Große Tech-Unternehmen wie Google oder Facebook könnten künftig die europäischen Telekommunikationsnetze mitfinanzieren, stellte am Montag die EU-Digitalkommissarin Margrethe Vestager in Aussicht. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.
„Ich glaube, es gibt eine Frage, die wir uns gezielt ansehen müssen, und das ist die Frage einer fairen Beteiligung an Telekommunikationsnetzen“, sagte Vestager bei einer Pressekonferenz. „Denn wir sehen, dass es Akteure gibt, die viel Datentransfer verursachen, der ihr Geschäft[smodell] ermöglicht, die aber nichts dazu beitragen, den Datentransfer zu ermöglichen“, sagte Vestager. „Sie haben nichts dazu beigetragen, die Investitionen in das Ausrollen von Konnektivität möglich zu machen.“
Die Aussagen Vestagers folgen auf einen am Montag veröffentlichten Bericht der Lobbyorganisation ETNO (European Telecommunications Network Operators Association), die Netzbetreiber wie die Telekom Deutschland, Telefonica oder Orange vertritt. Demnach verursachen nur sechs große Internetdienste – Meta, Alphabet, Apple, Amazon, Microsoft und Netflix – über 56 Prozent des jährlichen weltweiten Datentransfers. Auf den Kosten für den Netzbetrieb würden jedoch die Netzbetreiber sitzen bleiben, während die IT-Konzerne atemberaubende Gewinne einfahren, so das Kernargument des ETNO-Berichts.
„Kniefall vor der Telekomindustrie“
Der Netzneutralitätsexperte Thomas Lohninger von der österreichischen NGO epicenter.works sieht den Vorschlag Vestagers als „Kniefall vor der Telekomindustrie“. Dieser gehe es darum, einen doppelseitigen Markt zu errichten: Auf der einen Seite bezahlen Endkund:innen für den Internetanschluss, auf der anderen Seite müssten womöglich Internetdienste den Telekomanbietern Gebühren dafür entrichten, um Nutzer:innen zu erreichen. Sollte sich die Branche durchsetzen, drohe das Internet in Europa in das „Geschäftsmodell der Telefonzeit“ zurückfallen, warnt Lohninger.
Netzbetreiber wollen schon seit Langem an diesem Kuchen mitnaschen, konnten sich bislang aber nicht so recht durchsetzen. So lässt etwa das EU-Gesetz zur Netzneutralität kaum Spielraum für kreative Geschäftsmodelle wie Spezialdienste (bezahlte Überholspulen) oder Zero Rating (Internetpakete wie Kabel TV), die sich die Branche gewünscht hatte. Nach der strengen Auslegung der EU-Verordnung durch den Europäischen Gerichtshof, der Zero Rating grundsätzlich für unvereinbar mit der Netzneutralität erklärt hatte, ist dieses Modell inzwischen ganz vom Tisch.
Theoretisch ist eine finanzielle Beteiligung mancher Internetdienste am Netzausbau seit der Verabschiedung des sogenannten EU-Kodex möglich. Dieses EU-Gesetzespaket machte im Vorjahr eine umfangreiche Überarbeitung des Telekommunikationsgesetzes notwendig. Allerdings würde eine solche Verpflichtung nur für Internetdienste gelten, die im gleichen sachlichen Markt wie Telekommunikationsdienste tätig sind. Das wären etwa Messenger-Dienste oder Voice-over-IP-Anbieter.
Der Wunsch nach einer Ausweitung auf andere Dienste wie Videostreaming-Plattformen kursierte aber schon damals: So setzte sich etwa der damalige SPD-Berichterstatter Gustav Herzog für eine gesetzliche Änderung auf EU-Ebene ein und sagte voraus, dass diese „in den nächsten Jahren“ kommen werde.
Umgekrempeltes Internet
Wie eine solche Regelung konkret aussehen könnte, wenn sie denn kommt, bleibt vorerst offen. Der ETNO-Bericht liefert einige Ansätze, die von einer Vorabregulierung und Preisbindung bis hin zu einem nachträglichen Abkassieren für verursachten Datentransfer reichen. „Wir sind dabei, ein gründliches Verständnis dafür zu bekommen, wie sich das erreichen lässt“, sagte Vestager bei der Pressekonferenz.
In jedem Fall wäre dies ein tiefer Eingriff in die bisherige Funktionsweise des Internets, würde die Netzneutralität aushebeln und völlig neue Anreize schaffen, Nutzer:innen zu erreichen – oder eben nicht. Das sorgt für Unverständnis bei Experte Lohninger: „Gerade als Zero Rating in der EU endlich verboten wird, scheint die EU-Kommission die Innovationskraft der Internetwirtschaft in Europa für die Gewinne der Telekomindustrie opfern zu wollen.“
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