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Neues aus dem Fernsehrat (83): Exklusiv: Pläne für verschärfte Social-Media-Regeln beim WDR

Smartphone mit Social Media Logos
Im WDR wird eine Verschärfung von Social-Media-Regeln diskutiert Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com dole777

Seit Juli 2016 darf ich den Bereich „Internet“ im ZDF-Fernsehrat vertreten. Was liegt da näher, als im Internet mehr oder weniger regelmäßig Neues aus dem Fernsehrat zu berichten? Eine Serie.

Don’t do anything stupid!

Mit der Aufforderung, nichts Dummes zu tun, fasste die öffentlich-rechtliche BBC bereits 2011 die Social-Media-Guidelines für ihre Mitarbeiter:innen zusammen. Einen ähnlichen Geist atmen auch die vergleichbaren Richtlinien deutscher öffentlich-rechtlicher Medien. Gemeinsamer Nenner ist die Einsicht, dass (auch: freie) Mitarbeiter:innen öffentlich-rechtlicher Medien in sozialen Netzwerken wie Twitter nicht nur als Privatperson, sondern auch als Vertreter:innen ihres Arbeit- oder Auftraggebers wahrgenommen werden. Dieser Umstand und die damit einhergehende Verantwortung soll bei Social-Media-Nutzung mit reflektiert werden. 

Ein reflektierter Umgang mit sozialen Medien ist dabei nicht nur für öffentlich-rechtliche Sender, sondern in erster Linie für öffentlich-rechtliche Journalist:innen selbst von großer Bedeutung. Mitunter werden einzelne, unbedachte Tweets noch Jahre später als Beleg für Voreingenommenheit herangezogen. So durfte beispielsweise in keinem Porträt von Tina Hassel, Leiterin des ARD Hauptstadtstudio, anlässlich ihrer Kandidatur als ZDF-Intendantin der Hinweis auf missglückte Tweets aus dem Jahr 2018 fehlen. Auch in ihrem Wikipedia-Eintrag widmet sich der Abschnitt „Kritik“ nur diesen Tweets

Von Guidelines zur Dienstanweisung

Nicht zuletzt wegen solchen prominenten Beispielen ist naive Nutzung von sozialen Netzwerken durch öffentlich-rechtliche Redakteur:innen inzwischen selten geworden. Dennoch sieht man beim WDR offenbar Bedarf nach neuen, schärferen Social-Media-Vorschriften. So sollen die Regeln für den Umgang mit sozialen Netzwerken in Form einer „Social-Media-Dienstanweisung“ neu gefasst werden. Schon die Bezeichnung als „Dienstanweisung“ bedeutet eine Verschärfung, denn Verstöße gegen Dienstanweisungen können arbeitsrechtliche Folgen haben. 

Gleich zu Beginn des Entwurfs (Volltext-PDF) wird klargestellt, dass die Regeln „sowohl offizielle WDR-Accounts als auch Inhalte in privaten Accounts, soweit der WDR von diesen mittelbar oder unmittelbar betroffen ist“, betreffen. Erfasst sind dabei nicht nur Tweets, sondern auch „Ausdruck von Zustimmung zu bestimmten Inhalten (‚Likes‘)“  oder nur „Verbindung zu bestimmten Konten (Abonnements, Folgen von Accounts)“ – eine Vorschrift, die Online-Recherchen nicht gerade erleichtern dürfte. Ganz abgesehen davon, dass so potenziell jedes Like einer öffentlich-rechtlichen Redakteur:in Gegenstand von Beschwerden werden könnte.

Explizite Versetzungsdrohung

Zum Verhältnis der Vorschriften zur Meinungsfreiheit heißt es in dem Entwurf:

Ihnen steht als Staatsbürger:innen das Recht der freien Meinungsäußerung zu. Die Grenze bildet aber die aus dem Arbeitsverhältnis resultierende Pflicht zur Loyalität, mit der die Meinungsfreiheit in Ausgleich zu bringen ist.

Vor allem jeglicher Eindruck von Parteilichkeit ist zu vermeiden, sonst droht zumindest die Versetzung:

Wenn durch private Äußerungen in sozialen Medien insbesondere von redaktionell Mitarbeitenden in der Öffentlichkeit der Eindruck der Voreingenommenheit oder Parteilichkeit entsteht und dies Themenbereiche tangiert, in denen die oder der Mitarbeitende dienstlich tätig ist, behält sich der WDR vor, ihnen im Rahmen seines Weisungsrechts andere Aufgaben zuzuweisen.

Das Problem ist, dass der Grat zwischen klarer journalistischer und politischer Haltung und „Parteilichkeit“ ein schmaler ist. Gerade öffentlich-rechtliche Journalist:innen sind, vor allem von recht(sextrem)er Seite, regelmäßig mit Vorwürfen von vermeintlicher Voreingenommenheit konfrontiert. Beispielhaft kann dafür die Aufregung um einen „Nazis raus!“-Tweet von ZDF-Journalistin Nicole Diekmann im Jahr 2019 gelten. 

Gefahr der „Schere im Kopf“

Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass solche Vorschläge gerade im WDR für Unruhe unter den Redakteur:innen sorgen. So hatte sich WDR-Intendant Tom Buhrow als wenig robust gegenüber rechten Angriffen (Stichwort: Umweltsau) gezeigt – und dafür Kritik von Redakteur:innen wie freien Fernsehautor:innen geerntet. 

Jedenfalls drohen mit einer dienstrechtlichen Verschärfung von Social-Media-Regeln im WDR sogenannte „chilling effects“ – die Schere im Kopf. Und die Dienstanweisung klingt wie eine Einladung an viele Kritiker:innen, zukünftig missliebige Meinungen und Personen dem WDR zu melden, der die Beschwerden dann bearbeiten muss.

Schon längst ist es so, dass unüberlegte Tweets nicht folgenlos bleiben. Gleichzeitig wird auch von öffentlich-rechtlichen Redakteur:innen ganz selbstverständlich eine kontinuierliche Social-Media-Präsenz erwartet – gerne auch mit pointierten Zuspitzungen. Statt den Druck hier noch weiter zu erhöhen, stellt sich eher die Frage, wie die Öffentlich-Rechtlichen ihre Redakteur:innen besser schützen können, wenn sie für pointiert-kritische Berichterstattung in das Visier von Online-Hass-Mobs geraten. Hier gibt sich der Entwurf nämlich äußerst zurückhaltend:

Wenn Mitarbeiter:innen in den sozialen Netzen Kritik ausgesetzt sind, die sie mit ihrem Verhalten oder einer Veröffentlichung mit dem Absender ihres privaten Accounts ausgelöst haben, so ist dies zunächst Privatsache. Der WDR behält es sich vor zu entscheiden, wie er sich dazu verhält. 

Was hier fehlt, ist ein deutliches Bekenntnis zur Unterstützung gegen ungerechtfertigte Online-Angriffe. Denn Beispiele wie der jahrelange Kampf von Richard Gutjahr gegen Online-Mobbing von Verschwörungstheoretikern, Neonazis und Reichsbürgern gezeigt hat, wäre hier durchaus mehr Unterstützung von öffentlich-rechtlichen Sendern für ihre Mitarbeiter:innen wünschenswert.


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