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Indien: Regierung will über Wahrheit im Internet entscheiden

Die indische Regierung will künftig allein darüber entscheiden, ob Kritik an ihr wahr oder falsch ist. Online-Dienste müssten dann beanstandete Inhalte aus dem Netz entfernen. Die Zivilgesellschaft sieht darin eine Verletzung von Grundrechten und zieht vor Gericht.

Die indische Regierung will künftig selbst darüber entscheiden, ob Kritik an ihrer Arbeit wahr oder falsch ist. Gegen diese Einschränkung der Meinungsfreiheit wehrt sich nun unter anderem der Unterhalter Kunal Kamra. CC-BY-SA 4.0 Foto: Garvmalik1 / Bearbeitung: netzpolitik.org

Es wird enger für die Meinungsfreiheit im indischen Internet. Künftig könnte eine von der Regierung eingerichtete Stelle darüber entscheiden, ob Kritik an der Regierung falsch oder irreführend ist. In solchen Fällen wären Online-Dienste wie Facebook oder Twitter dazu verpflichtet, die Inhalte zu löschen oder zu sperren. Auch Netzbetreiber oder DNS-Anbieter müssten den Zugang dazu blockieren. Unter Dach und Fach sind die neuen Regeln allerdings noch nicht. Seit letzter Woche läuft ein Gerichtsverfahren, das über die Verfassungsmäßigkeit der Pläne entscheiden soll.

Schon seit einigen Jahren schränkt die hindu-nationalistische Regierung von Premierminister Narendra Modi die Meinungs- und Internetfreiheit auf dem Subkontintent zunehmend ein. Zuletzt wurden etwa hunderte Twitter-Konten protestierender Kleinbauern gesperrt, das Mediengesetz verschärft und der Zugriff auf verschlüsselte Messenger-Nachrichten verlangt.

Rechtliche Vorgaben werden enger

Der aktuelle Gesetzesvorschlag stammt noch aus dem Vorjahr. Er soll seit dem Jahr 2021 geltende Regeln anpassen, die vor allem die Anbieter sozialer Medien in die Pflicht nehmen und ihnen Vorgaben zur Inhaltemoderation machen. Bislang mussten die sogenannten Intermediäre etwa „zumutbare Anstrengungen“ unternehmen, um ihre Nutzer:innen am Veröffentlichen von schädlichen oder illegalen Inhalten zu hindern. Künftig soll diese Verpflichtung indes rechtlich bindend werden und an Sanktionen geknüpft sein.

Im Zentrum der Auseinandersetzung steht aber das Gremium, welches darüber entscheiden soll, welche Kritik an der Regierung im Internet erlaubt ist und welche nicht. Ein früherer Gesetzentwurf hatte die Verantwortung dafür der Presseabteilung der Regierung übertragen. Nach lauten Protesten der Zivilgesellschaft stellte das zuständige Digitalministerium (Ministry of Electronics and IT, MeitY) Anfang April schließlich einen neuen Ansatz vor. Demnach soll eine „Faktencheckabteilung der Zentralregierung“ potentielle Falschnachrichten über die Regierung identifizieren und darüber wachen, dass solche Inhalte aus dem indischen Netz verschwinden oder gar nicht erst auftauchen. Bestellt werden soll das Gremium vom MeitY, per simpler Verfügung.

Sollten Online-Dienste wie Google, Facebook oder Twitter bei der Umsetzung versagen, würden sie ihr Providerprivileg verlieren, stellte der IT-Minister Rajeev Chandrasekhar jüngst klar. Dieses Privileg macht den Betrieb nutzergenerierter Online-Angebote möglich, weil Anbieter nicht fürchten müssen, wegen Äußerungen ihrer Nutzer:innen vor Gericht geschleppt zu werden. Damit soll künftig Schluss sein. „Wer als Intermediär den ’sicheren Hafen‘ der Haftungsfreiheit genießen möchte, hat Verpflichtungen zu erfüllen“, sagte Chandrasekhar. „Die Verpflichtung ist, proaktiv gegen Desinformation vorzugehen“. Den Anbietern stehe es weiterhin frei, solche Inhalte auf ihrem Dienst zu belassen, so der Minister. Allerdings müssten sie dann damit rechnen, sich Klagen einzufangen.

Tiefer Eingriff in Grundrechte

Beruhigt hat diese Klarstellung allerdings wohl niemanden. So kritisiert etwa der Journalistenverband Editors Guild of India: „Effektiv gibt sich die Regierung damit die absolute Macht, darüber zu entscheiden, was an ihrer eigenen Arbeit falsch ist und was nicht“, heißt es in einer Pressemitteilung. Die vorgeschlagenen Regeln würden nicht näher darauf eingehen, wie die Arbeit und die Aufsicht der Faktenchecker aussehen soll, außerdem fehle jegliche Erwähnung von Beschwerdemöglichkeiten.

Auch die indische Nichtregierungsorganisation Internet Freedom Foundation (IFF) zeigt sich „tief besorgt“. Die Regeln würden in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung eingreifen und die Einschränkungen weiter zementieren, denen insbesondere Verlage, Journalist:innen oder Aktivist:innen in Indien ohnehin ausgesetzt sind. Einer Regierungsstelle derart weitreichende Befugnisse einzuräumen, würde gegen die Verfassung verstoßen, so die IFF.

Dies will sie nun auch vor dem Obergericht in Mumbai nachweisen. Gemeinsam mit dem indischen Unterhalter Kunal Kamra hat die NGO eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Der Stand-up-Comedian Kamra widmet sich vor allem politischen und sozialen Themen, regelmäßig diskutiert er in einem eigenen Netzformat mit Gästen einschlägige Nachrichten. Die Pläne der Regierung würden diese Form der politischen Auseinandersetzung jedoch unmöglich machen, so der Kern der Beschwerde. Eine Anhörung ist noch für diese Woche angesetzt.


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