Seit rund einem Jahr ist die Streamerin Shurjoka im Internet einer Welle aus Beleidigungen und Drohungen ausgesetzt. Ein Netzwerk aus männlichen YouTubern und deren Communitys haben sie ins Visier genommen. Es geht um geschürten Hass, um die Wahrung von Privilegien – und um Geld.
„Hogwarts Legacy“ war das meistverkaufte Computerspiel im Jahr 2023 – und vermutlich eines der umstrittensten. Der Grund: Es dockt an die magische Welt der Kinderbuchreihe „Harry Potter“ der britischen Autorin Joanne K. Rowling an. Und aus Sicht ihrer Kritiker*innen hat sich Rowling wiederholt transfeindlich geäußert.
Auch auf YouTube hat das Spiel heftige Debatten ausgelöst, die mitunter äußerst scharf, hasserfüllt und frauenfeindlich geführt werden. Vor allem die Streamerin Shurjoka (bürgerlich Pia Scholz) geriet dabei ins Visier eines rechten Netzwerks aus männlichen YouTubern. Deren reaktionäres Weltbild sowie ihre überaus aggressiven Kampagnen erinnern an die Gamergate-Bewegung, die im Jahr 2014 begann.
Wie Shurjoka ins Visier genommen wurde
Shurjoka hatte Anfang vergangenen Jahres in einem YouTube-Video dazu aufgerufen, das Spiel „Hogwarts Legacy“ wegen der aus ihrer Sicht transfeindlichen Aussagen Rowlings zu boykottieren. Damit zog sie erstmals größere Aufmerksamkeit rechter YouTuber auf sich. Auch in anderen sozialen Netzwerken kam es zu ersten Hasskampagnen gegen die Streamerin.
Die Kritik nahm im Mai zu, als Shurjoka mit dem Deutschen Computerspielpreis 2023 ausgezeichnet wurde. Der Preis würdigt Menschen in der deutschen Computerspielszene, „die sich mit besonderen Leistungen hervorgetan haben“. Das „kann eine spielerische Leistung, aber auch ein Engagement für das Medium Games, die Community oder die Gesellschaft insgesamt sein“. Die Auszeichnung stieß auf Unmut bei Streamer-Kollegen und deren Communitys. Sie kritisieren, dass Shurjoka über zu wenige Erfahrungen als Gamerin verfüge, um einen solchen Preis zu erhalten.
GamerGate 1.0
Das Vorgehen gegen Shurjoka erinnert an die sogenannte GamerGate-Kontroverse aus dem Jahr 2014. Damals lief über Wochen eine Hetzkampagne im Netz. Ziel des Hasses waren Frauen, die sexistische Darstellungen in Videospielen anprangerten. Sie wurden in sozialen Medien beleidigt und erhielten Morddrohungen.
Die Anhänger von Gamergate behaupteten, sie würden für Transparenz und Ethik in der Spielejournalismus-Branche eintreten und bestimmte Spielejournalist*innen seien zu eng mit Spieleentwickler*innen verbunden. Auf der anderen Seite nahmen viele Gamergate als eine Bewegung wahr, die Frauenfeindlichkeit, Sexismus und Belästigung in der Gaming-Community förderte. Tatsächlich geriet eine Gruppe von Frauen in der Spieleindustrie zum Ziel von massiven Online-Angriffen und Bedrohungen. Dies führte zu einer breiten Diskussion über die Rolle von Frauen im Gaming sowie über die Notwendigkeit, die Community inklusiver und sicherer zu gestalten.
Dogpiling, Flaming, Doxing und die Täter-Opfer-Umkehr
Die Gamergate-Befürworter*innen organisierten sich maßgeblich über Plattformen wie 4chan und später 8chan. Sie wenden seit Jahren ähnliche Methoden an, wie etwa das sogenannte Dogpiling, bei dem viele Personen gleichzeitig ein Opfer gezielt belästigen und bedrängen. Oft beziehen Anführer*innen dabei eine breitere Community ein, um das Opfer mit Fragen zu fluten.
Das Opfer soll so pausenlos mit kleinen Attacken überzogen und letztlich mundtot gemacht werden. Die Gruppe der Belästigenden versucht auf diese Weise, im öffentlichen Diskurs ihre Sicht auf die Dinge durchzusetzen. Auch Flaming, Doxing und andere Formen der Online-Belästigung setzen die attackierenden Gruppen gezielt ein.
Darüber hinaus kommt die Methode der Täter-Opfer-Umkehr zum Einsatz. Im Englischen wird dies als DARVO bezeichnet, was für „deny, attack, and reverse victim and offender“ steht, zu Deutsch etwa: leugnen, angreifen und das Täter-Opfer-Verhältnis umkehren. Konkret nutzen die Täter*innen dabei jeden Widerspruch des Opfers, um jedwede Schuld von sich zu weisen und sich selbst in die Opferrolle zu bringen.
Die aggressiven Methoden werden in den allermeisten Fällen von Männern verwendet. Auch GamerGate lässt sich daher als eine Form des Kulturkampfes werten, bei dem Männer gezielt Antifeminismus dafür nutzen, um ihre Vorherrschaft in sozialen Netzwerken oder in der Spieler*innenszene zu verteidigen.
„Das ist kein Hass, das ist Kritik“
Auf ähnliche Weise wie bei GamerGate im Jahr 2014 haben sich männliche YouTube-Nutzer im vergangenen Jahr zusammengeschlossen. Auch hier kommen sowohl Dogpiling, Flaming, Doxing als auch die Täter-Opfer-Umkehr zum Einsatz. Gegenüber netzpolitik.org schreibt ihre anwaltliche Vertretung, dass Shurjoka das Vorgehen der Streamer als „bösartige Kampagne mit massiven Persönlichkeitsrechtsverletzungen“ bewerte, die aus „sinnfreier Besessenheit“ und „finanziellen Interessen“ betrieben werde.
Die YouTuber vertreten dabei offensiv die Meinung, dass Shurjoka zu linke und „woke“ Ansichten äußere. Inzwischen finden sich mehrere hunderte Videos auf YouTube, die sich mit ihrer Person beschäftigen, viele von ihnen wurden hundertausendfach geklickt.
Ein Protagonist der Bewegung ist der deutsche YouTuber KuchenTV, der mit bürgerlichem Namen Tim Heldt heißt. KuchenTV hat rund 1,1 Millionen Follower und hat in den vergangenen Monaten mehrere dutzend Videos veröffentlicht, in denen er die mutmaßlichen Verfehlungen Shurjokas aufzeigt. Tatkräftige Unterstützung erhielt der Streamer dabei unter anderen von MontanaBlack (bürgerlich Marcel Eris), mit rund drei Millionen Subscribern ist er einer der reichweitenstärksten Streamer Deutschlands. Aber auch kleinere Streamer beteiligen sich. Viele von ihnen fallen ebenfalls durch frauenfeindliche Äußerungen auf.
„Wenn du die Klappe hältst, bist du hübsch“
KuchenTV macht ebenfalls regelmäßig Witze über Gewalt gegen Frauen. So traf er in einem Video mit Bezug zu der Streamerin die Aussage „Deine Tränen sind mein Gleitgel“. KuchenTV bestreitet, dass dies eine frauenfeindliche Äußerung sei und er diese auch gegenüber Männern äußern würde. Gleichzeitig rechtfertigt er sich damit, dass es sich dabei um ein Zitat aus einem Deutschrap-Lied handle.
MontanaBlack wurde in der Vergangenheit ebenfalls Frauenhass vorgeworfen, etwa weil er in seinen Streams Frauen mit Hunden verglich. Mit Bezug auf Shurjoka traf er Aussagen, wie „Aber dein Lächeln ist hübsch“ oder „Wenn sie vor mir knien würde“. Er versichert auf Anfrage, „keine feindseligen Gedanken gegenüber Frauen und auch keinem anderen Menschen gegenüber“ zu haben. Auf die Frage, wie er die Auseinandersetzung bewerte, erklärte er schriftlich: „Ich empfinde keinerlei Hass oder eine persönliche Abneigung gegenüber Pia (Shurjoka), auch wenn wir vermutlich keine besten Freunde mehr werden.“
Teile der Community von KuchenTV und MontanaBlack sehen deren Videos offenkundig als Freibrief für Hasskommentare und Bedrohungen. Shurjoka war nach eigener Aussage in den vergangenen Monaten einer massiven Welle an sexueller Belästigung, Vergewaltigungskommentaren und anderen Gewaltandrohungen ausgesetzt. Sie musste ihren Wohnort wechseln, wie ihr Anwalt gegenüber netzpolitik.org erklärte. Außerdem sei ihr in Restaurants und anderen Orten nachgestellt worden. Inzwischen gehe sie mit Abmahnungen gegen einzelne Streamer und deren Videos vor.
Geld durch Hass
Die Motive der männlichen Streamer sind nicht immer klar. Aber offenkundig geht es dabei auch um Geld. KuchenTV ist sich jedenfalls bewusst, dass sich auf diese Weise viel Aufmerksamkeit erzeugen und damit auch Geld verdienen lässt.
MontanaBlack hat in einem seiner Streams ebenfalls gesagt, dass er mit seinen Videos und Livestreams zu Shurjoka „gutes Geld“ verdient. Gegenüber netzpolitik.org erklärte er auf die Frage, wie viel Geld das sei: „Darüber führe ich kein Buch. Meine Videos, beziehungsweise Reaktionen zu der ‚Shurjoka-Thematik‘ sind ein kleiner Teil meines Contents und dementsprechend auch nur ein kleiner Teil meiner Einnahmen.“
Es finden sich Kanäle auf YouTube, die seit Beginn der Kampagne ausschließlich dieses Thema behandeln oder erst mit dieser ins Leben gerufen wurden. Auch gibt es Content-Creator*innen, die Shurjoka verteidigen, darunter sind allerdings auch etliche, die Aufmerksamkeit für ihre Videos erhalten und so offenbar von dem Hass profitieren möchten.
Unterm Strich sind die größten Gewinner der ganzen Sache aber jene Firmen, die die Videoplattformen betreiben, allen voran YouTube. Aus ihrer Sicht bieten die nachgefragten Videos mutmaßlich vor allem die Möglichkeit, dort die Anzeigen ihrer Werbekunden zu platzieren. Denn Drama und Streit bringen viele Menschen auf die Plattform – und fesseln sie an die Bildschirme.
Das erklärt vermutlich auch, warum der KuchenTV überhaupt noch auf YouTube zu finden ist. Auf anderen Plattformen wie etwa Twitch wurde er aufgrund der wiederholten Verstöße gegen die AGB gesperrt. Grund sind seine Streams zu Shurjoka. Auch auf X (vormals Twitter) war er vorübergehend gesperrt.
Shurjoka ist hingegen offenbar auch ökonomisch gesehen die große Verliererin. Ende vergangenen Jahres nahm sie nach eigenen Angaben aufgrund der Anfeindungen und des Hasses vorübergehend eine Auszeit vom Streamen, seit dem 15. Januar streamt sie wieder regelmäßig – allerdings vor allem auf Twitch. Auf den meisten Social-Media-Plattformen ist sie nur noch aktiv, wenn sie sich zu politischen Themen äußert. Infolgedessen sind die Aufrufzahlen von Shurjokas YouTube-Videos deutlich gesunken. Damit brechen ihr auch Einnahmen weg.
Wie lässt sich ein weiteres GamerGate vermeiden?
Wie lässt sich ein weiteres GamerGate vermeiden? Welche Lehren lassen sich aus den bisherigen Fällen ziehen? Und wie kann man die Opfer am besten unterstützen?
Es würde helfen, wenn die Plattformen bei derartigen Kampagnen ihre eigenen Richtlinien strenger umsetzen würden. Die YouTube-Richtlinien verbieten explizit Hassrede, Belästigung und Cybermobbing. Es ist zwar nicht immer ohne weiteres festzustellen, wann es beispielsweise zu Beleidigungen kommt, insbesondere wenn diese nur indirekt geäußert wird. Umso entschiedener aber sollte YouTube, sobald Streamer klar gegen die Richtlinien verstoßen, diesen die Möglichkeit entziehen, mit ihren Videos Geld zu verdienen und sie in einem weiteren Schritt von der Plattform verbannen. Dann würde sich Hass zumindest monetär nicht länger auszahlen.
Sophie Müller ist ein Pseudonym. Die Autorin ist Twitch-Streamerin und beschäftigt sich mit Computerspielen. Der tatsächliche Name der Autorin ist der Redaktion bekannt.
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