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Umstrittene Terror-Ermittlungen: Der Messenger Signal als „Kult der Geheimhaltung“

In einem Verfahren mit bislang wenigen Beweisen versuchen französische Ermittlungsbehörden die Nutzung von weit verbreiteten Verschlüsselungstechniken als Beleg für klandestines Verhalten heranzuziehen. Die Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net kritisiert dieses Vorgehen.

Tastatur mit Schraubenschlüsseln und der Aufschrift "Pssst"
Nach den Maßstäben der französischen Ermittler wird so jede:r zum Klandestinen, der seine Privatsphäre schützt. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Panthermedia

Die französische Digital-Rights-Organisation „La Quadrature du Net“ berichtet von Ermittlungen gegen eine Gruppe von linken Aktivist:innen, denen Terrorismus vorgeworfen wird. In der sogenannten „Affäre des 8. Dezember 2020“ stellen die Ermittlungsbehörden laut der Bürgerrechtsorganisation die alleinige Nutzung von Verschlüsselungstechniken und Anonymisierungswerkzeugen als eine Art Beweis dar, dass die Gruppe klandestin handele und damit ein „terroristisches Verhalten“ an den Tag lege. Die französische Justiz wirft den festgenommenen Personen vor, dass sie Anschläge auf Polizei und Militär geplant hätten. Die sieben unter Terrorverdacht Festgenommenen bestreiten die Vorwürfe.

Laut La Quadrature taucht ein Satz in den Akten etwa 100 Mal auf: „Alle kontaktierten Mitglieder verhielten sich klandestin, mit erhöhter Sicherheit der Kommunikationsmittel (verschlüsselte Anwendungen, Tails-Betriebssystem, TOR-Protokoll, das anonymes Surfen im Internet und im öffentlichen WLAN ermöglicht).“ Gleichzeitig habe man den mutmaßlichen Mitgliedern der Gruppe laut der Ermittlungsakte etwa 150 Fragen zu Verschlüsselung und Anonymisierung gestellt.

In den Untergrund wegen Jitsi und VPN?

Über mehrere Seiten versuchen die Ermittlungsbehörden laut la Quadrature die Nutzung solcher Tools, und besonders hervorgehoben der Messenger Signal, als Beweis zu beschreiben. So zitiert die Bürgerrechtsorganisation aus der Akte:

Die Protagonisten des Falles zeichneten sich alle durch ihren Kult der Geheimhaltung und ihre Besessenheit von Diskretion aus, sowohl bei ihren Kontakten als auch bei ihrem Surfen im Internet. Die verschlüsselte Anwendung Signal wurde von allen Angeklagten genutzt, von denen einige ausschließlich über diese Anwendung kommunizierten.

Auch würde mit der Betonung angeblich großer Computerkompetenz, die zum Beispiel damit begründet wird, dass ein Verdächtigter das Betriebssystem Linux mit Verschlüsselung auf seinem Computer installiert habe, ein „alarmierendes Narrativ“ konstruiert, so La Quadrature. Handschriftliche Notizen zur Installation alternativer Handy-Betriebssysteme oder zur Nutzung der Videokonferenzsoftware Jitsi bestätigten laut der Akte „den Wunsch von X, in den Untergrund zu gehen und ihre Aktivitäten zu verbergen“. Einem Verdächtigen wird laut den Akten vorgehalten, dass er seine Mutter zur Nutzung von Signal überzeugt hätte. Zu den Fragen, die sich die Verdächtigen anhören mussten, gehörte laut Quadrature auch, ob die Verdächtigen gegen Google, Apple, Facebook und Amazon (GAFA) seien.

„Weit verbreitete und harmlose digitale Gewohnheiten“

Enthalten in der Akte sind laut der Bürgerrechtsorganisation auch Fehler, die auf ein mangelndes technisches Verständnis der Ermittlungsbehörden hinweisen. La Quadrature kritisiert, dass im vorliegenden Fall „weit verbreitete und harmlose digitale Gewohnheiten“ zu dem einzigen Zweck benutzt würden, eine „Verschwörungs“-Atmosphäre zu schaffen, die angeblich kriminelle Absichten verrate.

An dieser Stelle verweist die Bürgerrechtsorganisation auf die Terror-Ermittlungen im Fall Tarnac. Damals war einem Verdächtigen unterstellt worden, dass er klandestin handle, weil er kein Handy habe. Die französische Polizei hatte eine Landkommune unter Terrorverdacht gestellt, doch das Verfahren scheiterte, der Terrorverdacht wurde zurückgenommen, es kam zu Freisprüchen.

Auch die Beweise gegen die neuerliche angebliche Terror-Gruppe sind dünn. Beschlagnahmt wurden bei Hausdurchsuchungen laut Le Monde diplomatique ein Jagdgewehr, eine Pistolen-Attrappe und ein Helm der französischen Bereitschaftspolizei CRS, dazu noch Chemikalien wie Wasserstoffperoxid, Salzsäure und Aceton, die auch in ganz normalen Haushalten zu finden sein dürften.

In den Fokus der Behörden waren die Festgenommen geraten, weil sie im syrischen Rojava auf Seiten der kurdischen Verbände gegen den Islamischen Staat gekämpft hatten. Daraufhin hatte sich die französische Polizei bei der Rückkehr 2018 entschlossen, einige der Personen zu überwachen. Von den Festgenommenen ist noch eine Person im Gefängnis, das Gerichtsverfahren soll dieses Jahr stattfinden.


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