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FAQ: Was Bezahlkarten für Geflüchtete bedeuten

Asylsuchende sollen künftig Bezahlkarten statt Bargeld bekommen. Doch was soll das bringen? Und was unterscheidet die Karten von traditionellen Zahlungsmitteln? Die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengefasst.

Bargeld- und Kartenzahlungslogo. Unter dem Bargeldlogo ist ein roter Pfeil, unter dem Kartenlogo ein grüner Pfeil.
Asylsuchende sollen statt Bargeld eine Bezahlkarte bekommen. Aber dadurch ändert sich mehr als nur ein Zahlungsmittel. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Markus Spiske, Bearbeitung: netzpolitik.org

Im thüringischen Greiz gibt es sie, in Hannover auch: Bezahlkarten für Asylsuchende. Bald soll eine bundesweit einheitliche Bezahlkarte kommen. Wie sie genau funktioniert, ist entscheidend, denn Bezahlkarte ist nicht gleich Bezahlkarte. Zwischen den verschiedenen Modellen gibt es große Unterschiede. Die eine schränkt Geflüchtete ein, die andere eröffnet ihnen Teilhabemöglichkeiten ohne viel Verwaltungsaufwand.

Wir haben Argumente überprüft und zusammengefasst, was bei der aktuellen Diskussion um die Geldkarten für Geflüchtete wichtig ist.

Was unterscheidet eine Bezahlkarte von einer EC-Karte?

Für eine EC-Karte brauchen Personen ein eigenes Konto. Auch Geflüchtete haben Anspruch auf ein sogenanntes Basiskonto. Wenn sie gerade erst in Deutschland angekommen sind, haben sie jedoch oftmals noch keines. Teilweise gibt es auch bei der Kontoeröffnung Hürden.

Für eine Bezahlkarte ist ein eigenes Konto nicht erforderlich. Die Karten können wie eine Prepaid-Karte funktionieren, verwaltet in der Regel von der Kreisverwaltung. Diese kann die Karte mit Guthaben aufladen, entladen oder sogar sperren. Welche weiteren Einschränkungen es zur Karte gibt, hängt momentan noch von der jeweiligen Ausgabestelle ab.

So lässt sich beispielsweise einschränken, ob und wie viel Bargeld mit der Karte abgehoben werden darf. Oftmals werden auch Überweisungen verboten, vor allem ins Ausland. Eingrenzen lässt sich außerdem die Region, in der die Karte genutzt werden kann, oder die Art der Geschäfte und Waren, die Antragsteller:innen damit kaufen können. In Greiz begrenzt die Verwaltung den Radius etwa auf einen Teil von Thüringen, die Karte aus Hannover gilt dagegen an jedem Geldautomaten und in jedem Geschäft, das Visa-Zahlungen akzeptiert.

Wo gibt es bereits Bezahlkarten?

Einige Kommunen haben die Bezahlkarte bereits eingeführt, so etwa die Städte Hannover, Leipzig oder der Ortenaukreis in Baden-Württemberg. Dort bekommen Geflüchtete bereits seit vergangenem Jahr eine Geldkarte des Anbieters Publk GmbH ausgehändigt. Die Verwaltung überweist darauf die monatlichen Leistungen. Mit der Karte können sie online oder in Geschäften zahlen und Bargeld abheben. Überweisungen sind dagegen nicht möglich. Glücksspiel ist mit der Karte ebenfalls ausgeschlossen.

Auch die Thüringer Landkreise Greiz und Eichsfeld testen gerade eine Bezahlkarte, sie kommt vom Konkurrenz-Anbieter Givve. Bezahlen können die Asylsuchenden damit nur in Geschäften in der unmittelbaren Umgebung. Geld abheben oder Überweisungen tätigen können sie mit der Karte auch nicht – eine deutliche Einschränkung. Ab Ende Januar soll das Modell in Greiz auf alle rund 750 Geflüchtete im Kreis ausgeweitet werden – mit Ausnahme von Geflüchteten aus der Ukraine. Eichfeld will ab Februar alle Asylsuchenden mit der Karte versorgen.

Wo sollen Bezahlkarten jetzt eingeführt werden?

Bezahlkarten sollen bundesweit kommen. Darauf haben sich der Bundeskanzler und die Ministerpräsident:innen der Länder im November verständigt. Laut ihrem Beschluss sind sie „sich einig in der Zielsetzung, Barauszahlungen an Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz einzuschränken und damit auch Verwaltungsaufwand bei den Kommunen zu minimieren. Hierzu soll eine Bezahlkarte eingeführt werden“. Bis zum 31. Januar soll eine Arbeitsgruppe dafür ein Modell erarbeiten.

Die meisten Bundesländer haben sich bereits darauf geeinigt, an einer gemeinsamen Ausschreibung teilzunehmen. Das Vergabeverfahren soll Dataport durchführen, ein IT-Dienstleister für die öffentliche Verwaltung mehrerer Bundesländer.

Bayern will sich indessen nicht an der gemeinsamen Ausschreibung beteiligen, dort laufe laut Innenstaatssekretär Sandro Kirchner bereits die Vergabe. Ein Zuschlag soll im Februar erfolgen, direkt danach soll ein Pilotbetrieb starten.

Wie viel Geld bekommen Antragsteller:innen?

Solange Geflüchtete noch im Asylverfahren sind, bekommen sie weniger als das Bürgergeld. Ab ihrer Antragstellung haben sie Anspruch auf sogenannte Asylbewerberleistungen. Wie viel genau sie bekommen, legen die Leistungssätze nach dem Asylbewerber­leistungsgesetz fest.

Demnach stehen einer alleinstehenden Person aktuell insgesamt 460 Euro zu. Die teilen sich auf: in 256 Euro für den „notwendigen Bedarf“ und 204 Euro für den „notwendigen persönlichen Bedarf“. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Asylsuchenden über das gesamte Geld frei verfügen können.

Ausbezahlt bekommen sie in der Regel deutlich weniger, etwa wenn sie in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind und die nötigen Aufwendungen für eine Unterkunft von dem Betrag abgezogen werden. Auch Lebensmittel oder Kleidung werden teilweise als Sachleistungen bereitgestellt. Dadurch sinkt der Geldbetrag weiter, den die Personen selbstständig nutzen können. In solchen Fällen geht es in der Regel um teils weniger als 200 Euro pro Monat, die Personen ausgezahlt werden.

Warum sollen Geflüchtete kein Bargeld oder eine normale EC-Karte bekommen?

Bisher müssen Asylbewerber:innen ihre Geldauszahlungen in der Regel persönlich zu einem bestimmten Termin abholen. Das ist für die Kommunen ein hoher Verwaltungsaufwand. Dieser wird häufig als Grund für die Abkehr von Bargeldauszahlungen genannt. Doch es ist nicht der einzige. Der potenzielle Vorteil entfällt in der Praxis oft: Vor allem wenn die Geflüchteten, wie in Greiz, dennoch zum Aufladen der Karte persönlich erscheinen müssen.

Manche Politiker behaupten, dass Bargeld ein sogenannter Pull-Faktor sei. Das heißt, ein Faktor, der Deutschland für Schutzsuchende besonders attraktiv macht. So sagte Reinhard Sager, Präsident des Landkreistages: „Wir müssen dringend die Attraktivität unserer Sozialleistungen im Vergleich zu anderen EU-Staaten in den Blick nehmen“.

Der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai glaubt, dass Bargeldzahlungen schnelle Abschiebungen verhindern würden, „da Herkunftsländer davon profitieren, wenn Geld in die Heimat überwiesen wird“.

Vor allem in Bayern und Sachsen steht diese Begründung im Vordergrund. Dabei gilt die Theorie der Push- und Pullfaktoren bereits seit mehreren Jahrzehnten als überholt und stark vereinfachend. So schreibt das Bundesinnenministerium im Jahr 2020 in einer Stellungnahme: „Der Großteil der internationalen Forschung zu den Auswirkungen von Sozialleistungen auf Migrationsentscheidungen […] findet keine [..] oder nur minimale Einflüsse dieser Art.“ Ein gewisser Einfluss auf die „Auswahl des Ziellandes“ sei „plausibel“. Erwiesen ist er jedoch nicht.

Welche Kritik gibt es an Bezahlkarten?

„Wenn eine solche Karte für Geflüchtete ohne eigenes Konto mehr Teilhabe ermöglicht, ist das super“, sagt Muzaffer Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat Niedersachsen gegenüber der SZ. Das bedeute aber, dass die Karte ohne Einschränkungen bezüglich Nutzbarkeit und Bargeldabhebungen kommen müsse. Sonst würde man „das Bild eines trinkenden, rauchenden und zockenden Asylbewerbers zeichnen, für das es keinerlei empirische Evidenz gibt“, so Öztürkyilmaz weiter.

Pro Asyl weist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012 hin, nach dem Geflüchtete das Recht auf ein men­schen­wür­di­ges Exis­tenz­mi­ni­mum haben, das auch die Teil­nah­me am gesell­schaft­li­chen Leben umfasst. Dazu gehöre, selbst bestimmen zu können, wofür sie ihr Geld ausgeben wollen. „Bar­geld­ent­zug schränkt die­se Dis­po­si­ti­ons­frei­heit wei­ter dras­tisch ein“, so der Menschenrechtsverein.

Stefanie Mürbe vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt nennt die eingeschränkten Karten gegenüber dem MDR „Gängelung und Schikane“. Zudem könnten auch die Karten nicht verhindern, dass die Geflüchteten an Bargeld kommen, etwa indem sie Dinge weiterverkaufen, was kaum zu kontrollieren sei.

Welche Firmen bieten Bezahlkarten an?

Die Kommunen entwickeln die Karten nicht selbst, sondern kaufen sie bei bestimmten Anbietern ein, mit denen sie dazu Verträge abschließen. Einige Unternehmen haben Bezahlkarten schon länger im Sortiment, so etwa das Unternehmen Givve, das in Greiz die Karten liefert. Die Up Group, zu der Givve gehört, ist bereits in anderen Ländern wie Frankreich im Bezahlkartenmarkt für Sozialleistungen aktiv. In Deutschland gehörten bisher weniger Kommunen zum Kundenkreis von Givve, sondern vielmehr Firmen, die ihren Mitarbeiter*innen mit Bonuskarten steuerfreie Extras spendieren wollen. Für diese Anbieter schafft die Politik nun einen neuen Markt.

Andere Anbieter richten sich gezielt an Kommunen, so etwa die vom Berater Joerg Schwitalla entwickelte „SocialCard“, die bereits in Hannover und Leipzig eingesetzt wird. Das Unternehmen wirbt mit dem Slogan „Auszahlungen von Sozialleistungen digitalisieren“.

Was kosten die Bezahlkarten?

Die Greizer Landrätin Martina Schweinsburg (CDU) sagte bei der Vorstellung des Modellprojektes, eine Karte von Givve koste den Landkreis drei bis sechs Euro, eine Aufladung koste einen Euro. Der Landkreis rechnet mit etwa 750 Asylsuchenden, die ausgestattet werden sollen. Die Kosten sollen grundsätzlich nicht die Asylsuchenden tragen, sondern die Kommunen.


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