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Plattformarbeit: „Für mehr als nur eine Richtlinie kämpfen“

Tea Jarc mit Wollmütze
Tea Jarc bei einer Demonstration gegen Uber 2016 / Tea Jarc at a protest against Uber 2016. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Pixsell

Dieses Interview haben wir auch auf Englisch veröffentlicht.

Mladi Plus ist eine Gewerkschaft in Slowenien mit einem besonderen Ansatz: Sie konzentriert sich auf junge Leute. Das heißt auch, sich mit den Plattformunternehmen wie Uber zu beschäftigen, bei denen diese Leute zunehmend arbeiten. Wir sprechen mit Tea Jarc, der Präsidentin von Mladi Plus, über ihre Gewerkschaft für junge Plattformarbeiter*innen und die Plattformarbeitsrichtlinie, an der die EU gerade arbeitet.

netzpolitik.org: Was ist an Mladi Plus besonders?

Tea Jarc: Mladi Plus ist eine slowenische Gewerkschaft für Schüler*innen, Studierende, junge Arbeitslose und prekäre Arbeiter*innen. Es ist keine traditionelle Gewerkschaft: Wir arbeiten nicht mit einem bestimmten Sektor von Arbeiter*innen zusammen, wir arbeiten mit jungen Leuten, die sich gerade im Übergang von Bildung zu Arbeit befinden. Sie sind entweder immer noch Studierende oder arbeitslos oder sie haben einen zeitlich begrenzten Job. Mladi Plus existiert seit 2011 und ist Teil des größten Gewerkschaftsbunds in Slowenien.

„Plattformarbeit ist seit zwei Jahren Priorität Nummer Eins“

netzpolitik.org: Was ist deine Rolle dabei?

Und ich bin die Präsidentin dieser Gewerkschaft. Ich bin 2014 als junge arbeitslose Person beigetreten. Davor war ich in anderen Jugendorganisationen aktiv und habe das Thema von Jugendarbeitslosigkeit viel verfolgt. Ich war über Jahre Aktivistin und bin dann Präsidentin geworden.

Das Ziel von Mladi Plus ist es, mit dieser Art von Gewerkschaft junge Leute zu erreichen. Weil wir besonders nach der Finanzkrise von 2008 realisiert haben, dass es immer mehr junge Arbeitslose oder junge prekär Beschäftigte gibt und dass sie niemand organisiert.

Früher haben wir hauptsächlich an Themen wie Praktikumsbedingungen gearbeitet. Aber dann haben wir es geschafft, dass unbezahlte Praktika in Slowenien verboten wurden. Jetzt versuchen wir gerade, neu auftauchende Themen anzugehen. Plattformarbeit ist seit zwei Jahren Priorität Nummer Eins, weil die Zahl an Plattformarbeiter*innen steigt und wir die Bedürfnisse dieser Arbeiter*innen vertreten wollen.

netzpolitik.org: Warum ist Plattformarbeit gerade für junge Leute so relevant?

Tea Jarc: Weil es nicht nur, aber meistens junge Leute sind, die auf Plattformen arbeiten. Man sieht zumindest in Slowenien, dass sie oft schon als Studierende damit anfangen, und dann für eine lange Zeit weitermachen. Es hängt von der Art der Arbeit ab. In Slowenien nimmt Plattformarbeit gerade im Pflegesektor zu, da sind es nicht so viele junge Leute.

Ich bin natürlich eine Gewerkschafterin, aber ich werde immer die erste sein, die die Gewerkschaftsbewegung kritisiert. Und manchmal sieht es aus, als ob wir sehr alte Organisationen mit alten Strukturen und alten Methoden sind. Und das wollen wir ändern. Wir wollen Gewerkschaften modernisieren. Wir wollen schnell auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts reagieren. Wir wollen uns Veränderungen anpassen und unseren Platz in einer sich wandelnden Gesellschaft finden.

netzpolitik.org: Und was sagen die anderen Gewerkschaften dazu?

Tea Jarc: Ehrlich gesagt hatten wir in unserer zehnjährigen Geschichte eine Menge Streits mit anderen Gewerkschaften, die angezweifelt haben, ob wir wirklich eine Gewerkschaft sind.

Es fängt an mit der Rekrutierung. Normalerweise sammeln Gewerkschaften Arbeiter*innen an einem Arbeitsplatz. Diese Art von Privileg haben wir nicht. Wir können nicht einfach an einen Ort gehen und erwarten, dass junge Leute da sein und uns beitreten werden. Wir müssen dahin gehen, wo diese Arbeiter*innen sind, zum Beispiel beim Arbeitsamt. Oder wir verfolgen die Lieferfahrer*innen, verfolgen sie wirklich auf der Straße, und versuchen, mit ihnen in Kontakt zu kommen.

„Unsere Arbeit ist anders“

Wir sind auch in Sachen Kommunikation sehr anders. Wir sind natürlich jung, also sind wir vielleicht auch provokativer, wir haben keine Angst davor, sehr kritisch zu sein, auch in Richtung Regierung. Wir sind viel präsenter in den sozialen Medien, weil wir wissen, dass junge Leute auch auf sozialen Medien sind. Das ist auch einer der Gründe, warum junge Leute uns kennen und warum sie uns beitreten: Weil sie uns als eine sehr coole Gewerkschaft sehen (lacht) – die tatsächlich den Mut hat, der Regierung zu sagen, was unserer Meinung nach gesagt werden muss.

Unsere Arbeit ist anders, aber letztlich verhandeln wir immer noch Tarife und vertreten Arbeiter*innen. Wir bieten unseren Mitgliedern auch juristische Hilfe und Beratung an. Ich würde sagen, dass Mladi Plus gerade die bekannteste Gewerkschaft in Slowenien ist und ziemlich gute Arbeit macht. Das mussten auch einige der Skeptiker*innen akzeptieren.

netzpolitik.org: Die EU-Institutionen verhandeln gerade über eine Richtlinie zur Zukunft von Plattformarbeit, also bei Unternehmen wie Deliveroo oder Uber. Seit wann hat sich Mladi Plus für dieses Thema interessiert?

Tea Jarc: In Sachen Plattformarbeit generell sind wir seit 2014 sehr aktiv, weil es damals eine Menge Gerichtsentscheidungen zu Uber gab. Unsere Regierung wollte Uber nach Slowenien bringen. Dafür hätten sie die Gesetze ändern müssen, weil Uber natürlich Sachen nach seinen eigenen Bedingungen macht. Und mit ein paar anderen Gewerkschaften haben wir es geschafft, die Regierung so zu beeinflussen, dass sie die Gesetze nicht geändert und die Tür nicht für sie geöffnet haben.

Es gab Uber in den meisten europäischen Ländern bis auf Slowenien. Das hat sich leider letztes Jahr mit der sehr rechten Regierung geändert, die ihnen die Tür geöffnet hat. Aber jahrelang haben wir verhindert, dass diese Plattform hier existiert und Arbeiter*innen ausbeuten kann.

Natürlich war in Slowenien im Vergleich zu anderen europäischen Ländern der Anstieg an Plattformarbeit in den letzten Jahren eher sanft. Die Lieferfahrer*innen, die man am meisten sieht, weil sie die ganze Zeit auf der Straße sind, sind erst vor ein paar Jahren nach Slowenien gekommen und ihre Zahl hat während der Pandemie stark zugenommen.

Damals waren wir die ersten, die darauf reagiert haben. Wir haben wirklich eine Menge Zeit darin investiert, sie kennenzulernen und ihre Situation zu verstehen, besonders im Liefersektor. Leider konnten wir das nicht für alle Bereiche machen. Aber wir versuchen, unsere Untersuchungen auszuweiten, zum Beispiel in Hinblick auf den vorhin erwähnten Pflegesektor.

netzpolitik.org: Mladi Plus war Teil der Verhandlungen mit der Europäischen Kommission, bevor sie im Dezember ihren Entwurf für die geplante Richtlinie veröffentlicht hat. Könntest du eure Beteiligung daran beschreiben?

Tea Jarc: Das war hauptsächlich Arbeit, in die wir durch den Europäischen Gewerkschaftsbund involviert sind, durch den ETUC. Für den ETUC ist das eine der Prioritäten der letzten Jahre und besonders diesen Jahres.

Von Anfang an war das Hauptziel, dass Plattformen als Arbeitgeber*innen und Plattformarbeiter*innen als Angestellte anerkannt werden sollten, also dass sie grundlegende Angestellten- und Sozialrechte erhalten sollten. Die Herausforderung ist, dass Plattformen ihre Rolle als Arbeitgeber*innen nicht anerkennen und ihrer Verantwortung aus dem Weg gehen.

Wir haben gewusst, dass wir über multinationale Unternehmen sprechen, die im Prinzip verschiedene Staaten unter Druck setzen, ihnen irgendeine Art von Sonderstatus zu geben. Aber weil der Arbeitsmarkt schon so fragmentiert ist und wir so viele verschiedene Kategorien von Arbeiter*innen haben, wollten wir das nicht auch noch bei Plattformarbeiter*innen geschehen lassen.

Unser Ziel war es, zuerst einmal eine Europäische Richtlinie zu haben, um die Plattformen zu regulieren. Ansonsten wären die Gewerkschaften oder Arbeiter*innen in den verschiedenen Ländern sich selbst überlassen worden.

Wir haben gesehen, dass Arbeiter*innen in vielen Ländern all diese Sachen vor Gericht nachweisen mussten, was Ewigkeiten gedauert hat. Dann ist klar geworden, dass wir eine umgekehrte Beweislast in der Richtlinie haben wollten. Also die Annahme, dass es ein Angestelltenverhältnis gibt, damit die Arbeiter*innen das nicht immer und immer wieder vor Gericht nachweisen müssen. Wenn ein Plattform dann denkt, dass das auf sie nicht zutrifft, dann wäre sie in der Pflicht, das nachzuweisen.

Angst vor der Lobbymacht der Plattformen

netzpolitik.org: Wenn ich mir den Vorschlag anschaue, den die Europäische Kommission am Ende veröffentlicht hat, dann scheint mir der ETUC die Kommission sehr gut von seinen Ansichten überzeugt zu haben. In den meisten Gebieten scheint der Vorschlag sehr nah an den Ideen der Gewerkschaften dran zu sein. Würdest du da zustimmen?

Tea Jarc: Ja, ich würde sagen, dass er ganz okay ist. Er ist immer noch nicht perfekt. Der Kommissionentwurf sagt ganz klar, dass diese Richtlinie, wenn sie beschlossen wird, nur das Leben von fünf Millionen Plattformarbeiter*innen verändern wird, während es in Europa mehr als zwanzig Millionen von ihnen gibt. Wir waren deshalb nicht so erfolgreich, wie wir uns das erhofft haben, weil das heißt, dass es da draußen immer noch eine ganze Menge Plattformarbeiter*innen gibt, die irgendwo in die Mitte fallen.

Jetzt gerade sind wir dabei, mit den Mitgliedstaaten zu arbeiten. Die Kommission hat ihren Job gemacht, jetzt müssen die Mitgliedstaaten entweder irgendeine Art positives Feedback geben, den Entwurf verbessern oder ihn ablehnen.

Wir arbeiten auch mit dem Europäischen Parlament zusammen. Bevor wir die Richtlinie von der Kommissionsseite hatten, gab es einen sehr ambitionierten Beschluss vom Europäischen Parlament in Sachen Plattformarbeit.

Ich kann trotzdem auch ehrlich sagen, dass wir sehr viel Angst vor den Plattformen haben, weil wir wissen, wie mächtig sie sind. Sie sind in Brüssel sehr präsent und lobbyieren für ihre Ansichten. Sie waren in vielen der Beratungsprozesse, an denen wir teilgenommen haben, nicht involviert, und sie waren auch nicht so laut in den Medien wie wir, also erwarten wir irgendwie, dass sie ihre Arbeit hinter geschlossenen Türen machen.

netzpolitik.org: Plattformen sagen, dass sie europäische Gesetzgebung unterstützen und dass es ihnen egal ist, was darinsteht, weil so die Anzahl ihrer Gerichtsverfahren in europäischen Ländern reduziert werden wird. Würdest du sagen, dass das wiedergibt, wie sich Plattformen momentan in der Praxis verhalten?

Tea Jarc: Ich würde sagen, überhaupt nicht (lacht). Wenn sie das wirklich wollen würden, würden sie diese ganzen Gerichtsverfahren einfach vermeiden, indem sie nationale Gesetzgebung respektieren und ihre Arbeiter*innen anstellen. Die Anzahl an Gerichtsverfahren ist gewaltig, wenn man sich die ganzen verschiedenen Länder anschaut. Und ich kann mir vorstellen, dass das für sie auch eine Last ist, und dass es auch nicht mit ihrem Ruf hilft, so oft verklagt zu werden und vor Gericht tatsächlich zu verlieren.

Aber wenn sie sagen, dass sie die Richtlinie unterstützen, dann gern. Ich kann mir vorstellen, dass es für diese multinationalen Unternehmen erschöpfend ist, alle nationalen Gesetze nachzuverfolgen und zu verstehen. Also wird die Richtlinie vielleicht auch ihr Leben ein bisschen einfacher machen.

„Während der Verhandlungen können Dinge auch immer noch geändert werden“

netzpolitik.org: Was sind eure Hoffnungen und Befürchtungen für den Rest der Verhandlungen zur Richtlinie, im Parlament und im Rat?

Tea Jarc: Die Hauptbefürchtungen sind definitiv bei den Mitgliedstaaten, also beim Rat. Wir sind natürlich im Kontakt mit verschiedenen Arbeitsministerien und anderen Beamten, aber es sieht wirklich so aus, als ob die Richtlinie für viele Mitgliedstaaten keine Top-Priorität hat. Besonders wenn man sich die aktuellen Präsidentschaften anschaut, also Frankreich und Tschechien.

Wir bekommen nicht so wirklich begeistertes Feedback von ihnen (lacht), besonders von Macron, er ist nicht wirklich an diesem Thema interessiert. Und es ist auch sehr schwer, von den Tschechen etwas so Fortschrittliches zu erwarten. Wenn sie die Sache nicht vorantreiben, könnte dieser Vorschlag jahrelang in der Warteschleife landen. Unsere Befürchtung ist also, dass wir eine sehr lange Zeit auf die Umsetzung warten müssen.

Während der Verhandlungen können Dinge auch immer noch geändert werden. Was wird die Lobbyarbeit der Plattformen sein, entweder auf nationaler oder auf europäischer Ebene? Wird das ganze verwässert werden, oder vielleicht sogar verbessert? Wir versuchen, das ganze zu beeinflussen, aber man weiß ja nie.
Unsere Hoffnung auf der Gewerkschaftsseite ist, dass Arbeiter*innen Gewerkschaften beitreten und erkennen, was sie erreichen können, wenn sie gemeinsam kämpfen. Denn selbst wenn die Richtlinie angenommen und dann auf nationaler Ebene umgesetzt wird, wird das den Kampf nicht beenden.

Plattform-Arbeiter*innen sollten für mehr als nur für eine Richtlinie kämpfen. Danach kommen Tarifverhandlungen und ein Tarifvertrag und dann, hoffentlich, eines Tages, können wir uns wirklich um ihre Arbeitsumstände kümmern.


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