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Desinformation: Innenministerium verdreht Fakten zu geplanter Kriminalisierung von Seenotrettung

Mit Irreführung und „Quatsch-Jura“ versucht Nancy Faesers Innenministerium, Bundestagsabgeordnete über ein neues Gesetz zu täuschen: Dass darin Seenotrettung kriminalisiert würde, sei gar nicht der Fall. Dabei ist der Gesetzestext sehr klar: Der Entwurf enthält einen Straftatbestand, der die Retter:innen bedroht.

Menschen auf einem Schlauchboot vom Rettungsschiff aus fotografiert.
Eine Gesetzesänderung könnte Seenotretter kriminalisieren. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Christian Ditsch

Das Bundesinnenministerium (BMI) hat in seinem Entwurf für ein „Rückführungsverbesserungsgesetz“ bzw. in Paragraf 96 des Aufenthaltsgesetzes einen Passus versteckt, der die private Seenotrettung in Zukunft strafbar machen könnte. Es soll künftig auch illegale Schleuserei sein, wenn dies ohne Vorteilsnahme geschieht. Da Seenotretter:innen Menschen auf ihren Booten aufnehmen und diese dann zu einem europäischen Hafen fahren, könnten auch die uneigennützigen, unentgeltlichen Helfer:innen in den Fokus von Ermittlungen geraten. Eine ähnliche Gesetzgebung führt in Italien regelmäßig zu Ermittlungen.

Nach breiter Kritik an diesem Vorhaben ruderte Innenministerin Nancy Faeser zwar verbal zurück, ihr Ministerium veröffentlichte eine so genannte „Klarstellung“ auf Twitter (heute X) – eine Änderung am umstrittenen Passus im Gesetz hat die Ministerin allerdings nicht angekündigt. Gleichzeitig fällt ihr Ministerium nun mit Falschaussagen auf, mit denen die Gesetzesänderung gegenüber Bundestagsabgeordneten gerechtfertigt werden soll.

Das BMI schickte mindestens an einen Abgeordneten einen Brief, der an eine Sprechhilfe erinnert. In diesem Text behauptet das BMI, dass es „ausdrücklich nicht zutreffend“ sei, dass die zur „Rettung von Menschenleben erfolgende Tätigkeit von privaten Seenotrettern künftig durch eine etwaige Strafbarkeit erschwert werden soll“.

Es drohen Ermittlungen gegen Seenotretter

cc) Buchstabe d) Doppelbuchstabe aa) wird wie folgt gefasst: „aa) Im Satzteil vor der Nummer 1 werden die Wörter „, Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a, Nr. 2, Absatz 2 Satz 1 Nummer 1, 2 und 5 durch die Wörter „Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2, Satz. 2, Absatz 2 Satz 1 Nummer 1, 2, 3, 5 und 6, Satz 2° ersetzt.
So sieht die versteckte Gesetzesänderung aus.

Diese Aussage ist nach Meinung von David Werdermann, der als Jurist bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte arbeitet, falsch. In einem Thread auf Twitter (heute X) konterte er die Aussagen des Ministeriums. Die Seenotretter:innen würden laut Werdermann durch die Gesetzesänderung künftig den objektiven Tatbestand des Einschleusens eindeutig erfüllen.

Selbst wenn das nicht heiße, dass die Seenotretter jetzt reihenweise verurteilt werden würden, eröffne die Gesetzesänderung Möglichkeiten zur Behinderung und Erschwerung von Seenotrettern, sagt Werdermann gegenüber netzpolitik.org. Würde das Gesetz so verabschiedet, seien Anzeigen und strafrechtliche Ermittlungen gegen die Organisationen denkbar, auch Telefonüberwachungen werden dadurch möglich.

„Quatsch-Jura“ zur Irreführung

Weiter heißt es in dem Brief an die Abgeordneten, dass sich die Maßnahme gegen „das skrupellose und menschenverachtende Geschäft der Schleuser“ richte. Der neue Straftatbestand habe aber laut Werdermann folgende drei Merkmale: „Hilfeleisten“, „zur unerlaubten Einreise in die EU“ und „zugunsten mehrerer“. Skrupelloses und menschenverachtendes Verhalten sei aber keine Voraussetzung zur Strafbarkeit.

Der neue Passus richtet sich ja gerade nicht gegen kommerzielle Schleuser, sondern nimmt neben den Seenotrettern vor allem Geflüchtete selbst ins Visier, wenn sie zum Beispiel zusammen mit anderen gemeinschaftlich ein Boot zur Einreise in die EU steuern oder ähnliches.

Das BMI sagt weiterhin, dass es den Seenotrettern ja an „Vorsatz“ fehle, der für die Strafbarkeit nötig sei. Werdermann bezeichnet das als „Quatsch-Jura“, denn es komme beim Vorsatz darauf an, dass man weiß, dass man einen Tatbestand erfüllt. Dass es der Seenotrettung nicht auf die Hilfe zur unerlaubten Einreise ankomme (Absicht), sondern auf die Rettung von Menschenleben sei rechtlich egal. Das lerne man im ersten Semester Jura.

„Verschärfung untergejubelt“

Werdermann hält das Vorgehen des BMI für „schockierend“:

Erst versucht es, den Ampel-Fraktionen in einer komplizierten Formulierungshilfe eine politisch umstrittene Verschärfung unterzujubeln (ohne Begründung, ohne Synopse!). Jetzt führt es die Abgeordneten mit Falschinformationen hinters Licht. Dieses Verhalten gegenüber dem Parlament ist nicht nur politisch skandalös, sondern verstößt auch gegen den Grundsatz der Verfassungsorgantreue. Es sollte in meinen Augen auch personelle Konsequenzen haben.

Werdermann steht mit der Kritik am Gesetz nicht allein. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung sagt die Leipziger Strafrechtsprofessorin Katrin Höffler, dass die Änderung „eine ziemlich problematische potenzielle Kriminalisierung von humanitärem Aktivismus“ sei und auch „eine Pervertierung staatlicher Fürsorgeideale. Die europäischen Länder weigern sich, Menschen in Lebensgefahr zu retten, und kriminalisieren diejenigen, die dieses Staatsversagen auf eigene Faust versuchen zu kompensieren.“

Bei den Ampelkoalitionspartnern gibt es nun unterschiedliche Reaktionen auf das SPD-geführte Ministerium: Die Grünen möchten, dass die Seenotrettung ausdrücklich ausgenommen ist und der Passus gestrichen wird, die FDP möchte, dass Seenotrettung kriminalisiert wird. Der SPD-Innenpolitiker Sebastian Hartmann sieht keinen Grund zu einer Änderung.


Der Brief des BMI


Sehr geehrter Herr Abgeordneter,

der Presse konnten wir Ihre Stellungnahme entnehmen, in der Sie Frau Bundesinnenministerin auffordern, die in das parlamentarische Verfahren eingebrachte Formulierungshilfe zum Rückführungsverbesserungsgesetz zurückzuziehen. Vor dem Hintergrund erlauben wir uns Ihnen folgende Klarstellungen zukommen zu lassen.

  • Die Bundesregierung hat den Kampf gegen das skrupellose und menschenverachtende Geschäft der Schleuser deutlich verschärft – sowohl mit den grenzpolizeilichen Maßnahmen, als auch mit den vorgeschlagenen strafrechtlichen Änderungen.
  • Es ist aber ausdrücklich nicht zutreffend, dass die zur Rettung von Menschenleben erfolgende Tätigkeit von privaten Seenotrettern künftig durch eine etwaige Strafbarkeit erschwert werden soll.
  • Menschen aus dem Meer vor dem Ertrinken zu retten, ist keine Schleusung. Während Schleuser Menschenleben aufs Spiel setzen, retten Seenotretter Menschen vor dem Ertrinken.
  • Rechtlich fehlt es im Rahmen der Seenotrettung nach den SAR-Regularien bereits an dem für eine Strafbarkeit erforderlichen Vorsatz der Hilfeleistung zu einer unerlaubten Einreise. Vielmehr ist das Ziel der derzeit privat tätigen Seenotretter, dass die Geretteten der zuständigen staatlichen Organisation in einem Mitgliedstaat zur ordnungsgemäßen Registrierung und Bearbeitung ihrer Schutzersuchen übergeben und gerade nicht in die Illegalität entlassen werden.
  • Seenotrettung ist im Übrigen auch als gerechtfertigt anzusehen, um Gefahren für Leib und Leben abzuwenden.

Die sonstigen Änderungen des § 96 AufenthG (Änderungen der Absätze 1 und 2) verfolgen das Ziel, die gemäß der BGH-Rechtsprechung bestehende Strafbarkeitslücke bei der Schleusung Minderjähriger, die keinen Vorsatz bilden können, zu schließen. Zudem wurden die Mindeststrafen und die Höchststrafen erhöht, da die bisherigen Strafrahmen dem Unrecht der Tat nicht angemessen sind. In besonderem Maße gilt dies für „Durchbruchsfälle“, bei denen polizeiliche Kontrollen durchbrochen werden (neuer § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 AufenthG). Ohne die oben genannte Änderung des § 96 Abs. 4 AufenthG (Verweis auch auf § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b) wäre auch das gewaltsame Durchbrechen einer Polizeikontrolle an der Grenze zu Kroatien unter Beisichführen einer geladenen Schusswaffe zwecks Schleusung einer Vielzahl von Personen nicht als Schleusungsdelikt strafbar, wenn kein Vermögensvorteil angestrebt wird.

Sollten Sie darüber hinaus noch offene Fragen zu diesem Thema haben, stehen wir Ihnen natürlich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

im Auftrag

 

PKI2 – Kabinett- und Parlamentreferat
Bundesministerium des Innern und für Heimat
Alt-Moabit 140, 10557 Berlin
Telefon: +49 30 XXXXXX
E-Mail: XXXX@bmi.bund.de
Internet: www.bmi.bund.de


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