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Vorratsdatenspeicherung: Innenministerin auf Abwegen

Nancy Faeser will die anlasslose Vorratsdatenspeicherung für IP-Adressen. Damit stellt sie sich in die Tradition konservativer Amtsvorgänger – und gegen die Versprechen im Koalitionsvertrag. Ein Kommentar.

Marco Buschmann und Nancy Faeser in einer hitzigen Debatte
Marco Buschmann und Nancy Faeser im Bundestag (Archivbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Future Image

Vorausschauend, evidenzbasiert, grundrechtsorientiert. So wollen SPD, Grüne und FDP ihre Sicherheitspolitik laut Koalitionsvertrag gestalten. Ein Gelegenheitsfenster hierfür öffnete vor einigen Wochen der Europäische Gerichtshof, indem er die Vorratsdatenspeicherung (VDS) in Deutschland für rechtswidrig einstufte.

Nur wenige Wochen später wird Justizminister Marco Buschmann jetzt konkret: Mit einem Gesetz zum Quickfreeze-Verfahren will er die VDS endgültig begraben und eine Alternative einführen. Bei Telekommunikationsanbietern vorhandene Daten sollen künftig im Verdachtsfall „eingefroren“ und bei Bedarf wieder aufgetaut und genutzt werden können. Beides mit Richtervorbehalt, so wie es der Koalitionsvertrag vorsieht.

Also alles gut? Wer bei der Ampel Bürgerrechte bestellt, bekommt sie auch, könnte man meinen. Doch wer so denkt, hat seine Rechnung ohne Nancy Faeser gemacht. Denn die bitterste Kritik an Buschmanns Plänen kommt etwa nicht aus der Opposition, sie kommt von der Regierungsbank.

Der Quickfreeze-Vorschlag könne „ein flankierendes Instrument“ sein, lässt die Bundesinnenministerin verlauten, das „in spezifischen Anwendungsfällen zum Einsatz kommen und wichtige Ermittlungserkenntnisse liefern“ kann. Allerdings sei das Verfahren „kein adäquater Ersatz für eine Speicherung von IP-Adressen“. Man muss diese Worte, die freundlich daherkommen, ein wenig auf sich wirken lassen. Faeser vermeidet zwar die Begriffe „anlasslos“ und „Vorratsdatenspeicherung“, doch was sie fordert, ist genau das: eine weitere massenhafte Speicherung sensibler Kommunikationsdaten auf Vorrat, ohne Anlass.

Keine Ideologie?

Trotz etwa 15 Jahren Debatte und diversen höchstrichterlichen Urteilen: Die Vorratsdatenspeicherung ist einfach nicht totzukriegen. Im Kopf von Sicherheitsbehörden und Innenpolitiker:innen wird sie ewig leben. Nancy Faeser betont, sie wolle ideologische Debatten hinter sich lassen. Denn sie weiß, dass sie nicht anders klingt als die lange Liste ihrer konservativen Amtsvorgänger. Schließlich stellt die Position der Sozialdemokratin einen klaren Bruch mit dem Koalitionsvertrag der selbsternannten „Fortschrittskoalition“ dar, der explizit festhielt, dass Datenspeicherung „rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss“ erfolgen soll.

Tatsächlich hatten die drei Parteien sich im Koalitionsvertrag sogar schon auf ein mögliches Verfahren geeinigt, mit dem zumindest in manchen Fälle auch gezielt IPs gesammelt werden können: Die Log-In-Falle (hier mehr zu dem Konzept). Faeser weiß das alles, denn die Köpfe hinter diesem Konzept, Erik Tuchtfeld und Henning Tillmann, sind nicht nur Mitglieder des Digitalvereins D64, sondern auch der SPD.

Faeser verweist darauf, dass der EuGH eine Möglichkeit für die anlasslose Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen geschaffen habe. Gleiches gelte für Speicheranordnungen an Orten wie Flughäfen oder Bahnhöfen und in Gegenden mit einer hohen Kriminalitätsbelastung. Und sie hat recht: Das Gericht hat diese Tür zur Massenüberwachung offen gelassen. Doch dass zwingend so viel Überwachung herausgeholt werden muss wie rechtlich gerade noch möglich ist, das war immer das Credo der Innenminister von CDU und CSU. Einer Regierung, die sich selbst als progressiv bezeichnet, ist das unwürdig.

Auch zur Begründung legt Faeser eine altbekannte Platte auf: Ohne Vorratsdatenspeicherung könnten die Sicherheitsbehörden ihre Arbeit nicht machen. Während lange Zeit der „Kampf gegen den Terror“ als Grund herhalten mussten, sind die Überwachungsbefugnisse laut Faeser nun zur „Bekämpfung schwerer Kriminalität dringend erforderlich“. Das klingt nach Mord und Totschlag, Faeser führt besonders häufig den Kampf gegen Kindesmissbrauchsdarstellungen ins Feld. Ein Blick auf die Statistik zeigt jedoch, dass es bei staatlichen Überwachungsmaßnahmen überwiegend um Drogenkriminalität geht. Und ausgerechnet in dieser Woche verkündete das BKA, dass es den Betreiber eines der größten Drogen-Handelsplätze im Darknet verhaftet hat. Ganz ohne Vorratsdatenspeicherung.

Maximale Konfrontation

Was aber bedeutet Faesers Konfrontationskurs für eine Koalition, die nach fast einem Jahr im Amt immer noch keine Vision und keinen Modus für die gemeinsame Arbeit an einer besseren Zukunft gefunden hat? Eine Koalition, die im besten Fall nebeneinander her regiert, in der Regel jedoch gegeneinander und kaum zusammen. Der übliche Ausweg lautete bisher: Alle bekommen etwas von dem, was sie gefordert haben – hier der Tankrabatt, dort das 9-Euro Ticket.

In diesem Fall aber wird das nicht funktionieren. Marco Buschmann und die Liberalen sprechen sich seit Jahren vehement gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung aus. Dass Quickfreeze ihr nicht weit genug geht, hatte Nancy Faeser schon seit Wochen verlauten lassen. Dass Buschmann nun einen Gesetzentwurf vorlegt, der trotzdem genau dem entspricht, was er angekündigt hatte, zeugt davon, dass eine Einigung im Vorfeld nicht möglich war. Offenbar wollen sowohl Buschmann als auch Faeser die öffentliche Auseinandersetzung.

Offen ist dabei noch, für wen die Zeit spielt. Während manche sagen, dass es ohne Einigung dann eben gar keinen neuen Datenzugriff gibt, gehen andere davon aus, dass mit dem EuGH-Urteil nur der Teil der Vorratsdatenspeicherung ungültig wird, den das Gericht explizit für rechtswidrig erklärt hat. Die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen, so könnte man argumentieren, bliebe dann in Kraft und müsste umgesetzt werden. So oder so: Wenn die Ermittlungsbehörden dringend mehr Daten benötigen, sollte die Innenministerin das Quick-Freeze-Verfahren nicht blockieren.

Womöglich hat sie das aber auch gar nicht vor. Vielleicht ist Faesers harte Linie auch nur Verhandlungstaktik, um ein Druckmittel in der Hand zu haben und den liberalen Quickfreeze-Entwurf verschärfen zu können. Die Koalitionsarithmetik erfordert schließlich immer einen Kompromiss. Auch hier gibt es eine bewährte Methode konservativer Innenminister: Erstmal das Maximum fordern. Für den Grundrechtsschutz können später andere sorgen.

Ein Kompromiss, der keiner ist

Auch beim Quickfreeze-Verfahren gibt es Stellschrauben, die das Gesetz für Ermittlungsbehörden attraktiver machen können, allen voran die Datenverfügbarkeit. Damit das Modell funktioniert, braucht es schließlich Daten, die die Telekommunikationsanbieter infrieren können. Die Unternehmen halten sie für Sicherheits- und Abrechnungszwecke eine Weile vor, doch Kritiker:innen fürchten, dass diese Daten zu schnell gelöscht werden.

Hier könnte die Innenministerin nachhelfen wollen, indem sie eine neue Speicherauflage oder zumindest eine explizite Erlaubnis für wochenlanges freiwilliges Speichern schafft. Dann aber wäre Quick Freeze kaum weniger grundrechtsschonend als die klassische Vorratsdatenspeicherung. Ein Kompromiss, der gar kein Kompromiss ist.

Dass das nicht so kommt, wird in der Ampel auch Aufgabe der Grünen sein. Sie lehnen die Vorratsdatenspeicherung ähnlich vehement ab wie die Liberalen. Eigentlich wollten die beiden kleineren Regierungsparteien sich in der Ampel auch zusammenschließen gegen die Kanzlerpartei SPD. Im ersten Regierungsjahr war davon nicht viel zu merken, die Bürgerrechte könnten sie jetzt wieder enger zusammenbringen.

Bitte nicht noch mehr Zoff

Denn Faeser hat nicht nur den Koalitionsvertrag, sondern auch die Fakten gegen sich. Seit Jahren warnen die Chefs von Bundeskriminalamt und Co. davor, dass die Strafverfolgung im Angesicht digitaler Kommunikation erblinden würde. Gleichzeitig präsentieren sie einen Ermittlungserfolge im Darknet nach dem anderen.

Denn das digitale Waffenarsenal der Strafverfolger:innen ist auch ohne Vorratsdatenspeicherung in den letzten Jahren enorm gewachsen. Allein die Information, welcher Person eine Telefonnummer gehört fragten die Behörden in Deutschland im letzten Jahr 24 Millionen Mal ab. Das ist einmal pro Sekunde. Und während bei Missbrauchsdarstellung von Kindern irreführende Informationen zu drastisch gestiegenen Fallzahlen kursieren, liegt die Aufklärungsquote schon heute bei 92,5 Prozent.

Evidenzbasierte Sicherheitspolitik, das würde zunächst auch bedeuten, Zahlen auf den Tisch zu legen. Wie oft werden IP-Adressen abgefragt und für welchen Zweck? Fortschrittlich wäre es zudem, die Logik umzudrehen: Statt erst mal das Maximum herauszuholen, das dann später von Gerichten auf das grundrechtlich gerade noch akzeptable Maß heruntergestutzt werden muss, könnte die Ampel den Quickfreeze-Versuch wagen. Wenn die Praxis zeigt, dass damit nicht genug Daten verfügbar sind, kann sie immer noch nachbessern.

Die Ampel-Koalition hat wahrlich genug Konflikte. Die Bürgerrechte sollten nicht auch noch dazukommen.


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