Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

Springer-Affäre: Wie aus längst vergangenen Zeiten

Julian Reichelt

Aus der aktuellen Springer-Affäre quillt die Schmierigkeit längst vergangener Zeiten hervor: ein Chefredakteur, der laut dem Bericht der New York Times offenbar Sex mit Beförderungen bezahlt, eine falsche Scheidungsurkunde vorhält und seine Macht auf eine der schäbigsten aller Arten ausspielt. Ein Medienhaus, das versucht, die Berichterstattung über diese Form sexueller Übergriffigkeit mit allen Mitteln zu verhindern. Und ein Verleger Dirk Ippen, der offenbar nach Intervention von Springer seine herausragende Investigativtruppe öffentlich verbrennt, um nicht das Verlegernest zu beschmutzen. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus – und man versucht, „den Anschein zu vermeiden, eine journalistische Veröffentlichung mit dem wirtschaftlichen Interesse zu verbinden, dem Konkurrenten zu schaden“.

Die Beteiligten in der Springer-Affäre schaden dem Ansehen des Journalismus und der Medien in Deutschland. Natürlich sind wir bei Springer einiges gewöhnt, von Sexismus bis zu antidemokratischer Hetze, und mit Journalismus haben manche Angebote des Verlagshauses auch nur wenig zu tun. Dennoch sagt es einiges aus, wenn man mitten in der internationalen Verlagsexpansion so eine Art von sexualisiertem Führungsstil im eigenen Hause decken will.

Strategischer Schwurbel vom BDZV-Vorsitzenden

Dass sich die journalistische Wut jetzt auf die Causa Ippen konzentriert, hilft aber vor allem Springers Bild-Chefredakteur Julian Reichelt und seinem protegierenden Chef Mathias Döpfner: Es lenkt von ihnen ab.

Döpfner scheint „too big to fail“, zumindest bei Axel Springer. Doch er ist nicht nur Chef und Großaktionär von Springer, sondern auch Vorsitzender des mächtigen Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), der die Interessen von fast 300 Zeitungen in Deutschland vertritt. Ob man dort seine strategisch verschwurbelte Haltung zur bundesdeutschen Demokratie teilt? Eine Haltung, in der Döpfner allen Ernstes Julian Reichelt als letzten und einzigen Journalisten in Deutschland bezeichnet, der sich noch mutig gegen den neuen autoritären DDR-Staat auflehne

Aber wenn sich nun alle auf Ippen stürzen, kann Reichelt seinen pullermanngesteuerten Führungsstil der 1950er-Jahre weiter ausüben, wenn Döpfner ihn nicht doch fallen lässt, um sich selbst bei Springer zu retten. Beim BDZV sollte er eigentlich nach seinen DDR-Aussagen kaum noch zu halten sein.

Es braucht mehr unabhängigen Journalismus

Wir lernen aus der Sache: Der Axel-Springer-Verlag und seine Führungsriege sind exakt so verdorben, wie wir es alle immer erwartet haben, aber die Details der Recherche sollen wir, wenn es nach Springer geht, lieber nicht lesen. Julian Reichelt und Mathias Döpfner sind die perfekten Repräsentanten dieses Systems, das offenbar bis in die höchste Etage Deutschland für eine neue DDR hält. Aber eine neue DDR, in der die CDU-Vertreter quasi per „Standleitung“ mit dem immer weiter rechts aufgestellten Axel-Springer-Verlag kommunizieren. Dieses System ist so stark, dass es am Ende die New York Times braucht, um einen Skandal dieser Tragweite zu publizieren.

Deswegen brauchen wir einen neuen Journalismus, in dem Verleger nicht ihre schützende Hand über Skandale halten können. Es ist kein Wunder, dass ein Teil des Skandals nicht durch ein großes deutsches Medienhaus, sondern durch das kleine unabhängige Übermedien aufgedeckt wurde.

Es sind solche und andere unabhängige Medienprojekte, die nur ihren Leser:innen und Kleinspendern verpflichtet sind – und nicht großen Werbekunden oder Verlegerinteressen. Wir brauchen mehr davon. Mehr investigative Journalist:innen, die nicht an die Kette genommen werden und somit Missstände in allen Bereichen der Gesellschaft aufdecken können.


Hilf mit! Mit Deiner finanziellen Hilfe unterstützt Du unabhängigen Journalismus.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires