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Elektronische Gesundheitskarte: Warum Sie nur noch geerdet zum Arzt gehen sollten

Elektrostatische Aufladung
Wer elektrostatisch aufgeladen in eine Praxis geht, legt dort vielleicht unwissentlich die IT lahm. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Becker&Bredel

In der schönen, neuen Welt der digitalen Gesundheit sollten den elektronischen Gesundheitskarten (eGK) eine entscheidende Rolle zukommen. Versicherte können die neuen Karten schon jetzt bei ihrer Krankenkasse anfordern oder bekommen automatisch eine neue Karte, wenn die alte abläuft. Es gibt da nur ein kleines Problem. Die neuen Karten könnten die Wartezeit auf das ärztliche Gespräch verlängern. Eine elektrostatische Ladung reicht offenbar aus, um zuerst das Lesegerät und dann die IT der Praxis lahmzulegen.

Schon Ende des letzten Jahres gab es vermehrt Meldungen über Probleme mit den neuen Gesundheitskarten. Das Einstecken einer solchen Karte in die Lesegeräte der Praxen führte in einigen Fällen zu Fehlermeldungen oder zum Absturz des Lesegeräts. Die Münchner Internistin Karen von Mücke berichtet gegenüber netzpolitik.org, dass dieses Problem ihre Praxis zeitweise lahmlegen würde: „Wenn ein Patient eine neuartige Gesundheitskarte hat, hängt sich regelmäßig das Lesegerät auf. Und dann geht bei der Telematikinfrastruktur nichts mehr. Der Neustart braucht dann immer Zeit, die wir im Praxisalltag einfach nicht haben.“

Zahlreiche andere Praxen berichten über ähnliche Probleme, sagt die Medizinerin. Für die Konnektoren, die die Praxen mit der Telematikinfrastruktur (TI) verbinden, ist die Gematik verantwortlich, die teilstaatliche Gesellschaft für die Digitalisierung des Gesundheitssystems. Die Gematik macht derzeit „elektrostatische Aufladung“ der Karten für die Probleme verantwortlich.

Vielleicht ist der Fußboden schuld

Elektrostatische Aufladung kennen viele Menschen aus dem Alltag. Wer mit Gummisohlen über einen Teppich läuft und danach eine Türklinke anfasst, bekommt einen kleinen Stromschlag, wenn die zuvor aufgenommene Ladung wieder abfließt. Auch die eigene Kleidung kann für eine Aufladung sorgen.

Dieses Phänomen scheint nun laut Gematik dafür zu sorgen, dass sich die Lesegeräte automatisch neu starten. Die Karte kann zum Beispiel durch die Kleidung elektrostatisch geladen werden und entlädt sich offenbar im Gerät. Ob der Störfall eintritt hängt laut Gematik etwa von der Art des Fußbodenbelags und den Witterungsverhältnissen ab. An einer Lösung werde „mit Hochdruck“ gearbeitet.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung fordert eine sofortige und umfassende Lösung des Problems. Ein Mitglied des Vorstandes bezeichnet in einer Pressemitteilung das Verhältnis zur Gematik als „zum wiederholten Male erschüttert“.

Auch Karen von Mücke ist fassungslos angesichts der Auswirkungen auf den Praxisalltag: „Wir haben weit über hundert Praxisverwaltungssysteme in Deutschland. Ich kann schon verstehen, dass es da bei der Technik manchmal Schwierigkeiten gibt. Aber ich nutze das System des Marktführers CompuGroup Medical und auch deren Konnektor, und trotzdem klappt es nicht.“ Hilfe von ihrem Anbieter war für die Ärztin nur schwer zu bekommen. In Folge eines Ransomware-Angriffs ist CompuGroup Medical seit Ende Dezember nur eingeschränkt erreichbar.

Honorarabzug für TI-Muffel

Die Internistin ist erst seit September 2021 an die Telematikinfrastruktur angebunden. Sie habe sich lange dagegen gewehrt. „Nachdem die Kassenärztliche Vereinigung vermittelte, ohne TI-Anwendungen wie der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder dem E-Rezept würde ich bald handlungsunfähig, bin ich eingeknickt.“ Auch der finanzielle Druck sei irgendwann zu groß geworden.

Der Anschluss an die TI ist für Arztpraxen inzwischen Pflicht. Wer bis Ende Juni 2019 keinen Anschluss hatte, dem wurden die Honorare gekürzt. Zunächst um ein Prozent, seit März 2020 sogar um 2,5 Prozent. Außerdem gibt es Abzug, wenn eine Praxis nicht in der Lage ist, bestimmte digitale Anwendungen wie die elektronische Patientenakte anzubieten.

Die neueste Generation der Gesundheitskarten beherrscht das, was EC-Karten schon länger können: kontaktlose Datenübertragung mittels Near Field Communication (NFC). Beim Bezahlen im Supermarkt wird die EC-Karte einfach an das Lesegerät gehalten und so die Zahlung autorisiert. Ganz ähnlich soll das mit der Gesundheitskarte funktionieren. Bei digitalen Anwendungen wie dem elektronischen Rezept oder der elektronischen Patientenakte (ePA) können gesetzlich Versicherte sich mit ihrer Karte in den entsprechenden Apps anmelden, indem die Karte mit dem Smartphone kommuniziert und die Person eindeutig identifiziert. Dafür brauchen die Patient:innen sowohl eine Karte der neuesten Generation als auch ein modernes Smartphone, das NFC-fähig ist.

Obwohl sich der Start des E-Rezepts auf unbestimmte Zeit verzögert und die elektronische Patientenakte nur schleppend anläuft, soll mit den neuen Karten schon die Grundlage für eine breite Nutzung der digitalen Anwendungen gelegt werden.

„Die TI ist nicht zuverlässig“

Für Karen von Mücke ist die TI-Pflicht ein Zeichen, dass es noch an vielen Stellen hapert: „Ich bin total offen für ein digitalisiertes Gesundheitssystem“, sagt sie. Sie habe etwa schon gute Erfahrungen mit Apps zur Blutzuckerverwaltung für Diabetes-Patient:innen gemacht. „Aber wenn man die Praxen mit Honorarabzug dazu zwingen muss, sich die TI anzuschaffen, zeigt das, dass das System einfach nicht attraktiv genug ist.“

Die Kritik der Medizinerin ist vielfältig: „Die TI ist nicht zuverlässig, die Probleme mit der Gesundheitskarte sind nur die Spitze des Eisbergs. 2020 ist das Netzwerk einfach mal für sechs Wochen komplett ausgefallen.“ Ein Konfigurationsfehler legte damals die Konnektoren aller vier Anbieter lahm. Auch die Sicherheitslücke log4j sorgte im Dezember 2021 dafür, dass einige Dienste der TI vom Netz genommen werden mussten, um die sensiblen Daten der Patient:innen nicht zu gefährden. Wieder Unsicherheit in den Praxen, wieder keine Zuverlässigkeit der digitalen Dienste.

Für viele Betroffene ist der Zeitdruck für dieses Chaos verantwortlich, unter dem in der Ära Spahn viele digitale Dienste im Gesundheitswesen eingeführt werden mussten. So gibt es zwar schon seit knapp zwanzig Jahren erste Ideen für eine elektronische Patientenakte; bei der konkreten Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben fühlen sich aber viele Beteiligte unter Stress gesetzt.

Immer wieder Hast im Gesundheitsministerium

So musste der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) das Prestigeprojekt seines Vorgängers, das E-Rezept, kurz vor der bundesweiten Einführung stoppen, weil offenbar keine aussagekräftigen Tests stattgefunden hatten. Die elektronische Patientenakte wurde 2021 eingeführt, obwohl der Bundesdatenschutzbeauftragte sie in der damaligen Form für rechtswidrig hielt. Ein Jahr später, zu Beginn dieses Jahres, wäre eine gesetzeskonforme Version der ePA bereit gewesen. Doch so lange wollte Jens Spahn (CDU) nicht warten.

Aufsehen erregte auch ein Gesetz aus dem Frühjahr 2021, das die Notfallversorgung in Deutschland neu regeln sollte. Die Ersteinschätzung in Notaufnahmen sollte vereinheitlicht werden. Im Prinzip hielten das viele für einen guten und notwendigen Schritt. Doch die Fachgesellschaften befürchteten den Einsatz einer nicht ausreichend getesteten Software für die Triage und sahen die Sicherheit der Patient:innen gefährdet.

„Auf Kosten der Versicherten“

Karen von Mücke hat noch mehr Kritik: „Nachdem wir Ärzte jetzt gezwungen wurden, uns gegen alle Bedenken und auf Kosten der Versicherten die Telematikinfrastruktur ins Haus zu holen, sollen die Konnektoren in wenigen Jahren direkt wieder verschrottet werden.“ Grund dafür sei die neue Generation der TI, die rein auf Software basieren soll. „Das Geld für die Konnektoren, die jetzt noch angeschafft werden, geht den Patienten verloren. Vom Ressourcenaufwand für die Hardware wollen wir gar nicht sprechen.“

Unterdessen werden Praxen kreativ, wenn es um den Umgang mit den telematischen Unzulänglichkeiten geht und basteln sich etwa eine Erdung für ihr Lesegerät:

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Eine händisch angebrachte Erdung kann das Problem der elektrostatischen Aufladung der Karten vielleicht kurzfristig beheben. Doch die Probleme mit den Gesundheitskarten sind nur ein Symptom für ein größeres Problem: Eine Digitalisierungspolitik, die sich mit ihren gesetzliche Vorgaben offfenbar wenig an den Bedürfnissen von Patient:innen und Beschäftigten im Gesundheitssystem orientiert.


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