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Neues EU-Informationssystem: EU-Mitgliedstaaten drängen auf polizeiliche Nutzung von Biometriespeicher

Eine Grenzkontrollstation mit Selbstbedienungskiosken zur Abnahme biometrischer Daten.
Neben stationären Biometriesystemen sollen Staaten auch mobile Scanner beschaffen. Frontex

Wird das europäische „Einreise-/Ausreisesystem“ (EES) wie vorgesehen in vier Monaten in Betrieb genommen, dann müssen alle Reisenden beim Übertritt einer EU-Außengrenze Fingerabdrücke und Gesichtsbilder abgeben. Diese Datenbank soll nun verstärkt von Sicherheitsbehörden genutzt werden. Hierzu wollen die EU-Innenminister:innen im Rat entsprechende Schlussfolgerungen verabschieden. Die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch hat sie im Entwurf veröffentlicht.

Die begehrten Daten liegen in einem „Gemeinsamen Speicher für Identitätsdaten“ („Common Identity Repository“, CIR), der nach derzeitigem Stand in einem Jahr an den Start geht. In den geplanten Schlussfolgerungen werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, Gesetze zu erlassen, die eine biometrischen Abfrage ermöglichen, „insbesondere um die korrekte Identifizierung von Personen zu erleichtern“.

Biometrische Abfrage auch von Jugendlichen

Die Schlussfolgerungen beziehen sich auf die Verordnung zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen in den Bereichen Grenzen und Visa, die von der EU 2019 erlassen wurde. Dort ist die Einrichtung des „Gemeinsamen Speichers für Identitätsdaten“ bestimmt. Er besteht aus Daten von Hunderten Millionen ausländischer Staatsangehöriger aus dem EES sowie aus vier weiteren, bereits bestehenden EU-Datenbanken. Gespeichert werden sämtliche Reisenden aus Nicht-EU-Staaten sowie Asylsuchende.

Artikel 20 dieser „Interoperabilitäts-Verordnung“ regelt die biometrische Abfrage durch Polizeibehörden. Möglich ist dies unter anderem bei Jugendlichen und Erwachsenen, etwa wenn Zweifel an der Identität oder der Echtheit der Dokumente von Reisenden bestehen.

Die biometrischen Kontrollen sollen nicht auf einer Polizeidienststelle erfolgen, sondern „direkt vor Ort“ an der Land-, Luft- oder Seegrenze. Alle Schengen-Staaten müssen dazu die erforderliche Technik beschaffen, darunter etwa Fingerabdrucklesegeräte, Gesichtsscanner und die nötige Server-Infrastruktur zur Anbindung an das EES. Die Schlussfolgerungen sollen entsprechenden Druck aufbauen, denn wegen unterbrochener Lieferketten und Chipmangel steht die Inbetriebnahme des EES im September auf wackligen Beinen.

Biometrische Suche auch bei Terroranschlag oder Naturkatastrophe

Eine Abfrage im „Gemeinsamen Speicher für Identitätsdaten“ darf aber auch zu anderen Zwecken erfolgen, die nicht die Ein- oder Ausreise betreffen. In Artikel 20 heißt es dazu, dass Sicherheitsbehörden „im Falle einer Naturkatastrophe, eines Unfalls oder eines Terroranschlags“ Fingerabdrücke und Gesichtsbilder in das System eingeben können, um Personen zu identifizieren. Auch mit biometrischen Daten menschlicher Überreste kann derart gesucht werden.

Schließlich soll die Suche im Biometriespeicher mit mobilen Geräten auch an den Binnengrenzen oder in dem Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten möglich sein.

Der Rat vermeidet hierzu allerdings enge Vorgaben. Stattdessen werden die Mitgliedstaaten laut dem Entwurf „ersucht, dafür zu sorgen, dass sie prüfen“, ob ihre nationalen Gesetze ein solches Verfahren ermöglichen.

Deutschland auf Platz zwei heimlicher Fahndungen

Die Schlussfolgerungen enthalten außerdem Forderungen zu heimlichen Fahndungen mithilfe des Schengener Informationssystems (SIS II). Gemäß Artikel 36 des SIS-II-Ratsbeschlusses kann eine Person mit der Kategorie „verdeckte Kontrolle“ heimlich getrackt werden. Immer wenn die Betroffenen beim Grenzübertritt oder im Schengen-Raum kontrolliert werden, erhält die interessierte Behörde eine Mitteilung. So können Polizeien und Geheimdienste Reisebewegungen und die Kontaktpersonen verfolgen.

Diese heimlichen Fahndungen nehmen jedes Jahr deutlich zu, an erster Stelle lag im vergangenen Jahr wieder Frankreich mit rund 52.000 Ausschreibungen, vor dem Brexit noch gefolgt von Großbritannien. Inzwischen liegen deutsche Behörden auf Platz zwei. Dieses Niveau sollen nun auch die anderen Mitgliedstaaten erreichen: Die Schlussfolgerungen fordern, diese Art von Kontrollen „in vollem Umfang“ zu nutzen.

Möglich ist auch eine „Kontrolle zu Ermittlungszwecken“, bei der die Person befragt oder durchsucht werden kann. Auch hier befindet sich Frankreich mit rund 51.000 Einträgen an der Spitze, Deutschland liegt nach Spanien an dritter Stelle.

Reform des Schengener Grenzkodexes

Statewatch vermutet, dass die geplanten Schlussfolgerungen auf vermehrte Schleierfahndungen an den Binnengrenzen zum Aufspüren von undokumentierten Geflüchteten gemünzt sind.

2017 veröffentlichte die EU-Kommission im Zuge der sogenannten „Migrationskrise“ eine Empfehlung, in der eine „Intensivierung der Polizeikontrollen im gesamten Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, einschließlich der Grenzgebiete, und die Durchführung polizeilicher Kontrollen entlang der Hauptverkehrsrouten wie Autobahnen und Eisenbahnstrecken“ gefordert wird.

Fünf Jahre später soll diese Empfehlung nun Gesetz werden. Derzeit berät die EU Vorschläge zur Reform des Schengener Grenzkodexes, die „Hindernisse für einen umfassenderen Einsatz von Kontroll- und Überwachungstechnologien beseitigt“. Ausdrücklich sollen diese Techniken dann auch an den eigentlich kontrollfreien Binnengrenzen eingesetzt werden dürfen.


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