Die Regierung von Nordrhein-Westfalen hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, das der Polizei für weitere fünf Jahre den Einsatz von Staatstrojanern und elektronischen Fußfesseln erlauben soll. Bei der Einführung gab es noch massive Kritik von den Grünen, mittlerweile reden sie von einem Kompromiss.
Seit 2018 hat Nordrhein-Westfalen ein neues Polizeigesetz. Es erweiterte die Befugnisse der Polizeibehörden im Land maßgeblich. Zwei neue Regelungen des Gesetzes stellen besonders starke Eingriffe in Grundrechte dar, sie wurden deshalb vorerst bis Ende 2023 befristet und sollten evaluiert werden. Nun will die Landesregierung sie um weitere fünf Jahre verlängern.
Staatstrojaner und elektronische Fußfesseln
Bei den auslaufenden Befugnissen geht es um die Paragrafen 20c und 34c des Gesetzes. Ersterer befugt die Polizei dazu, Staatstrojaner zur Überwachung laufender verschlüsselter Kommunikation – sogenannte Quellen-TKÜ – zu verwenden. Der zweite regelt die Überwachung des Aufenthaltsorts von Personen mithilfe von elektronischen Fußfesseln.
Die damaligen Proteste gegen das Gesetz richteten sich insbesondere gegen diese beiden Punkte. Wegen der Quellen-TKÜ legte die Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage auch eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz ein.
Kein Widerstand von den Grünen
Neben dem massiven Privatsphäre-Eingriff ist einer der Kritikpunkte an der Quellen-TKÜ, dass für die verwendeten Staatstrojaner in der Regel Sicherheitslücken in IT-Geräten ausgenutzt werden, um die Software auf die Geräte schleusen zu können. Dadurch entsteht ein Interessenskonflikt: Staatliche Stellen haben eine Motivation, Sicherheitslücken offen zu halten, anstatt sich für deren Schließung einzusetzen.
Verena Schäffer, damals innenpolitische Sprecherin der Grünen, bezeichnete die staatliche Nutzung von Sicherheitslücken 2018 deshalb als „Gefahr für die Integrität und Vertraulichkeit von IT-Systemen“. Als das Gesetz verabschiedet wurde, waren die Grünen nicht an der damaligen schwarz-gelben Landesregierung beteiligt und stimmten gegen das Gesetz. Nach den Landtagswahlen 2022 änderten sich die Machtverhältnisse: Seitdem wird NRW von CDU und Grünen regiert.
Letztes Jahr sagte Schäffer gegenüber netzpolitik.org, bei der Evaluation 2023 würde sich die Möglichkeit bieten, Änderungen am Polizeigesetz auf den Weg zu bringen. Man halte an der Kritik von damals fest.
Dennoch will die schwarz-grüne Landesregierung die Befugnisse verlängern, das entsprechende Gesetz hat bereits die erste Lesung im Landtag passiert und wurde an den Innenausschuss überwiesen. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Julia Höller, bezeichnet die Verlängerung gegenüber netzpolitik.org als „Kompromiss“. Die Alternative sei „eine unbefristete Anwendung der Maßnahmen gewesen“.
CDU und Grüne einigten sich im Koalitionsvertrag letztes Jahr zumindest darauf, keine Sicherheitslücken für die Einspielung von Staatstrojanern einsetzen zu wollen. Die Frage, wie die Nutzung von Quellen-TKÜ mit diesem Grundsatz aus dem Koalitionsvertrag vereinbar sei, hat uns ein Sprecher des NRW-Innenministeriums nicht beantwortet. Ebenso, mit welchen technischen Mitteln die Maßnahmen stattfinden.
Kaum genutzt, aber „notwendig“
Eine Evaluation der beiden Maßnahmen durch das Landeskriminalamt (pdf) stellt einen Rückgang der TKÜ-Anordnungen von über 90 Prozent zwischen 2019 und 2022 fest. Insgesamt waren es in dem Zeitraum 427 TKÜ-Maßnahmen, laut einer Statistik des Bundesamtes für Justiz ging es 2020 dabei vor allem um Straftaten im Zusammenhang mit dem Betäubungsmittelgesetz.
In den TKÜ-Maßnahmen sind sowohl „klassische“ Überwachungsmaßnahmen wie Telefonüberwachung als auch Staatstrojaner eingeschlossen. Ein Sprecher des NRW-Innenministeriums schrieb auf Anfrage, dass Quellen-TKÜ in 13 dieser Fälle zum Einsatz kam. 2020 war NRW mit 14 angeordneten und 9 durchgeführten Quellen-TKÜ-Einsätzen der Spitzenreiter unter den Ländern. Er schrieb weiter, dass die TKÜ nicht nur für die Strafverfolgung, sondern auch für die Prävention von Gefahren notwendig sei. Amnesty International bewertet die Überwachung im Vorfeld eines Verbrechens jedoch als Verstoß gegen Menschenrechte und Rechtsstaatsprinzipien, da schwere Grundrechtseingriffe so ohne konkreten Tatbestand vorgenommen werden dürfen.
Das Bündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen – Grundrechte erhalten“ bemängelt in einer Stellungnahme die Methodik der Evaluation, da fast ausschließlich polizeiliche Sichtweisen darin berücksichtigt werden.
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