Die CDU will in Hessen künftig mit der SPD regieren. In einem Eckpunktepapier skizziert die Große Koalition ihre Prioritäten: Dazu zählen mehr Videoüberwachung mit Gesichtserkennung, die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen, Staatstrojaner und mehr Daten für Palantirs HessenData.
Eine „christlich-soziale Hessenkoalition“ wollen sie sein – und sie versprechen mehr Videoüberwachung, mehr Staatstrojaner und mehr Big-Data-Unterstützung für die Polizei. Was die CDU mit ihrem nunmehrigen Ex-Partner, den Grünen, nicht umsetzen konnte, fällt mit dem neuen Juniorpartner SPD offenbar leicht: Nach einem erst im Sommer noch unter schwarz-grün verabschiedeten Sicherheitspaket zeichnet sich eine erneute Ausweitung der Befugnisse für Ermittlungsbehörden ab.
Ende letzter Woche verkündete die regierende CDU, Koalitionsgespräche mit den hessischen Sozialdemokraten aufzunehmen, die Eckpunkte der Zusammenarbeit stehen bereits fest. Beginnen sollen die Gespräche morgen und bis Ende Dezember abgeschlossen sein, Mitte Januar nimmt der neue Landtag seine Arbeit auf. Damit dürfte die zehnjährige Regierungsbeteiligung der Grünen in Hessen zu Ende gehen. Ähnlich wie die SPD waren die Grünen bei der Landtagswahl im Oktober auf rund 15 Prozent abgesunken, während die Union auf knapp 35 Prozent zugelegt hat – und sich so bequem aussuchen kann, mit wem sich ihr Programm am besten umsetzen lässt.
Lauschangriff und mehr Videoüberwachung
„Wir schaffen verbesserte Rahmenbedingungen für Videoüberwachung“, heißt es in den Eckpunkten der designierten Großen Koalition. Im Blick hat sie dabei „vereinfachte Zulassung, Erweiterung um Akustik, Mustererkennung, zielgerichtete Fahndung via Gesichtserkennung“. Damit fasst sie gleich mehrere heiße Eisen an: Neben einem Lauschangriff und „intelligenter“ Videoüberwachung, die automatisch angeblich verdächtige Bewegungen erkennen soll, will sie augenscheinlich auch die besonders umstrittene Gesichtserkennung flächendeckend einführen.
Ferner sollen Fahndungsmöglichkeiten ausgeweitet und „in besonderen Fällen und auf richterlichen Beschluss de[r] Zugang zu audiovisuellen Systemen“ ermöglicht werden, schreiben die künftigen Koalitionäre. In Kombination mit mehr Videokameras im öffentlichen Raum könnte so ein engmaschiges Überwachungsnetz entstehen, dem sich kaum jemand entziehen kann. Außerdem wollen sie die Quellen-TKÜ (Staatstrojaner) für den Verfassungsschutz einführen. Der von Skandalen geplagte hessische Inlandsgeheimdienst dürfte dann staatliche Spionage-Software auf den IT-Geräten von Verdächtigen aufspielen.
Erweiterter Blick in die Big-Data-Glaskugel
Erheblich mehr Material soll es für die Analyse-Software HessenData des US-Anbieters Palantir geben. Dazu soll der Straftatenkatalog erweitert sowie die „Nutzung von IP-/Maut-/ Verkehrsüberwachungsdaten“ ermöglicht werden, zudem soll sich der „Datenaustausch zwischen Sicherheitsbehörden und anderen Behörden“ einfacher gestalten. Die Big-Data-Anwendung verknüpft bereits heute umfangreiche Datenbestände und soll menschlichen Polizist:innen dabei helfen, verborgene Zusammenhänge zu erkennen.
Allerdings steht der Ansatz rechtlich auf tönernen Füßen. Anfang des Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht dem Einsatz solcher Techniken, die große Mengen an Daten mit Hilfe sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI) durchforsten und auswerten, enge technische und rechtliche Grenzen gesetzt. Die als Reaktion auf das Urteil in Karlsruhe eilig auf den Weg gebrachte Gesetzesänderung hatte kürzlich noch für Irritation bei der SPD gesorgt, das Gefühl scheint inzwischen verflogen: „Den Einsatz von KI zur automatisierten Auswertung großer Datenmengen und zur Erkennung von Hate-Speech im Netz werden wir ermöglichen.“
Neuer Anlauf für Vorratsdatenspeicherung
Den Rücken stärkt Schwarzrot ausgerechnet der Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die als Spitzenkandidaten für die hessische SPD in den Wahlkampf gezogen und nun mangels Erfolg wieder auf die Bundesbühne zurückgekehrt ist. „Im Bundesrat werden wir einen Gesetzesentwurf zur IP-Adressspeicherung einbringen“, heißt es im Eckpunktepapier.
Damit geht die scheinbar endlose Debatte rund um die Vorratsdatenspeicherung in die nächste Runde. Eigentlich hatte die Ampelregierung festgeschrieben, Daten nur „rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss“ für polizeiliche Ermittlungen nutzen zu wollen. Passend dazu legte das Justizministerium einen Entwurf für eine Quick-Freeze-Lösung vor. Die liegt allerdings über einem Jahr auf Eis – auch, weil sich Faesers Innenministerium weiterhin für eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung für IP-Adressen stark macht.
Auf Hardliner-Kurs will sich die Große Koalition auch beim Thema Migration begeben. Sie bekennt sich zur „Begrenzung der Migration und dem Schutz der europäischen und deutschen Außengrenzen“, will eine „Rückführungsoffensive“ starten und dabei „alle rechtsstaatlichen Möglichkeiten ausschöpfen“. Wer bleiben darf, muss sich einer „Wohnsitzauflage/Residenzpflicht“ beugen. Geflüchtete sollen auch keine monetäre Auszahlungen mehr erhalten, stattdessen will Hessen „konsequent auf Bezahlkarten und Sachleistungen umstellen“.
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