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Politische Partizipation: Ziviles Engagement im Internet gewinnt an Bedeutung

Ein Bericht des Weizenbaum-Instituts zeigt, wie sich bürgerschaftliches Engagement verändert. Während einige analoge Beteiligungsformen durch die Pandemie deutlich zurückgegangen sind, haben digitale Formen an Bedeutung gewonnen. Das birgt die Chance, Barrieren für gesellschaftliche Teilhabe abzubauen.

Mehrere Tausend Menschen demonstrierten am 2. März 2019 in Berlin gegen die europäische Urheberrechtsreform.
Demonstrieren ist nach wie vor von großer Bedeutung, wenngleich digitaler Protest wichtiger wird. CC-BY 4.0 netzpolitik.org

Wie hat sich die politische Partizipation in Deutschland 2022 entwickelt, verglichen mit den drei Jahren davor? Haben sich Corona-, Energiekrise und Krieg auf das Engagement ausgewirkt? Das Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft veröffentlicht dazu heute einen Bericht. Er zeigt, dass digitales Engagement wichtiger wird.

Die Wissenschaftler:innen stellen unter dem Strich einen Wechsel fest: Klassische Formen der Partizipation, etwa Offline-Petitionen, klassisches Ehrenamt oder anderweitiges soziales Engagement, sind in der Tendenz rückläufig. Teilweise sogar stark. Während im Jahr 2019 noch 40 Prozent der Befragten angaben, bei einer sozialen Organisation mitzuarbeiten, waren es 2021 und 2022 nur noch 33 Prozent. Am deutlichsten fällt die negative Entwicklung bei Petitionen aus: Während 2019 noch 54 Prozent in der Fußgängerzone stehen blieben, um eine Petition zu unterschreiben, waren es 2022 nur noch 39 Prozent.

Katharina Heger, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Weizenbaum-Institut und Co-Autorin der Studie, erklärt sich den Rückgang der Offline-Petitionen vor allem mit den Corona-Maßnahmen 2021. 2022 habe die Politik die Einschränkungen zwar weitestgehend wieder aufgehoben, doch die Folgen der Maßnahmen würden noch in die Gegenwart hineinwirken. Die klassische Kontaktaufnahme bei Offline-Petitionen – etwa, dass Greenpeace-Mitglieder Menschen in der Einkaufsmeile persönlich ansprechen – sei jetzt zwar wieder möglich. Dieser Betrieb habe sich aber bis heute nicht wieder von den Einschränkungen erholt.

Spenden und Demonstrationen weiter wichtig

Ein anderes Bild zeigt sich bei Demonstrationen. Hier sorgte die Pandemie zwar auch für einen zwischenzeitigen Einbruch: Von 2020 auf 2021 ist die Anzahl der Befragten, die angaben, an einer Demo teilgenommen zu haben, von 18 Prozent auf 13 Prozent zurückgegangen. Diese Form der Beteiligung hat sich laut der Befragung allerdings auch wieder normalisiert und ist mit 17 Prozent in etwa wieder auf dem Vor-Corona-Niveau. Ein Zeichen dafür, dass die physische Präsenz bei Demonstrationen weiterhin eine wichtige Rolle spielt.

Überraschend unbeeinflusst durch die Pandemie blieb die politische Beteiligung durch Spenden. Hier gab es insgesamt keine signifikanten Einbußen, im Gegenteil: Während 2020 runde 60 Prozent der Befragten angaben, dass sie gespendet haben, sind es 2021 sogar 64 Prozent gewesen. 2022 lag der Wert bei immerhin 62 Prozent. Laut Heger hat dies damit zu tun, dass Spenden „stark sozial stratifiziert“ seien: In erster Linie einkommensstarke Bürger engagierten sich durch Spenden, also Menschen, deren Einkommen relativ wenig von der Pandemie betroffen war.

Eine weitere Erklärung für die Zunahme der Spenden sieht Heger darin, dass es in den vergangenen Jahren reichlich dramatische Anlässe gab, um zu spenden. So etwa die Flut im Ahrtal oder den auch den russischen Angriffskrieg.

Counterspeech im Netz bleibt wichtig

Während manche Formen der analogen Beteiligung abnehmen, etabliert sich der digitale Raum weiter als Ort für politisches Engagement. Im Gegensatz zu Offline-Petitionen ist die Zahl der Teilnehmer:innen an Online-Petitionen laut der Studie nicht zurückgegangen. Der Trend hin zu Beteiligung via Internet zeigt sich an einigen Stellen der Weizenbaum-Befragung. Etwa beim Thema Zivilcourage im Netz: Die Zahl der Nutzer:innen, die ihre Stimme im Netz gegen Hasskommentare erheben, sich also mit Opfern von Hassrede solidarisieren, blieb gleich hoch – und damit weitgehend unbeeinflusst von externen Einflüssen wie Corona. Insgesamt ging die Zahl der Hasskommentare im Netz sogar zurück.

Co-Autorin Katharina Heger deutet dies als ein Zeichen dafür, dass Zivilcourage im Internet mittlerweile fest im „Beteiligungsrepertoire“ der Bürger:innen verankert ist. Auch regulatorische Maßnahmen, etwa das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) oder der auf EU-Ebene angestoßene Digital Services Act (DSA), der ab dem 17. Februar 2024 in allen EU-Staaten gilt, hätten dazu beigetragen, das Thema Hass im Netz in die Breite der Gesellschaft zu tragen. Die Menschen seien mittlerweile stärker sensibilisiert.

Ein weiterer Effekt der Digitalisierung: Sozialer Status verliert laut der Studie an Bedeutung. Politische Partizipation ist grundsätzlich eine Frage von Ressourcen und Zeit, „sozial Bessergestellte sind durchweg aktiver als sozial Benachteiligte“, heißt es in der Pressemitteilung zum Report. Beim Teilen oder Kommentieren politischer Inhalte auf Social Media würden soziale Unterschiede allerdings an Bedeutung verlieren, da Partizipation hier niedrigschwellig und kostenlos möglich ist. Auch gegenüber aktuellen Krisen wie Pandemie, Krieg oder Energiekrise sei digitale Beteiligung resilienter, schlussfolgern die Autor:innen.

Was die Gesamtsumme des gesellschaftlichen Engagements angeht, sieht Katharina Heger den Wechsel vom Analogen ins Digitale weniger kritisch. Die Erkenntnisse seien aus demokratietheoretischer Perspektive nicht grundsätzlich ein Problem. Die Wissenschaftlerin befürchtet auch nicht, dass das zivilgesellschaftliche Engagement durch die Digitalisierung insgesamt abnehme – es verändere sich nur: Ein solcher Wechsel sei in der Geschichte schon häufiger zu beobachten gewesen.


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