Ausgerechnet der Meta-Konzern will in die Welt der offenen und dezentralen sozialen Netze einsteigen. Daran entzündet sich nun ein heftiger Streit im Fediverse. Sollte man sich gegen einen gefährlichen Übernahmeversuch abschotten – oder das als Chance begreifen, um kräftig zu wachsen?
Soziale Medien und Netzwerke sind derzeit in der Hand einiger weniger zentralisierter kommerzieller Plattformen wie Facebook, Twitter oder TikTok. Das muss nicht so sein. Schon seit einigen Jahren arbeiten Menschen daran, Social Media zu dezentralisieren und in die Hände vieler zu legen. Seit der Twitter-Übernahme durch Elon Musk ist besonders die dezentrale Twitter-Alternative Mastodon in die Öffentlichkeit gerückt.
Mastodon ist freilich nur ein kleiner Teil des sogenannten Fediverse. So gilt beispielsweise Pixelfed als Alternative zu Instagram, Lemmy könnte Reddit Konkurrenz machen und Peertube der weltgrößten Video-Plattform YouTube. Sie alle können sich mit dem Protokoll ActivityPub untereinander austauschen: Jede Anwendung und jede App, die dieses Protokoll nutzt, wird zum Teil des Fediverse. Das Fediverse macht mit dem ActivityPub möglich, dass vereinfacht gesprochen, alle verschiedene Formen von sozialen Medien und Netzwerken, ob diese nun video-, foto- oder textbasiert sind, miteinander sprechen können. Dem Protokoll werden Chancen eingeräumt, das Internet und vor allem soziale Netzwerke den großen kommerziellen Plattformen zu entreißen.
Und genau darum dreht sich nun der Streit, der seit Wochen im Fediverse tobt. Denn Meta, das Unternehmen hinter Facebook, WhatsApp und Instagram, plant unter dem internen Arbeitstitel „Project 92“ oder „Threads“ einen auf Instagram basierenden Twitter-Klon. Diesen will der Konzern offenbar mittels ActivityPub ans Fediverse anschließen. Theoretisch könnten sich dann Nutzer:innen der App ins restliche Fediverse einklinken – eine riesige Anzahl neuer Nutzer:innen könnten so auf einen Schlag hinzukommen.
Unterschiedliche Ansätze und Hoffnungen
Hiergegen gibt es einen deutlich spürbaren Gegenwind aus dem Fediverse und mit dem Anti-Meta-Fedi-Pact einen Aufruf, die Instanzen von Meta zu blocken, sobald sie online gehen. Sollten sich viele Mastodon-Instanzen daran beteiligen, würde der Twitter-Klon aus Menlo Park ganz schön alleine dastehen. Meta hingegen versucht die Administrator:innen großer Instanzen zu vertraulichen Gesprächen einzuladen, um für sein Projekt und vermutlich eine Kooperation zu werben. Hierbei sollen auch NDAs, also Verschwiegenheitserklärungen, unterzeichnet worden sein, was den Prozess intransparent macht.
Die heftig und teilweise unter der Gürtellinie geführte Debatte im Fediverse zeigt aber auch eines: einen Kampf zwischen denen, die schon lange dabei sind – und denen, die neu sind und sich erhoffen, dass das Fediverse möglichst schnell zu einer kritischen Größe und inhaltlichen Relevanz anwächst. Diese Relevanz haben derzeit die großen konzerngeführten Plattformen.
Dem stellen vor allem die alten Hasen entgegen, dass das Fediverse sehr organisch und gut wachse und auch ohne den Eintritt großer Unternehmen immer mehr Möglichkeiten der Nutzung biete. Zu schnelles Wachstum könnte einerseits zu einigen großen Instanzen und Zentralisierung führen und andererseits negative gesellschaftlichen Auswirkungen haben, die mit schlechter Moderation im Stile Facebooks einhergehe. Sie verweisen dabei auf die unrühmliche Rolle von Facebook bei Desinformation und Hassrede, die beispielsweise zum Genozid in Myanmar beigetragen hat. Und natürlich darauf, dass Facebook kommerziell ist und Nutzer:innen-Daten auswerte.
Die Chance auf Mainstream
Der Eintritt größerer Player ins Fediverse, auch der angekündigte von Tumblr oder Medium, wird seit jeher unterschiedlich gesehen. Die Befürworter:innen sehen darin die Chance, das Fediverse zum Mainstream zu machen und so letztlich die großen Plattformen zu entmachten. Denn große Player haben nicht nur eine große Nutzer:innenbasis, sondern auch das Geld, mit einfach zugänglichen und leicht zu nutzenden Apps die Zugangshürden zur Technologie des Fediverse zu senken. Würden sie sich an die Spielregeln des Fediverse und strikt an das Protokoll von ActivityPub halten, könnten die Nutzer:innen dann in einem weiteren Schritt einfach mit ihren Accounts woanders hin migrieren und die großen Konzerne hätten keinen wirklichen Vorteil.
Dem widersprechen die Gegner:innen vehement. Sie lenken in der Diskussion einerseits den Blick auf die eigentlich dezentrale Infrastruktur der E-Mail, bei der jeder einen eigenen Mailserver laufen lassen kann. Das lief lange Zeit auch gut, aber die Dominanz einiger Player wie GMail hat dazu geführt, dass die Zugangshürden für kleine Mailserver immer höher wurden, weil die großen diesen ohne Prüfung immer weniger vertrauen. Wer heute einfach einen Mailserver aufmacht, dessen Mails landen gerne im Spamfilter der großen Player. Es entsteht ein Ungleichgewicht, bei der die Großen ihre Macht gegen die Kleinen ausspielen. Die eigentliche Dezentralität von Mails sei inzwischen weitgehend zur Illusion geworden.
Umarmen um es zu töten?
In der Debatte ist auch von der Strategie des „Embrace, Extend, Extinguish“ (EEE) die Rede. Hierbei geht man davon aus, dass ein großer Player zuerst den offenen Standard umarmt, im weiteren Verlauf dann neue imkompatible Features einführt und im dritten Schritt seine Markt- und Netzwerkmacht nutzt, um den offenen Standard zu vernichten. Als Beispiel wird hier die Nutzung des Messenger-Protokolls XMPP durch Google und Facebook genannt und wie die Konzerne es einfach fallen ließen – und damit XMPP schwächten.
Die EFF hat schon im letzten Jahr gewarnt, dass diese Strategie eine der großen Gefahren für das Fediverse sei. Das sieht auch Blogger Tim Chambers so, der zugleich eine Blockade aber nicht für den geeigneten Weg hält, EEE so zu bekämpfen. Es sei wichtiger, den ActivityPub-Standard und die Communities im Fediverse zu verteidigen, indem diese mehr Privatsphäre böten, keine Werbung schalteten, besser moderiert und offener seien als die kommerzielle Konkurrenz.
Michael Seemann, der viel über Plattformen geschrieben hat, nennt das Vorgehen von Meta einen „Integrationsangriff“. Seemann spricht in einem Blogbeitrag von einer Dilemma-Situation. Zum einen sei die Adaption des offenen Standards durch Meta und andere große Player eine enorme Chance, das Fediverse aus der Nische zu holen. Auf der anderen Seite bestehe die Gefahr, dass sich einer der großen, speziell Meta, das Fediverse zu eigen machen könnte. Seemann hält die Gefahr eines erfolgreichen Integrationsangriffs allerdings für gering und verweist auf die Gefahr, dass das Fediverse ohne größere Player wegen unterschiedlicher Gründe auf Dauer nicht überlebensfähig sei. Oder zumindest für immer in der nerdigen Nische bleibe.
Giftmüll oder Relevanzzuwachs?
Der bekannte Blogger John Gruber wirft denjenigen, die das Meta-Projekt blocken wollen, Kleinlichkeit vor. Damit sei die Community nicht so offen, wie sie proklamiere. Die Admins, die jetzt schon vorsorglich das Projekt 92 blocken wollten, würden die Nutzer:innen ihrer Instanz von einer großen Anzahl anderer Menschen isolieren.
Ähnlich argumentiert auch Technologie-Kolumnist Dan Gillmor, der die Entwicklung mit Sorge verfolgt, aber im präventiven Blockieren eine schwindende Relevanz für das Fediverse sieht. Der Internetaktivist und Unternehmer Tristan Louis schlägt in eine ähnliche Kerbe. Der Eintritt von Meta sei eher wie damals AOL zu bewerten, welches viele Leute ins Internet gebracht habe. Bei einem solchen Schritt würde es zwar zu Friktionen kommen, aber am Ende würde das Fediverse gestärkt aus der Entwicklung hinaus gehen.
Sean Tilley von wedistribute.org hält entgegen, dass es nicht darum gehe schnell zu wachsen, sondern länger zu bestehen als die Konzernplattformen. Das Fediverse habe schon jetzt eine lange Geschichte und das ganz ohne Werbung. Es „steht all jenen offen, die bereit sind, sich an einen Gesellschaftsvertrag zu halten, keinen schönen Wald abzuholzen, um ihn durch ein Einkaufszentrum zu ersetzen, keinen Giftmüll in unsere Flüsse zu kippen oder Einfluss auf das Ökosystem zu nehmen, das wir aufgebaut haben.“ Es geht um nichts weniger als den Einzug des Überwachungskapitalismus ins Fediverse, sagt Internetaktivist und Entwickler Jon von privacy.thenexus.today. Für den Tech-Blogger Ian Betteridge geht es gar nicht so sehr um das Protokoll ActivityPub und das ganze Fediverse, sondern um Mastodon. Das zeichne sich eben vor allem durch Föderation aus und da zählten soziale Normen mehr als der technische Standard.
Soziale Werte statt Marktdominanz
Dabei treffen grundsätzliche Interessen aufeinander. Er könne verstehen, dass dass wir davon träumen, alle unsere Freund:innen und Familienmitglieder im Fediverse zu haben, damit wir proprietäre Netze vollständig vermeiden können, schreibt der Entwickler Ploum. Doch das Fediverse suche nicht nach Marktdominanz und Wachstum, es biete einen Platz für Freiheit. Es gehe nicht darum, zu gewinnen. „Das Ziel ist, ein Werkzeug zu bleiben. Ein Werkzeug, das dazu dient, einen Ort der Freiheit für miteinander verbundene Menschen zu bieten“, so Ploum. Das sei etwas, das kein kommerzielles Unternehmen jemals bieten würde.
Ähnlich argumentiert auch Autorin und Datenschützerin Klaudia Zotzmann-Koch. Sie schreibt: „Das Fediverse ist ein Netzwerk, das auf echten sozialen Werten beruht. Es wurde nicht für Konsument:innen, sondern für gleichberechtigte Teilnehmende gestaltet. Wenn aber ein offenes und tolerantes Netzwerk intolerante Player toleriert, wird es ein intolerantes Netzwerk werden.“
Keine Einigkeit, wenig Mitbestimmung
Einigkeit darüber, wie man mit dem geplanten Vorstoß von Meta umgehen soll, herrscht jedenfalls nicht. Hunderte Instanzen haben angekündigt Meta präventiv zu blocken. Andere Admins wollen Meta nicht präventiv blocken, sondern wachsam beobachten und „mit dem Finger am Block-Button“ im Zweifel reagieren. Wieder andere wollen zuerst präventiv blocken und dann entblocken, wenn sich Metas Engagement als unproblematisch herausstellen sollte. Es gibt Ideen, Brückenkopf-Instanzen zu betreiben, die nur zum Wechsel von Meta hin ins nicht-kommerzielle Fediverse dienen sollen. Andere Instanzen werden nicht blocken oder sogar aktiv mit Meta kooperieren. Heraus kommt also vermutlich ein Flickenteppich, so divers wie das Fediverse selbst. Was auch immer passiert, sieht der Historiker Miloš Jovanović alleine die Debatte als gut an, weil im Fediverse einerseits Grenzen gezogen und ein Bewusstsein geschaffen werde, dass man jetzt aufpassen müsse.
Doch noch ein weiteres Thema ploppt dabei auf: In dieser Debatte seien die Nutzer:innen auf den einzelnen Instanzen unterrepräsentiert. Die Instanz-Admins im Fediversum spielten eine wichtige Rolle: Sie seien diejenigen, die entscheiden, ob ihre Instanz mit Meta föderiert oder eben nicht. „Jetzt ist also ein guter Zeitpunkt für Admins, ihre Position mitzuteilen, wenn sie eine haben, oder die Leute wissen zu lassen, dass sie sich noch nicht entschieden haben. Für diejenigen, die offen für Beiträge und Diskussionen sind, ist es auch ein guter Zeitpunkt, die Community einzuladen, ihre Ansichten mitzuteilen.“
Das spielt auf die Frage an, ob wir als Nutzer:innen – im Gegensatz zu den kommerziellen Plattformen, wo wir nie irgendwie mitbestimmen – demokratisch in solche Entscheidungen involviert werden oder auch nur (gutmeinenden) Instanz-Fürsten und deren Entscheidungen ausgeliefert sind.
Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
0 Commentaires