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Staatstrojaner Pegasus: Ehemaliger UN-Sonderberichterstatter rät EU-Parlament zum Verbot

Bei einem Auftritt vor dem Pegasus-Untersuchungsausschuss im EU-Parlament hat der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte eine klare Botschaft: Der beste Weg, um mit Staatstrojanern umzugehen, wäre deren Verbot. Nationale Sicherheit dürfe Staaten kein Schlupfloch bieten, um diese Technologien straflos zu missbrauchen.

Ein weißer Mann spricht von einer Bühne, dahinter gelber Kreis
David Kaye vor dem Pegasus-Ausschuss: Klare Empfehlung CC-BY-SA 4.0 Screenshot: EU-Parlament, Montage: netzpolitik.org

Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte David Kaye rät dem EU-Parlament, Überwachungstechnologien wie den Staatstrojaner Pegasus zu verbieten. Er habe ernste Zweifel, dass es überhaupt möglich sei, diese Technologien einzusetzen, ohne gegen internationales Recht zum Schutz der Menschenrechte zu verstoßen, sagte Kaye am Donnerstag bei einer Anhörung vor dem Pegasus-Untersuchungsausschuss im EU-Parlament. Der Ausschuss tagt seit April dieses Jahres, um die zahlreichen Überwachungsskandale in der EU im Zusammenhang mit Staatstrojanern zu untersuchen.

Käme es nicht zu einem Verbot, sagte Kaye, sollte zumindest ein temporäres Moratorium für die Entwicklung, den Verkauf und den Einsatz solcher Technologien verhängt werden. Staaten und internationale Organisationen können dann Leitplanken einrichten – etwa eine strikte Exportkontrolle oder radikale Reformen der Rechtsrahmen für deren Einsatz. All diese Schritte nannte Kaye ein „Minimum“, um die Rechtsstaatlichkeit beim Einsatz von Staatstrojanern herzustellen, die derzeit noch nicht gegeben sei.

Kaye hatte bereits 2019 in seiner Rolle als UN-Sonderberichterstatter ein solches Moratorium für Überwachungstechnologien gefordert. Schon damals deutete viel darauf hin, dass etwa der Journalist Jamal Khashoggi vor seiner Ermordung mit Pegasus ausgespäht wurde.

Ohne Transparenz kein Einsatz

Die Spähsoftware Pegasus kann heimlich aus der Ferne auf einem Smartphone installiert werden. Einmal eingerichtet, erlaubt sie Angreifer:innen alles zu einzusehen und zu hören, was auf dem Gerät stattfindet – von Gesprächen und Bildern über Standortdaten bis hin zu verschlüsselter Kommunikation. Sogar Kamera und Mikrofon lassen sich aus der Ferne aktivieren, so dass das Handy zur Wanze wird.

Kaye wies darauf hin, wie tief diese Überwachung in die Privatsphäre eindringt. Überwachungstechnologien wie Pegasus könnten schlicht nicht zwischen legitimen und illegitimen Überwachungszielen unterscheiden. „Sie geben dem Angreifer die Möglichkeit, das digitale Leben seines Ziels zu erfassen und zu überwachen, ohne zu unterscheiden zwischen einer kriminellen Verschwörung oder persönlichen Meinungen, Kontakten, Standortdaten, Browsing-Gewohnheiten, Bankdaten, Essensplänen und vielem mehr, manchmal in Echtzeit.“ Wenn Menschen ihrer privaten Kommunikation nicht mehr trauen könnten, hätte das auch gravierende Auswirkungen für die Demokratie.

Damit stelle Pegasus eine derart schwerwiegende Gefahr für die persönlichen Rechte und demokratischen Freiheiten dar, sagte Kaye, dass dafür besondere Auflagen gelten müssten. Wenn Staaten und auch die Herstellerfirmen argumentierten, die Technologie sei notwendig im Kampf gegen den Terror, dann müssten sie nachweisen, dass und wie sich diese Werkzeuge mit grundlegenden Menschenrechten vereinbaren lassen. So lange das nicht geschieht, müsse man davon ausgehen, dass Staatstrojaner gegen internationale Gesetze zum Schutz der Menschenrechte verstoßen.

Nationale Sicherheit dürfe nicht zu einem Schlupfloch werden, in dem sich Staaten verstecken könnten, um ihrer Verantwortung zu entgehen, sagte Kaye. „Jedes Recht muss einen Rechtsbehelf für seine Verletzung haben.“ Ungarn etwa begründete seine Einsätze von Pegasus mit der nationalen Sicherheit und kam zu dem Schluss, die Spionage gegen Journalist:innen und Politiker:innen sei rechtmäßig gewesen.

Ein Vertreter von NSO Group, der israelischen Firma, die Pegasus entwickelt, war bereits im Juni vom Ausschuss befragt worden, wich dabei jedoch zentralen Fragen aus – etwa jener, an wen sich Opfer der Überwachung wenden könnten. Immer wieder verwies der NSO-Vertreter auf die Geheimnisanforderungen der Kund:innen des Unternehmens.

Unter den Kund:innen sind längst nicht nur Staaten wie Saudi-Arabien, Aserbaidschan oder Indien, sondern auch zahlreiche Demokratien mitten in der EU. NSO Group teilte im Nachgang zur Befragung mit, dass derzeit zwölf EU-Staaten Pegasus einsetzten, zwei von ihnen seien die Lizenzen wieder entzogen worden.

Arbeit soll im April beendet sein

Der Untersuchungsausschuss soll noch bis April 2023 arbeiten. Ursprünglich ging es vor allem um Polen und Ungarn, wo Journalist:innen, Oppositionspolitiker:innen und Anwält:innen mit Pegasus ins Visier genommen wurden. Zwischenzeitlich sind viele weitere Fälle von staatlicher Überwachung hinzugekommen, etwa Spanien und Griechenland.

Im Ausschuss sitzen gleich mehrere Personen, die selbst direkt oder indirekt mit Pegasus ausspioniert wurden, darunter die katalanischen Abgeordneten Diana Riba, Jordi Solé und Carles Puigdemont. Ein gemeinsamer Abschlussbericht soll Empfehlungen aussprechen, wie Staatstrojaner künftig in der EU besser reguliert werden sollen. Mehrere Abgeordnete arbeiten jedoch bereits an eigenen Berichten, darunter die Liberale Sophie in‘ t Veld.


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