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Abschreckung: Rund 150 Strafanzeigen fürs Twittern von Pornos

Sie haben sexy Aufnahmen getwittert, deshalb bekommen sie Ärger mit der Staatsanwaltschaft: Die Medienaufsicht hat rund 150 Accounts wegen der Verbreitung von Pornografie hochgenommen. Betroffene fordern radikales Umdenken und Reformen.

Innige Umarmung eines Pärchens. Schriftzug einer Belehrung zur schriftlichen Äußerung im Strafverfahren, Tatvowurf: Verbreitung von Pornografie
Dieses Bild dürfte unter zulässige Erotik fallen (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten Paar: IMAGO / imagebroker; Montage: netzpolitik.org

Seit Dezember geht die deutsche Medienaufsicht verstärkt gegen Accounts von Porno-Darsteller*innen und Sexarbeiter*innen vor. In rund 150 Fällen gab es allein in Berlin und Brandenburg Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft, wie die zuständige Landesmedienanstalt auf Anfrage mitteilt. Betroffen waren demnach ausschließlich Twitter-Accounts. Der Vorwurf: Verbreitung von Pornografie.

Wer im Internet mehr tut, als gelegentlich den ARD-Teletext zu sichten,  dürfte schon mitbekommen haben, dass es hier jede Menge Pornos gibt. Sie kursieren auf Plattformen wie Twitter, Reddit, Discord und Telegram; einige der meistbesuchten Websites überhaupt sind gar auf Pornos spezialisiert. Aber die pornografischen Inhalte der rund 150 Accounts aus Berlin und Brandenburg, die waren der Medienaufsicht offenbar ein Dorn im Auge.

Wir haben auch die Medienanstalten anderer Bundesländer um Zahlen gebeten, wie viele Porno-Accounts sie jüngst zur Anzeige gebracht haben. Die Gemeinsame Geschäftsstelle kündigte am Mittwoch eine gebündelte Antwort an, allerdings erst nach Ostern.

Das Vorgehen der Medienaufsicht gegen die Accounts ist „Zensur“, schreibt Paulita Pappel, deutsche Pornoproduzentin und Sprecherin der Free Speech Coalition Europe an netzpolitik.org. Der Verein vertritt die Interessen von Pornobranche und Sexarbeiter*innen. „Wir werden wie Kriminelle behandelt“, schreibt sie.

Das ist mehr als nur ein Vergleich, denn in Deutschland ist die Verbreitung von Pornografie tatsächlich illegal, und sie kann weitaus härter bestraft werden als etwa über eine rote Ampel zu fahren. Strafgesetzbuch Paragraf 184: Wer einen pornografischen Inhalt an einem Ort zugänglich macht, der von Personen unter achtzehn eingesehen werden kann, „wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft“.

Der einzige Ausweg für Porno-Anbieter*innen, um sich nicht strafbar zu machen, ist eine knallharte Alterskontrolle. Sie müssen von Nutzer*innen etwa verlangen, dass sie ihren Personalausweis vorlegen.

„Atmosphäre der Angst“

Twitter hat keine ausreichend strengen Alterskontrollen, ebenso wenig die meisten anderen populären Online-Dienste. Das heißt, wer mal eben einen Porno twittert, kann sich strafbar machen. Zwar könnte man meinen, Paragraph 184 ist ein einsamer Geisterfahrer auf einer rauschenden Autobahn aus Abermillionen Online-Pornos. Bloß, in diesem Fall ist der Geisterfahrer offiziell im Recht.

Die Berliner Medienaufsicht setzt dieses Recht als Behörde durch. Eine Sprecherin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg schreibt, dabei gehe es immer auch um „Sensibilisierung“. Bei Paulita Pappel kommt diese Sensibilisierung eher als Abschreckung rüber. Sie schreibt: „Diese Aktionen schaffen eine Atmosphäre der Angst und erwürgen die Industrie politisch und finanziell.“

Und so geht es nicht nur ihr. In den letzten Wochen haben uns mehrere E-Mails von Betroffenen und Interessierten erreicht. Sie wollten wissen, was da los ist. Einige Betroffene machen ihre Fälle öffentlich, in der Branche geht Angst um. Sogar das englischsprachige Magazin WIRED berichtete über das rigorose Vorgehen der Behörden in Deutschland. Im Ausland ist man darüber verwundert, immerhin gilt Deutschland als liberal, da hier Sexarbeit unter Auflagen legal ist.

Für die betroffenen Menschen hinter den Accounts sind die Anzeigen eine ernste Sache – und nicht nur, weil sie dafür verurteilt werden könnten. Viele in der Erotik-Branche nutzen ihre Social-Media-Accounts als Zugang zu Kund*innen, sie sind weit mehr als ein Prestige-Objekt. Kein Social-Media-Account, kein Geld. Es geht um die finanzielle Existenz.

Wissenschaftlerin im Visier der Behörden

„Beängstigend“ finden das auch die Berliner Tim und Julian, die im Netz ein eigenes Pornoprojekt betreiben. Sie wurden ebenfalls von der Berliner Medienaufsicht angezeigt. „Diese Geschehnisse bedrohen Sexarbeitende und Pornoproduzierende in Deutschland“, schreiben sie uns in einer E-Mail. Auf der Seite maenner.media haben sie ihre Geschichte auch öffentlich gemacht.

Ins Visier der Behörden gerieten nicht nur Darsteller*innen, sondern auch eine Wissenschaftlerin. Madita Oeming forscht seit Jahren zu Pornografie. Auf ihrem Twitter-Account liefert sie Aufklärung über die Erotik-Branche und über hartnäckige Tabus rund um Sexualität. Dabei twitterte Oeming auch mal Screenshots aus Pornos. Die Forscherin zeigte uns Dokumente, aus denen hervorgeht: Auch gegen Sie hatte die Staatsanwaltschaft ermittelt, das Verfahren aber eingestellt.

Während ein Aufschrei durch die Erotik-Szene geht, kommen Missverständnisse auf. Unter anderem das US-Magazin WIRED schrieb, die Medienaufsicht habe beim Vorgehen gegen Porno-Accounts ein Werkzeug namens KIVI eingesetzt. Auch unter Betroffenen geht die Vermutung um, dass die hohe Zahl der Anzeigen auf KIVI zurückgeht. Mit dem Werkzeug KIVI durchsuchen die Landesmedienanstalten automatisch und massenhaft das Netz nach verdächtigen Texten und Bildern. Früher haben das Mitarbeiter*innen in mühsamer Handarbeit gemacht. Heute erscheinen in einem Ticketsystem reihenweise Verdachtsmeldungen, die Sichter*innen nur noch abarbeiten müssen. Seit 2022 ist das Tool deutschlandweit im Einsatz.

Doch in diesem Fall liegt wohl ein Irrtum vor: KIVI war bei den rund 150 angezeigten Accounts nicht involviert, wie die Medienanstalt Berlin-Brandenburg auf Anfrage mitteilt. „Das KI-Tool KIVI kam bei der Bearbeitung der genannten Fälle nicht zum Einsatz.“ Alle Fälle seien durch Mitarbeitende recherchiert worden.

Es könnte viel einfacher sein

Regulierungen sind eine Sache – eine andere Sache ist, was sie eigentlich bezwecken sollen. Die Frage ist relevant, denn für Behörden gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Er besagt: „die gewählten Mittel müssen in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehen“. Einfach ausgedrückt: Auch Behörden sollten es nicht übertreiben.

Die Medienaufsicht in Deutschland wacht über den Jugendmedienschutz. Im Fall von Pornografie bedeutet das: Kinder und Jugendliche sollen keine Inhalte sehen, die sie nicht gut verarbeiten können. Das Vorgehen gegen rund 150 Twitter-Accounts wirft jedoch die Frage auf, was genau Jugendliche davon haben.

Fabienne Freymadl ist Sexarbeiterin und Expertin für Sexarbeitspolitik. „Ich bin davon überzeugt, dass Kinder- und Jugendschutz den Creator*innen sehr am Herzen liegt“, schreibt sie. Doch ein rigoroses Vorgehen gegen einzelne Accounts, wie es die Medienaufsicht betreibt, sei dafür nicht die Lösung.

Freymadl und Pornoproduzentin Paulita Pappel empfehlen, die Sache anders anzugehen. Eine Möglichkeit dafür sind Filter direkt auf den Geräten von Minderjährigen. Eltern müssten diese Programme dann einrichten. „Es sollte reichen, meinen Content als ‚ab 18‘ zu kennzeichnen, und dann obliegt es der Verantwortung der Eltern, dass sie ihren Kindern Jugendschutzprogramme installieren“, schreibt Freymadl.

Die dafür notwendige Technologie gibt es längst. Ein Anbieter dafür ist etwa JusProg. Die deutschsprachige Software lässt sich auf Laptops und Handys installieren und filtert automatisch pornografische Websites aus. Die Seiten lassen sich auf den Geräten dann nicht mehr öffnen. Aktuell sind die Filter weitaus effektiver als die Bemühungen der Medienaufsicht. Denn Pornoseiten wehren sich beharrlich gegen die Einführung harter Alterskontrollen, die auch Abermillionen erwachsene Nutzer*innen einschränken würden. Gegen lokale Filter auf einem Kinderhandy könnten Pornoseiten dagegen wenig tun – und würden das wohl kaum wollen.

xHamster führt Medienaufsicht vor

Bloß: Vor dem Gesetz sind diese Filter nicht genug, zumindest nicht in Deutschland. Die Kontrolle muss demnach härter sein, sonst ist das illegal. Deshalb kann die Medienaufsicht Menschen wegen ihrer Twitter-Accounts bei der Staatsanwaltschaft anzeigen. Und Creator*innen wie Pappel oder Freymadl müssen um ihre Accounts bangen.

Erotik erlaubt, Pornografie verboten

Es gibt noch einen weiteren Ausweg. In Deutschland ist es nicht grundsätzlich illegal, wenn Sexarbeiter*innen und Porno-Darsteller*innen Social-Media-Accounts betreiben, um für ihre kostenpflichtigen Angebote zu werben. Sie dürfen dort sogar sexy Inhalte hochladen. Aber sie dürfen nicht zu sexy sein. Die Medienaufsicht trifft hier eine Unterscheidung: „Erotik“ ist erlaubt, „Pornografie“ nicht.

Wir wollten diesen Unterschied genauer verstehen und haben uns bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg erkundigt. Wenn sich Menschen an alle Regeln halten wollen – was müssen sie tun? In ihrer Antwort verwies die Behörde auf die amtlichen Definitionen zu Erotik und Pornografie. Doch die werfen mehr Fragen auf, als sie klären. Und sie lesen sich, als wäre man wieder in den Fünfzigern.

Da gibt es etwa einen Katalog der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), einem Organ der deutschen Medienaufsicht. Dort stehen einige Kriterien, wann Erotik die Grenzen zur unzulässigen Pornografie überschreitet. Etwa wenn ein Angebot Kindern und Jugendlichen die „Übernahme problematischer Verhaltensweisen“ nahelegt. Nicht OK sind demnach „aggressive Sexualakte, bizarre Sexualpraktiken, Verwendung von Hilfsmitteln, Gruppensex“.

Was mit „bizarr“ genau gemeint ist, steht dort nicht. Auch nicht, welche „Hilfsmittel“ angeblich tabu sind. Zur Einordnung: Auch Minderjährige dürfen sich legal Sextoys wie Vibratoren kaufen. Wie man sie einsetzt, dürfen sie laut KJM-Kriterien aber offenbar nicht immer sehen. Der Unterschied zwischen Erotik und Pornografie werde stets im Einzelfall überprüft, wie eine Sprecherin erklärt.

„Zeit, dass wir im 21. Jahrhundert ankommen“

Ein weiteres Warnsignal laut Dokument: Wenn „Promiskuität oder Prostitution“ – das heißt: wechselnde Sexualpartner*innen und Sexarbeit – verharmlost werden. Sexarbeiterin Fabienne Freymadl kritisiert all das gegenüber netzpolitik.org als schwammig, undurchsichtig und schwer nachvollziehbar. Zudem seien die Kriterien sex- und sexarbeitsfeindlich. „Es wird Zeit, dass wir im 21. Jahrhundert ankommen. Weder ein aktives Sexualleben mit mehreren wechselnden Partner*innen noch das Ausüben von Sexarbeit sind in irgendeiner Art und Weise moralisch verwerflich.“

Niemand kann Jugendliche vor Pornos schützen

Auch eine Definition von Pornografie liefert die KJM auf einer Infoseite. Unter Pornografie fällt demnach eine Darstellung, „die unter Ausklammerung sonstiger menschlicher Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher Weise in den Vordergrund rückt“. Es gehe um die „überdeutliche und detaillierte Darstellung sexueller Vorgänge“. Offensichtlich haben die Verfasser*innen selbst um Worte gerungen. Sie nennen als Kriterium für Pornos auch die „Fiktion der unerschöpflichen Potenz und der unermüdlichen Hingabebereitschaft der Beteiligten“.

Das mag fast schon poetisch anmuten. Es erklärt aber nicht konkret, was Creator*innen hochladen dürfen und was nicht. Für manche mag schon eine enge Hose „grob aufdringlich“ sein, für andere erst nachdrückliches Gerammel. Und ist nackt knutschen nur erotisch – oder bereits pornografisch?

Betroffene fordern klaren Leitfaden

Paulita Pappel findet die Informationen der KJM „unzureichend“, außerdem würden sie eine veraltete Sexualmoral reproduzieren. Auch Freymadl wünscht sich mehr Klarheit. „Die KJM muss da entschieden nachbessern“, schreibt sie. „Es braucht einen sehr eindeutigen Leitfaden für Creator*innen mit bebilderten Beispielen. Da die Medienaufsicht auch einen erzieherischen Auftrag hat, sollte das für sie kein Problem darstellen.“ Dafür sollte die Medienaufsicht mit Profis sprechen: Sexualwissenschaftler*innen, Medienpädagog*innen, Sexarbeitenden und Creator*innen.

So ein Leitfaden dürfte für die Medienaufsicht kein Neuland sein. Bei einem anderen Thema ist es ihr zum Beispiel gelungen, komplizierte Regelungen herunterzudampfen: Auf sieben übersichtlichen PDF-Seiten erklärt die Behörde, wann und wie Influencer*innen Werbung kennzeichnen müssen, denn auch Werbeaufsicht gehört zu ihren Aufgaben. Warum sollte es also nicht auch einen Leitfaden dazu geben, wie man rechtssicher erotische Inhalte verbreitet?

Darüber hinaus fordert Pappel Reformen. „Die juristische Definition von Pornografie braucht dringend eine Überarbeitung“, schreibt sie. Sie verlangt eine sinnvolle Differenzierung zwischen erlaubten und strafbaren Inhalten. An dieser Stelle ist dann nicht mehr die Medienaufsicht gefragt, sondern der Gesetzgeber. Pappel verweist auf die Forschung der Juristin Anja Schmidt von der Universität Halle-Wittenberg. Vergangenes Jahr hat Schmidt im Podcast-Interview mit netzpolitik.org erklärt, warum das Sexualstrafrecht veraltet ist und was sich verändern könnte.

Offenlegung: netzpolitik.org-Gründer Markus Beckedahl ist seit 2010 Mitglied des Medienrats der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb).


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