Seine Diskussionsbeiträge fanden im politischen Berlin kein Gehör: Der außerhalb der Ampel weithin angesehene Bundesdatenschutzbeauftragte wird keine zweite Amtszeit bekommen. Ein Kommentar.
Schon bevor seine reguläre Amtszeit am 7. Januar endete, war klar: Der aktuell noch amtierende Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber wird keine zweite Runde laufen. Eine Wiederwahl hat die SPD-Fraktion ihrem Parteigenossen nicht ermöglicht.
Kelber ist seit 2019 Behördenchef, er und seine Leute füllen wichtige Kontrollfunktionen aus und sind auch der Anlaufpunkt für die anderen europäischen Datenschützer. Sie sind in Deutschland zugleich eine vernehmbare Stimme der datenpolitischen Vernunft, die öffentlich für den Datenschutz und auch die Informationsfreiheit spricht, die Expertise in politische Prozesse einbringt und die nicht selten einfach nur auf das gern ignorierte geltende Recht pocht und es erläutert.
Natürlich nervt das die Regierenden ab und an, aber als allzu anstrengend gilt Kelber nicht. Als früherer Profi-Politiker wusste er recht gut, bei welchen politischen Schmerzpunkten er besser nur leise poltert, auch mal strategisch verschleppt oder aber schweigt. Er saß für die SPD fast zwei Jahrzehnte im Bundestag. Allzu radikale Forderungen kamen ihm nicht über die Lippen.
Mussten sie vielleicht auch gar nicht: Allein das Pochen auf die Durchsetzung geltenden Rechts und die Ermahnung zur Einhaltung höchstrichterlicher Vorgaben gilt so mancher Innenministerin und manchem Gesundheitspolitiker offenbar schon als Zumutung. Das Bundesinnenministerium entblödete sich in Fragen der Informationsfreiheit nicht einmal, Kelber zu verklagen.
Techniker an der Spitze
Dass Kelber als Informatiker auch technisch durchblickt, hat er vielen seiner Jura- und Politkollegen voraus. Für das Datenschutzfeld ist eine starke Verrechtlichung typisch, die sich aus der Geschichte der Entstehung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung erklärt. Kelbers Haus ist entsprechend aufgestellt. Doch ein Techniker an der Spitze hat offenkundig mehr genutzt als geschadet, wenn man Kelbers Wortmeldungen zur Chatkontrolle („muss unbedingt unterbleiben“) oder generell zur Digitalisierung betrachtet, die auch technisch gut begründet sind.
Datenschutz
Wer bei uns nach Datenschutz sucht, wird fündig. Unterstütze unsere Arbeit!
Doch der außerhalb der Ampel angesehene Bundesdatenschutzbeauftragte redete oft gegen eine Wand: Auf datenschutzpolitische Debatten reagierte die Bundesregierung – und Olaf Scholz sowieso – mit viel Schweigen, ansonsten häufig mit sich widersprechenden Positionen: Justizminister Marco Buschmann (FDP) ist gegen die Vorratsdatenspeicherung, Innenministerin Nancy Faeser (SPD) möchte sie mindestens teilweise wieder einführen. Das Bild der Ampel-Regierung, die sich in nichts einig ist, war auch beim Datenschutz stimmig. Nur bei der Ökonomisierung der Gesundheitsdaten und beim E-Rezept war man sich in der Ampel weitgehend einig, dass Datenschutzfragen und IT-Risiken gemeinschaftlich kleingeredet oder ignoriert gehören.
Nach seinem Amtsantritt setzte Kelber neben der politischen Rechtsberatung in allen datenrelevanten Feldern auch ganz praktische Akzente, indem er sich von den von der Bundesregierung hofierten kommerziellen sozialen Netzwerken ablöste und auf Mastodon einließ. Schon 2020 eröffnete der Bundesdatenschutzbeauftragte die Mastodon-Instanz bund.social, wo interessierte Behörden Accounts bekommen können. Der Datenschutzbeauftragte rieb der Bundesregierung zugleich gern unter die Nase, dass es nicht mit der Datenschutzgrundverordnung vereinbar sei, wenn Bundesbehörden weiterhin Fanpages auf Facebook betreiben würden.
Seine Diskussionsbeiträge wurden auch ohne Kommerzplattformen zweifelsohne gelesen – auch im politischen Berlin. Er zeigte sich bei Mastodon als klares Gegenmodell zu seiner desaströsen Vorgängerin Andrea Voßhoff (CDU): kompetent, diskussionsfreudig, sich aktuell zielsicher positionierend, manchmal nerdig, auch humorvoll.
Postengefeilsche
Völlig zu Recht kritisierte Kelber in seinem letzten Tätigkeitsbericht (pdf), dass „der Datenschutz bei vielen Projekten erst sehr spät mitbedacht und eingebunden wird“. Insbesondere das Innenministerium dürfte sein Haus nur ungern und spät einbezogen haben. Das aber führe zu „unnötigen Verzögerungen und Verteuerungen im Größenbereich von Jahren und Millionen Euro“. Jeder, der sich in dem Bereich Datenschutz auskennt, kann dafür Beispiele nennen, die erstaunlich oft auch mit IT-Sicherheitsrisiken einhergehen.
In der Ampel aber wird die Wichtigkeit des Datenschutzes erneut dem Postengefeilsche und Ämterkarussell untergeordnet. Der erfolgreiche Amtsinhaber ist abserviert.
Kompetenz scheint kein bedeutsames Kriterium mehr zu sein, zumindest nicht für die Datenschutz-Ignoranten in der SPD-Fraktion. Falls die Ampel bei der obersten Datenschutz-Aufsichtsbehörde für die nächste fünfjährige Amtszeit nun jemanden ins Auge fassen sollte, der wegen politischen Kuhhandels versorgt werden muss, dann würde sie dem Amt enorm schaden. Die Frage könnte aber sein, ob sich überhaupt noch jemand von datenschutzpolitischem Format für die Neubesetzung des Postens findet. Denn der unrühmliche Abgang und die unangemessene Behandlung von Kelber muss ohne Zweifel jene abschrecken, die für solch ein Amt qualifiziert wären.
Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
0 Commentaires