Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

Netzneutralität: Weniger Zero Rating, mehr Datenvolumen

Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, begrüßt das EU-weite Verbot sogenannter Zero-Rating-Produkte. (Archivbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / photothek

Nach der Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ziehen nun die Regulierer nach. In den gestern veröffentlichten, überarbeiteten Leitlinien stellt das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (Gerek) klar: Zero-Rating-Angebote sind mit der Netzneutralität nicht vereinbar und somit EU-weit verboten.

Als Zero-Rating-Angebote gelten Produkte, die den Zugriff auf ausgewählte Online-Dienste vom meist knappen monatlichen Datenvolumen ausnehmen. In Deutschland sind mit StreamOn der Telekom und Vodafone Pass zwei solcher Angebote auf dem Markt. Schon zuvor hatte die deutsche Bundesnetzagentur auf das EuGH-Urteil reagiert und im April den Stopp solcher Produkte angeordnet. Sie dürfen ab dem 1. Juli nicht mehr weiter vermarktet werden, bestehende Verträge laufen im März 2023 aus.

Geschlossenes Schlupfloch

„Die neuen Netzneutralitäts-Leitlinien schließen eines der letzten Schlupflöcher, durch das europäische Netzbetreiber die Netzneutralität aushebeln konnten“, sagt die Barbara van Schewick, die an der Universität Stanford über Netzneutralität forscht. Den EU-Regeln zufolge müssen Netzbetreiber sämtlichen Datenverkehr gleich behandeln, was beim diskriminierenden Zero Rating offenkundig nicht der Fall ist.

Solche Angebote würden den Wettbewerb verzerren und die Marktmacht großer Internet-Plattformen wie Facebook oder Google zementieren, sagt van Schewick. „Dabei suchen wir doch gerade Wege, deren Macht zu reduzieren.“ Große Anbieter wie das zu Meta gehörende WhatsApp könnten es sich leisten, die technischen und organisatorischen Vorgaben von Netzbetreibern umzusetzen, kleinere Anbieter wie Signal aber nicht. „Viele bleiben dann doch lieber bei WhatsApp“, sagt van Schewick.

Zerstückeltes Internet

Die Auseinandersetzung rund um das Geschäft mit Zero Rating läuft, seit die EU die entsprechende Verordnung im Jahr 2015 verabschiedet hat. Für Verbraucherschützer:innen, Netzaktivist:innen und Expert:innen stand immer schon fest, dass sich eine derartige ökonomische Diskriminierung kaum mit der Netzneutralität vereinbaren lässt. Wohin ein in Zusatzpakete zerstückeltes Internet führen kann, zeigt etwa ein Blick in Länder wie Argentinien. Dort gibt es einen Dschungel aus ständig wechselnden Tarifen und Paketen.

Offenbar brauchte es erst ein Machtwort des EuGH, um dieser Praxis ein Ende zu bereiten: Regulierungsbehörden hatten Zero-Rating-Produkte zunächst unter Auflagen dennoch zugelassen, obwohl der Gesetzestext eine klare Sprache spricht:

Anbieter von Internetzugangsdiensten behandeln den gesamten Verkehr bei der Erbringung von Internetzugangsdiensten gleich, ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung, sowie unabhängig von Sender und Empfänger, den abgerufenen oder verbreiteten Inhalten, den genutzten oder bereitgestellten Anwendungen oder Diensten oder den verwendeten Endgeräten.

Auf diesen entscheidenden Abschnitt beziehen sich nun auch die neuen Leitlinien, die der strikten Auslegung des EuGH folgen müssen. Demnach spiele es keine Rolle, ob eine Diskriminierung technischer oder ökonomischer Natur sei, Ungleichbehandlung bleibt Ungleichbehandlung. Allerdings steht den Netzbetreibern offen, „anwendungsagnostisches“ Zero Rating einzusetzen. Dazu zählt etwa ein unlimitierter Datenverbrauch innerhalb eines bestimmten Zeitraums, zum Beispiel am Wochenende. Dabei dürfe jedoch nicht eingeschränkt werden, auf welche Dienste im Internet Nutzer:innen zugreifen können.

Weniger Zero Rating, mehr Datenvolumen

„Zero-Rating-Angebote sind ein Relikt aus einer Zeit, in der Daten knapp waren“, sagt Forscherin van Schewick. Diskriminierendes Zero-Rating habe es den Netzbetreibern erlaubt, den Wechsel zu günstigeren Flatrates mit unbegrenztem Datenvolumen herauszuzögern, die deutsche Netze längst verkraften könnten. Durch dieses künstliche Verknappung erscheint Zero Rating auf den ersten Blick attraktiv und kund:innenfreundlich. „Das ist schön, wenn ich Spotify nutze, das in StreamOn enthalten ist“, so die Expertin. „Aber wenn mein Lieblingspodcast nicht geschafft hat, bei StreamOn aufgenommen zu werden, habe ich Pech und muss auf dem Weg zur Arbeit leider doch Spotify hören.“

Schon zuvor haben Untersuchungen Hinweise darauf geliefert, dass Zero Rating die Mobilfunkpreise in die Höhe treibt. Diese Sicht teilt auch der neu bestellte Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Tatsächlich haben Telekom und Vodafone nach den Untersagungsverfügungen der Regulierungsbehörde ein neues Mobilfunk-Portfolio auf den Markt gebracht, das höhere Datenvolumina enthält. Die Einstellung der Zero-Rating-Optionen habe insgesamt eine positive Auswirkung auf den deutschen Mobilfunkmarkt gehabt, heißt es in einer Pressemitteilung der Bonner Behörde. „Auch die übrigen Mobilfunkanbieter, die kein Zero Rating angeboten haben, können nun wieder entsprechend konkurrenzfähige Angebote unterbreiten“, sagt Müller.

Doch kaum ist dieser Kampf um ein offenes und freies Netz ausgestanden, steht schon der nächste vor der Tür. Derzeit überlegt die EU-Kommission auf Anregung großer Netzbetreiber, große Inhalteanbieter wie Youtube oder Netflix für die Nutzung von Internet-Infrastruktur gesondert zur Kasse zu bitten. Das soll den Betreibern ein Zubrot verschaffen und angeblich dabei helfen, den Ausbau europäischer Breitbandnetze mitzufinanzieren. Mit einem konkreten Vorschlag der Kommission wird im Herbst gerechnet.


Hilf mit! Mit Deiner finanziellen Hilfe unterstützt Du unabhängigen Journalismus.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires