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Neues aus dem Fernsehrat (91): Transparenz statt Expertokratie – die Lehren aus der Affäre Schlesinger

Nach dem Rücktritt der ARD-Vorsitzenden und rbb-Intendantin Patricia Schlesinger stellt sich die Frage, wie sich die Aufsicht öffentlich-rechtlicher Medien verbessern lässt. Für ZDF-Verwaltungsrat Leonhard Dobusch ist radikale Transparenz ein wesentlicher Teil der Antwort.

„Das Mädchen, das alleine nach Haus geht“ – Patricia Schlesinger bei der Premiere des gleichnamigen RBB-„Tatorts“ in Berlin, 16. Mai 2022 – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Photopress Müller

Von Juli 2016 bis Juni 2022 vertrat ich den Bereich „Internet“ im ZDF-Fernsehrat, seit Juli 2022 bin ich Mitglied des ZDF-Verwaltungsrats. In dieser Reihe berichte ich mehr oder weniger regelmäßig ‚Neues aus dem Fernsehrat‘.

Der Rücktritt von Patricia Schlesinger als Intendantin des rbb beendet vorerst nicht die Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dessen Aufsicht. Und das ist auch gut so. Denn infolge der Affäre haben die öffentlich-rechtlichen Medien hierzulande massive Image- und Glaubwürdigkeitsverluste erlitten. Umso mehr muss es nun darum gehen, die richtigen Lehren aus dem Fall zu ziehen. Bevor ich aber auf die vordringlichen Konsequenzen eingehe, möchte ich ein paar Anmerkungen zur Affäre Schlesinger selbst machen:

  • Eine der besten Zusammenfassungen der Affäre liefert Stefan Niggemeier bei Übermedien sowie in einem Interview mit den Tagesthemen. Die Bandbreite der Vorwürfe ist groß und reicht von fragwürdigen Spesenabrechnungen (zum Beispiel für Essenseinladungen im Privathaushalt Schlesingers) über illegitime Ausstattung von Büro und Dienstwägen sowie das Gehaltsniveau bis hin zu fragwürdigen Beraterverträgen unter Involvierung von Schlesingers Ehemann und Wolf-Dieter Wolf, Aufsichtsratschef der Messe Berlin und Verwaltungsratschef des rbb. Letztere sind für Niggemeier „die gravierendsten Vorwürfe“. 
  • Wie so oft sind es aber auch in diesem Fall nicht nur die Vorwürfe selbst, sondern auch der Umgang mit ihnen, die den Schaden noch einmal vergrößert haben. Besonders der Versuch, sich als Opfer von (Axel Springers) Kampagnenjournalismus – Schlesinger spricht in ihrem Rücktritts-Statement von „Diffamierung“ – zu präsentieren, ist daneben. Entscheidend ist nicht, woher die Vorwürfe kommen, sondern ob sie stimmen.
  • Es ist offensichtlich, dass an Intendant:innen und andere Führungskräfte in öffentlich-rechtlichen Medien andere Maßstäbe angelegt werden als an vergleichbare Führungskräfte in privaten Medien. Das beginnt bei der Höhe der als legitim angesehenen Gehälter und endet noch lange nicht bei der als angemessen empfundenen Büroausstattung. Aber auch hier gilt: Das ist gut und richtig so. Unter anderem deshalb ist es so wichtig, dass es beitragsfinanzierte Medien gibt.
  • Die mediale Aufarbeitung der Affäre Schlesinger in rbb, ARD und Deutschlandfunk selbst ist beachtlich und wird inzwischen ebensolchen höheren Ansprüchen an öffentlich-rechtliche Berichterstattung „in eigener Sache“ tendenziell gerecht.

Auch weil der rbb-Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf in die Affäre involviert ist, wird nun auch – zu Recht – die Frage gestellt, ob die öffentlich-rechtlichen Aufsichtsgremien reformiert werden müssen. Die Dringlichkeit dieser Frage speist sich jedoch nicht nur aus dem aktuellen Affären-Anlass, sondern auch aus dem bevorstehenden Bedeutungszuwachs dieser Gremien als Folge des neuen Medienstaatsvertrags. 

Neue Aufgaben für die Aufsicht

Die von den Ministerpräsident:innen der Länder bereits im Juni verabschiedete und nun noch von den Landesparlamenten abzusegnende Reform räumt ARD, ZDF und Deutschlandfunk mehr Flexibilität bei der Gestaltung ihrer (Online-)Angebote ein. Bislang sind selbst einzelne Spartensender wie ZDFinfo oder ARD Alpha gesetzlich vorgeschrieben, können also nicht ohne Gesetzesänderung ins Internet verlagert werden. Zukünftig sollen die Anstalten eigenständiger handeln können. Sie dürfen dann beispielsweise Mittel umschichten, etwa von linearen zu neuen Online-Angeboten. Im Gegenzug erhalten die Aufsichtsgremien mehr Kompetenzen in Bereichen wie Qualitätsstandards und Kostencontrolling.

Doch schon vor der Affäre Schlesinger wurden Zweifel laut, ob die Gremien dieser neuen Herausforderung gewachsen seien. Dieter Pienkny, stellvertretender Vorsitzender des rbb-Rundfunkrats, ging beispielsweise in einem Blogeintrag hart mit seinen Gremienkolleg:innen ins Gericht: Er wirft ihnen „Lobbyarbeit für ihre Organisation“ vor und kritisiert fehlende Professionalität und „Fachkompetenz“. Ähnliche Forderungen, die Gremien zu professionalisieren, gab es schon vor mehr als zehn Jahren, als den Aufsichtsgremien zuletzt durch die Verabschiedung von „Telemedienkonzepten“ zusätzliche Kompetenzen übertragen wurden.

Braucht es mehr Professionalisierung?

Aber ist eine Professionalisierung der Aufsicht tatsächlich die richtige Antwort auf Skandale und neue Aufgaben? Ich bin skeptisch. Ich halte es eher mit Friederike von Kirchbach, stellvertretende Vorsitzende der ARD-Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) und Vorsitzende des rbb-Rundfunkrates, die jüngst – und noch vor Schlesingers Rücktritt – in einem Interview die Rolle und Aufgabe von Rundfunk-, Fernseh- und Hörfunkräten folgendermaßen beschrieb:

Wir Rundfunkräte sind keine Experten, sondern bei Bedarf von Experten unterstützte Generalisten. Wir bringen gesellschaftlich relevante Kompetenzen in die Beratung der Programmverantwortlichen ein, um den Wert der Angebote für die Allgemeinheit zu bewerten und sicherzustellen, dass die Vielfalt der Ansichten abgebildet wird.

Und ebendiese Aufgaben können Rundfunkräte nur dann erfüllen, wenn sie nicht primär aus Medienexpert:innen und Wissenschaftler:innen bestehen, sondern eine möglichst große gesellschaftliche Vielfalt in den Gremien abbilden. Diese Vielfalt zwingt die Leitung öffentlich-rechtlicher Medien dann auch dazu, ihre Pläne und Strategien für Laien verständlich darzulegen und ihre Vorhaben nachvollziehbar zu rechtfertigen. Obendrein sollte man nicht vergessen: Wolf-Dieter Wolf gehört seit 2003 dem rbb-Verwaltungsrat an, seit 2013 sitzt er dem Rat vor. Mangelnde Fachkenntnis kann das allfällige Aufsichtsversagen somit offenkundig nicht erklären.

Vielfalt braucht Transparenz

Zugleich aber ist die Sorge berechtigt, dass sich vielfältig und ehrenamtlich besetzte Aufsichtsgremien im Zweifel schwer damit tun, den Vollzeit-Medienprofis der öffentlich-rechtlichen Anstalten Paroli zu bieten. Die Antwort darauf lautet aber nicht die von Dieter Pienkny an „erster Stelle“ genannte „Weiterbildung“. Denn das würde am Kompetenzungleichgewicht in Fachfragen kaum etwas ändern. (Was natürlich kein Argument ist, sich nicht weiterzubilden.)

Nein, die entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit der Aufsichtsgremien lautet vielmehr radikale Transparenz. Sowohl Haushalts- und Vergütungsfragen als auch Investitionsentscheidungen und insbesondere die strategische Weiterentwicklung öffentlich-rechtlicher Angebote müssen möglichst öffentlich diskutiert werden. Dies führt automatisch dazu, dass sich Fachleute verschiedenster Disziplinen in die Debatten einbringen. Und so können Rundfunkräte auf Basis widerstreitender Experteneinschätzungen auch zu eigenen, gut begründeten Schlüssen kommen.

Öffentlich-rechtliche Medien müssen viel transparenter sein, als wir es von privaten Medien je verlangen könnten – weil sie von der Öffentlichkeit über Beiträge finanziert werden, weil diese Transparenz eine Rechenschaftspflicht gegenüber der Allgemeinheit erfüllt und weil dies darüber hinaus der demokratischen Rückbindung öffentlich-rechtlicher Medien dient. Dass in der jüngsten Sitzung des ZDF-Fernsehrats der Livestream just bei der Diskussion des Tagesordnungspunkts „Strategieprozess ‚Ein ZDF für alle'“ bewusst unterbrochen wurde, zeigt leider allzu deutlich, dass sich diese Einsicht im Bereich öffentlich-rechtlicher Aufsicht noch nicht durchgesetzt hat. Die Affäre Schlesinger belegt einmal mehr, dass sich dies schleunigst ändern muss.


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