Kinder installieren. Das ist deutlich weniger einschränkend als Ausweiskontrollen und Gesichtsscans, Netzsperren oder Sendezeiten im Internet. All diese Mittel liegen längst im Werkzeugkasten der Behörden bereit, und sie würden alle Nutzer*innen einschränken. Erwachsene und Kinder. Zum Glück gibt es also mit Jugendschutz-Filtern eine Alternative.

Doch auch bei solchen Filtern kann einiges schiefgehen. Unsere Recherche-Kooperation mit BR Data hat gezeigt: Deutschlands einziger, offiziell anerkannter Jugendschutz-Filter für Websites, JusProg, blockierte versehentlich Dutzende Hilfsangebote. Etwa zu Verhütung, Coming-out oder Suizid-Beratung. Mehr noch: Inzwischen müssen sich auch Erwachsene den Jugendschutz-Filter gefallen lassen, zum Beispiel in mehr als 44.000 staatlich finanzierten Hotspots in Bayern.

Hier kommen fünf Forderungen, damit Jugendschutz-Filter nicht bloß eine gute Idee sind, sondern auch eine gute Sache.

1. Jugendschutz-Filter gehören allein auf die Geräte von Kindern

Es ist die reine Bevormundung, wenn Erwachsene nur die Kinder-Version des Internets vorgesetzt bekommen. Auf den mehr als 44.000 kostenlosen Hotspots des BayernWLANs ist der JusProg-Filter aktiv. Seiten, die der Filter als „ab 18“ einstuft, lassen sich damit nicht ohne Weiteres öffnen. Jugendschutz-Filter für Erwachsene gibt es etwa auch an vielen anderen Orten, etwa im WLAN der Berliner BVG.

Das ist in doppelter Hinsicht übergriffig. Erwachsenen werden dadurch legale Seiten vorenthalten, die sie selbstverständlich sehen dürfen. Und den Betreiber*innen dieser Seiten wird ein legitimes Publikum verwehrt. Nun könnte man einwenden: Wer eine Seite im gefilterten WLAN nicht öffnen kann, der soll das eben zuhause tun oder mobile Daten nutzen. Oder lernen, wie man den Filter technisch umgeht, etwa per VPN. Doch das führt den Gedanken hinter kostenlosen Hotspots ad absurdum. Die Hotspots sollen ja gerade auch jenen Menschen einfachen Zugang zum Internet geben, die kaum Alternativen haben oder sich technisch weniger gut auskennen.

2. Allein Eltern sollten entscheiden, ob sie Filter installieren

Es ist noch nicht ausgehandelt, wer alles Kinder im Internet beschützen muss. Manche finden: Möglichst alle Akteur*innen rund ums Internet sollen in die Pflicht genommen werden. Also nicht nur die Uploader*innen von Inhalten und die Betreiber*innen von Websites, sondern auch die Anbieter*innen von Hosting-Diensten und von Internet-Anschlüssen, ja sogar die von Betriebssystemen.

Ich will hier niemanden auf falsche Gedanken bringen – aber wie kann es sein, dass Kinder ohne Alterskontrolle ein Ladekabel für elektrische Geräte nutzen dürfen, wenn sie ihnen potenziell schaden können? Sollte der Strom nicht erst nach einer Alterskontrolle fließen?

Um ganz sicherzugehen: Das war Ironie. Liebe Rundfunkkommission der Länder, bitte keinen Kinderschutz auf Ebene von Ladekabeln einführen!!

Denn diese inflationäre Ausweitung von Aufsichtspflichten halte für falsch und gefährlich. Dahinter stecken gleich mehrere verzerrte Annahmen über die Welt. Dass Medien vor allem gefährlich seien; dass Menschen schwach und unselbstständig seien; dass Technologie bessere Entscheidungen treffen könne als der Mensch. Mein Weltbild ist optimistischer. Ich finde, es gibt Entscheidungen, die Menschen am besten selbst treffen können – und nicht automatische Technologien, die automatische Fehler machen. Vielmehr sollte man Erwachsene und Kinder für ihren eigenen Umgang mit Medien ermächtigen.

Ich möchte das mit einem Vergleich verdeutlichen: Kinder stolpern gelegentlich über ihre Schnürsenkel und tun sich weh. Sie können sich dabei die Knie blutig schlagen oder gar die Nase brechen. Deshalb ist es wichtig, dass sie sich ihre Schuhe ordentlich binden. Niemals würden wir aber auf die Idee gekommen, eine Pflicht für Hersteller*innen und Verkäufer*innen von Kinderschuhen einzuführen. Eine Schnürsenkel-Kontrolle. Technologische Mittel, die sicherstellen, dass ein Schuh lautstark Alarm schlägt, sobald er ohne ordentlich geschlossene Schnürsenkel bewegt wird.

Ich habe die Sorge, dass ich damit schon wieder jemanden auf falsche Ideen bringe. Bloß keine Schnürsenkel-Kontrolle einführen! Fürs Schuhebinden sind nur die Menschen zuständig, die auf Kinder aufpassen. Mit dem Ziel, dass die Kinder das bald selbst hinkriegen. Und genauso sollte es bei Jugendschutz-Filtern sein. Es ist wichtig, dass man es Eltern so einfach wie möglich macht, Jugendschutz-Systeme für ihre Kinder einzurichten. Aber die Installation auf dem Gerät eines Kindes, das sollte man ihnen allein überlassen.

Es ist ja gerade der Geniestreich von Jugendschutz-Programmen wie JusProg, dass Eltern sie gezielt dort installieren können, wo ihre Schützlinge ins Internet gehen. So steht das auch kristallklar auf der Website von JusProg: „Ganz wichtig ist: Die Entscheidung über den Einsatz des JusProg-Jugendschutzprogrammes liegt allein in den Händen der Eltern“.

Dieses Prinzip wurde aber offenbar über Bord geworfen. Spätestens seit JusProg großflächig im BayernWLAN eingesetzt wird. Also bei den mehr als 44.000 staatlich finanzierten Hotspots, die auch Millionen Erwachsene benutzen. Geld fließt dafür an Vodafone, den Betreiber der Hotspots. Und zwischen Vodafone und JusProg gibt es eine weitere Verbindung: Das Unternehmen sitzt im Vorstand des Vereins JusProg, und Vodafone hat den Einsatz des Filters auf unsere Anfrage hin vehement als alternativlos verteidigt.

3. Jugendschutz-Filter müssen immer anzeigen, was sie tun

Schlimm genug, wenn Jugendschutz-Filter Erwachsene bevormunden oder versehentlich unbedenkliche Inhalte filtern. Noch schlimmer ist es, wenn sie das heimlich tun.

JusProg macht hier einen ganz guten Job, wie unsere Recherche gezeigt hat. In der Android-Version hat der Filter genau erklärt, dass er eine Website gesperrt hat, weil sie auf der Filterliste steht. Und er hat erklärt, dass Kinder ihre Eltern bitten können, die Seite für sie freizuschalten. Auch im BayernWLAN erschien eine Infoseite, inklusive Button, um die Sperre der Seite prüfen zu lassen.

Selbstverständlich ist so etwas nicht. Im vergangenen Herbst haben wir aufgedeckt, wie die „SafeSearch“-Funktion der Google-Suche versehentlich journalistische Artikel ausblendet. Teilweise hat Google dabei nicht einmal verraten, dass gerade ein Filter aktiv ist. In mindestens einem Fall war das besonders brisant. Als wir – aufgrund des Filters – keine Suchergebnisse sahen, stand dort: „Achte darauf, dass alle Wörter richtig geschrieben sind“. Dabei hatten wir alles „richtig geschrieben“. In Wahrheit hatte Google die Suchergebnisse zensiert.

So etwas darf nicht passieren. Wenn ein Filter schon die Informationsfreiheit von Menschen beschneidet, dann muss er das mindestens transparent tun.

4. Jugendschutz-Filter sollten der Öffentlichkeit gehören

JusProg ist kostenlos, hinter dem Programm steht ein gemeinnütziger Verein. Es geht bei JusProg also nicht um Profit, und das ist grandios. Werkzeuge für den Jugendmedienschutz sollten als Teil der Daseinsvorsorge begriffen werden, das heißt: Sie sind für so viele Menschen grundlegend wichtig, dass sie möglichst einfach und niedrigschwellig zugänglich sein sollten.

In einer idealen Welt sind Programme wie JusProg nicht nur kostenlos, sondern auch offen. Das heißt: Alle, die wollen, sollten sie studieren, prüfen und verbessern können. Das ist bei JusProg nicht der Fall.

Es gibt dieses Meme, das heißt „Quelle: Vertrau mir, Bruder!“. Wenn zum Beispiel jemand in einem YouTube-Video behauptet, ein minutiös überwachter Supermarkt mit Hunderten Kameras und Sensoren sei kein Grund zur Sorge in puncto Datenschutz, dann könnte man diesen Satz in die Kommentare schreiben: „Quelle: Vertrau mir, Bruder!“ Das würde ausdrücken: Ohne Belege werde ich dir gar nichts glauben.

Nach dem Prinzip „Quelle: Vertrau mir, Bruder!“ arbeitet auch Deutschlands wichtigstes Jugendschutz-Programm JusProg. Die Software dahinter ist nicht quelloffen. Unabhängige Entwickler*innen oder auch Forscher*innen haben insofern keinen Zugang. So etwas wäre aber wichtig, um den Filter mit fundiertem Wissen empfehlen zu können. Selbst in unserer Recherche haben wir nur ein Mindestmaß an Fehlern sichtbar gemacht; es ging um versehentlich als „ab 18“ gesperrte, sensible Info-Angebote. Nicht untersucht haben wir etwa, wie gut oder schlecht die Filter-Leistung in verschiedenen Altersgruppen mit unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen ist.

Hinter den Kulissen von JusProg ist ein automatisches System am Werk, wie wir durch unsere jüngste Recherche gelernt haben. Es verpasst Websites aufgrund von Stichworten Alterseinstufungen. Es gibt also Wörter, die eine Website als harmlos oder als bedenklich erscheinen lassen. Die Software rechnet das aus und trifft eine Entscheidung. Aber die Liste und die Gewichtung dieser Stichworte sind geheim. JusProg-Vorsitzender Stefan Schellenberg bezeichnete sie uns gegenüber als „goldenes Besteck, das wir ganz bestimmt nicht veröffentlichen“.

JusProg beschäftigt auch Angestellte. Sie überprüfen die maschinellen Entscheidungen. Wie viele Menschen das sind, das möchte uns der Verein – trotz wiederholter Nachfrage – nicht verraten. „Es ist bei uns nicht üblich, öffentlich über Mitarbeiter:innen zu sprechen“, schrieb uns Schellenberg. Wohlgemerkt: Wir haben nicht gefragt, welche Allergien die Mitarbeiter*innen haben. Bloß, wie viele es sind.

Wie ein Geheimnis hütet JusProg auch die Rating-Regeln, ein mehr als 80-seitiges PDF, das die Prüfer*innen als Grundlage verwenden. Schellenberg nennt es „Teil unseres Tafelsilbers.“ Der Verein hat freilich das Recht, solche Dinge für sich zu behalten. Es ist nur misslich, dass ausgerechnet Deutschlands einziges offiziell anerkanntes Jugendschutz-Programm eine solche Geheimniskrämerei betreibt. Eine transparente, quelloffene Alternative gibt es nicht.

Dabei könnte man so viel Gutes damit tun. Schellenberg hat die Interna von JusProg mit Gold und Silber verglichen. Das sind materielle Güter. JusProg aber ist eine Software. Im Unterschied zu Gold und Silber kann man sie beliebig oft kopieren. Es ist ein Schatz, der nicht weniger wird, wenn man ihn teilt.

Ich fände es toll, wenn engagierte Eltern mit Programmierkenntnissen gemeinsam die Entwicklung eines offenen Jugendschutz-Filters vorantreiben könnten. Für sich selbst und für alle anderen Interessierten. Das könnte auch die Chancen erhöhen, dass jemand Versionen für bislang nicht unterstützte Betriebssysteme erstellt.

5. Man darf Jugendschutz-Filter nicht als Ersatz für menschliche Fürsorge verstehen

Debatten zum Jugendmedienschutz kreisen ständig um Technologie. Um Filter, Sperren, Kontrollen und Strafen. Ich halte das für eine kaltherzige Erwachsenenperspektive. Mit den Bedürfnissen von Kindern hat das enttäuschend wenig zu tun. Ich wünsche mir eine Debatte, in der all das weniger wichtig ist.

Jugendschutz-Filter sind ein möglicher Baustein, um Erwachsene bei der Erziehung zu unterstützen. Mehr nicht. Selbst wenn sie maximal gut gestaltet sind, am Ende spielen sie nur eine Nebenrolle.

Es gibt keine Technologie, die Kinder vor Gefahren durch Medien bewahren kann. Zum Beispiel können Jugendschutz-Filter schon aus technischen Gründen keine Inhalte aus Messenger-Apps oder sozialen Medien prüfen. Und erst recht nicht die Inhalte, die ein irgendein fremdes Kind auf dem Schulhof herumzeigt.

Auch die anderen technischen Mittel aus dem Jugendmedienschutz sind nur begrenzt effektiv, ob Ausweiskontrollen, Gesichtsscans, Netzsperren oder Sendezeiten im Internet. Man kann das Internet damit zukleistern, bis einem schwindelig wird. Letztlich werden Kinder trotzdem ihren Weg zu Pornos oder Gewaltvideos finden.

Im Gespräch mit Medienexpert*innen höre ich eines immer wieder: Der beste Jugendmedienschutz besteht darin, Kinder zu befähigen, selbst gut mit Medien umzugehen. Das nennt sich Medienkompetenz. So können sie Stück für Stück vermehrt ihre eigenen Entscheidungen treffen. Dafür brauchen Kinder fürsorgliche Vertrauenspersonen, die sich Zeit für sie und ihre Anliegen nehmen.

Ich wünsche mir eine Welt, in der Kinder und Eltern nicht ständig Angst vor den Gefahren im Internet haben. Sondern Lust, seine schönen und spannenden Seiten zu entdecken, und Mut, sich Hilfe zu holen, wenn sie etwas überfordert. Und dann ist es auch halb so wild, wenn sie auf eine merkwürdige Website stoßen.


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