Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

Linksklick: Wir alle brauchen liebe Worte

Liebe Worte tun gut – vielleicht mehr denn je, wenn wir einmal aus dem Fenster und in die Probleme dieser Welt hineinblicken. Und genau dafür gibt es ein ganz besonderes Spiel.

Viele Papierflieger
Manchmal kann ein Papierflieger mit lieben Worten den Tag besser machen. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Judith Browne

Heute morgen bin ich meinem Kater Samson auf den Schwanz getreten. Natürlich war es ein Versehen, aber das weiß er wegen der Sprachbarriere nicht. Für ihn muss es wie ein Verrat an unserer jahrelangen Freundschaft aussehen, die er nun infrage stellte, während er miauend unter mein Bett kroch. Dieser Unfall liegt nun schon viele Stunden und noch mehr Leckerlis zurück, das schlechte Gewissen aber ist noch nicht verschwunden.

Diese Worte tippe ich auf das digitale Briefpapier auf meinem Monitor, drücke „absenden“ und schaue zu, wie meine Nachricht im Sternenhimmel verschwindet. Ein paar Minuten später piept mein Postfach, ich schaue hinein und entdecke eine Antwort: „Mach dir nichts draus. Ein solches Ungeschick kann dem allerbesten Katzenfreund passieren.“ Unterschrieben ist der Zweizeiler mit einem Kürzel, nur „-K“ steht dort. Ich weiß nicht, wer hinter diesem Buchstaben steht, aber irgendwo auf dieser Welt hat sich gerade ein Mensch Zeit genommen, mir ein paar liebe Worte zu schreiben – und ich fühle mich besser.

Das ist das Prinzip eines Computerspiels namens „Kind Words“, das seit mittlerweile drei Jahren Menschen und ihre Sorgen zusammenbringt und sie anonyme Grußworte austauschen lässt. Ein Game, das wir alle gebrauchen können.

Freundlichkeit frei Haus

Eigentlich dürfte es dieses Spiel gar nicht geben. Eigentlich sollte man erwarten, dass Internet-Trolle längst die Server überrannt und oder zumindest einige verschickte Briefe nicht etwa aufmunternde Worte, sondern den üblichen Internetmüll enthalten sollten – das lehren immerhin unzählige Multiplayer-Spiele, die schon immer mit diesen Problemen zu kämpfen hatten.

Nicht aber „Kind Words“. In den vielen Stunden, die ich seit Release vor drei Jahren vor dem Monitor gesessen und Briefe geschrieben habe, ist mir noch keine einzige unangenehme Nachricht begegnet. Vielleicht hatte ich nur Glück, vielleicht funktioniert die Melde-Funktion ausgesprochen gut, vielleicht macht es auch einfach keinen Spaß, Unbekannten eins auszuwischen und dabei nicht mal ihre Reaktion erleben zu können.

Für die beiden Entwickler des Spiels, Ziba Scott und Luigi Guatieri, liegt die Wahrheit in jeder der drei Vermutungen. In einem Interview erzählt Scott, dass nur 3 Prozent aller Nachrichten dem Reporting-System gemeldet werden. Eine beeindruckende Bilanz für ein Spiel, das als direkte Reaktion auf das politische Klima nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten entstanden sei: „Unser Game gibt Menschen eine Chance, über das nachzudenken, was ihnen Angst macht, und die Geschichten anderer Menschen anzuhören.“

Eigentlich ist es auch egal, wohin die Ursachenforschung schließlich führt, die Hauptsache ist: „Kind Words“ existiert und mehr Menschen sollten davon erfahren, denn dieses Spiel liefert Freundlichkeit „fast“ frei Haus: Knapp fünf Euro kostet dieses ungewöhnliche Spiel.

Für diesen Eintrittspreis erhalten Spieler*innen ein eigenes kleines Postfach in einer Welt, die nur über Briefe miteinander kommuniziert. Mit wem wir schreiben, sehen wir nicht. Stattdessen ist das gemütlich eingerichtete Zimmerchen eines kleinen Stellvertreter-Avatars unser Dreh- und Angelpunkt. Hier verfassen wir kurze Briefe, die sich um alles Mögliche drehen können: von Alltagsproblemchen wie zerrütteten Haustier-Mensch-Beziehungen bis zu den ganz großen Themen des Lebens. Nur persönliche Informationen oder Links zu Social-Media-Profilen sollten nicht geteilt werden, woran das Spiel immer wieder mit einer kurzen Texteinblendung erinnert. Unsere Briefe sollen anonym bleiben, allein der erste Buchstabe des eigenen Vornamens steht am Ende.

Ist der Brief schließlich fertig, kann er in die digitale Endlosigkeit geschickt werden, wo er gemeinsam mit anderen Nachrichten zufällig auf dem Schreibtisch ausgewählter Spieler*innen landet. Und die dürfen sich dann durch diese Nachrichtenstapel lesen und antworten, wie sie wollen und können. Auch hier meldet sich das Spiel wie ein gutes Gewissen regelmäßig zu Wort und erinnert: „Du kannst nicht allen Menschen mit ihren Problemen helfen. Aber du kannst ihnen ein paar liebe Worte dalassen.“ Ungesundes Helfersyndrom oder Frustration, weil auch mal Briefe nicht beantwortet werden können, soll so gar nicht erst eine Chance bekommen.

Liebe Worte aus dem Hintergrund

Während ich an diesem Morgen noch auf eine Antwort zu meinem Kater-Schwanz-Dilemma wartete, las ich selbst einige Briefe von mir unbekannten Menschen. Einem Studierenden, der sich in seinem Auslandssemester einsam fühlte, erzählte ich von meinem eigenen Studium in Rom und wie ich dort schließlich Freunde finden konnte. In einem anderen Brief sucht jemand händeringend nach einem guten Witz, mit dem er seine Freundin zum Lachen bringen kann – ich tippe meine Antwort.

Einem anderen Briefeschreiber, der von seiner Selbstverletzung und seinen Depressionen erzählt, kann ich allerdings nicht mehr bieten als ein paar trostspendende Worte – aber vielleicht muss es ja auch gar nicht mehr sein, zumindest nicht von mir.

Aber es muss nicht immer ein langer Brief sein: Alternativ können wir auch kurze Einzeiler schreiben und sie als Papierflieger losschicken. Die tauchen dann kurz darauf auf den Bildschirmen anderer Spieler*innen auf und können dort gelesen werden, ohne eine Antwort zu erwarten. Feel-Good-Nachrichten ohne viel Aufwand.

Mittlerweile läuft das Spiel wieder regelmäßig bei mir im Hintergrund, während ich mich von To-Do zu To-Do hangele. Manchmal mit eingeschalteten Lowfi-Hip-Hop-Klängen, die eigens für dieses Spiel komponiert wurden, manchmal stumm. Und wenn mir danach ist, wechsle ich zwischen zwei Aufgaben in die Spielwelt, öffne ein paar Papierflieger und kehre wieder zu meiner Arbeit zurück. Gerade in diesen Tagen, in denen Krieg und Klimakatastrophe die Schlagzeilen beherrschen, ist es viel wert, hin und wieder ein paar liebe Worte zu lesen.


Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires