Error 404: Wer die Internetseite besucht, auf der ursprünglich Informationen zur Bundeszentrale für digitale Aufklärung zu finden waren, landet mittlerweile im digitalen Nirgendwo. Mit der Initiative wollte Digitalstaatsministerin Dorothee Bär mehr Digitalkompetenz in Deutschland vermitteln. Doch nicht nur die „von Ihnen gewählte URL kann leider nicht aufgerufen werden“, auch sonst scheint von der Idee nur wenig übrig zu sein.
Als Bär die Bundeszentrale im Juli 2020 ins Leben ruft, steht außer der Vision noch nicht viel. Mehrfach betont die CSU-Politikerin, das sei Teil einer agilen Herangehensweise: Flexibilität statt langwierig ausgehandelter Prozesse. Doch das Ziel ist klar formuliert, die Bundeszentrale soll „Aufklärungskampagnen durchführen“ und niederschwellige Informationen zu neuen Technologien bieten. Außerdem soll sie Angebote zur „Aufklärung von Eltern, Lehrpersonal und Pädagogen über den Umgang mit Social Media, Datenschutz, Fake News, Hate Speech und Cybermobbing“ bieten.
Heute, ein dreiviertel Jahr später, hat die Öffentlichkeit von der Bundeszentrale immer noch nicht viel gesehen. Wer im Netz nach ihr sucht, landet auf einer Unterseite des Bundespresseamtes mit einem Podcast. „Bär on Air“ heißt er, die Staatsministerin spricht hier mit Expert:innen wie der Datenwissenschaftlerin Katharina Schüller. Von einer Bundeszentrale ist dort nicht mehr die Rede. Hat sich die Idee also erledigt?
Überraschung und Unzufriedenheit
Dass mehr für Digitalkompetenzen getan werden muss, darüber herrscht im politischen Berlin Einigkeit. Auch über die Parteigrenzen hinweg. Verschwörungsmythen zur Corona-Impfung, die sich über Telegram verbreiten. Kriminelle, die mit Ransomware-Attacken Krankenhäuser lahmlegen. Gesundheitsämter, die munter Faxe schicken. Digitale Mündigkeit brauchen wir heute mehr als je zuvor.
Doch als Dorothee Bär im Sommer 2020 den Start der „Bundeszentrale für digitale Aufklärung“ verkündet, erntet sie nicht Applaus, sondern Überraschung und Unzufriedenheit.
Margit Stumpp zum Beispiel ist sauer. Die medien- und bildungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag hatte im Frühjahr 2020 einen eigenen Antrag für die Einrichtung einer „Bundeszentrale für digitale und Medienbildung“ [PDF] eingebracht. Doch die Große Koalition lehnte ihn ab. Die Initiative der Staatsministerin sei eine schlechte Kopie, mit der sie sich im letzten Sommerloch habe profilieren wollen, so Stumpp im Gespräch mit netzpolitik.org. „Dorothee Bär hat sich hier mit einem Schlagwort eines Themas bemächtigt. Als sie gemerkt hat, wie schlecht Bildungsministerin Karliczek aufgestellt ist, ist sie sofort in die Lücke gesprungen.“
Auch beim Koalitionspartner ist man alles andere als glücklich: „Wir haben als Fraktion signalisiert, dass wir die Idee spannend finden und haben über einen gemeinsamen Antrag nachgedacht. Wir waren dann sehr überrascht, dass Frau Bär nicht auf die positiven Signale eingegangen ist, sondern die Sache ins Kanzleramt und auf ihre Website gezogen hat“, kritisiert die SPD-Netzpolitikerin Elvan Korkmaz.
Harsche Kritik kommt ebenso von der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB). In einem internen Schreiben an das Innenministerium wirft die BpB der Staatsministerin Ende August 2020 Etikettenschwindel vor. Die Verwendung des Begriffs Bundeszentrale sei „irreführend“, weil damit gemeinhin ein gänzlich anderes Format assoziiert werde. Von Aufklärung will die BpB in diesem Kontext schon gar nicht sprechen, denn „in der Nachfolge Kants wird diese Definition sehr klar als emanzipatorisches Ideal verstanden, das sich in den Zielsetzungen und Inhalten der Bundeszentrale für digitale Aufklärung nur bedingt spiegelt“, heißt es in dem Schreiben, das wir durch eine Informationsfreiheitsanfrage über FragDenStaat.de erhalten haben.
Ein neuer Suchmechanismus für bestehende Inhalte
Pragmatischer zeigt sich da Ann Cathrin Riedel. „Wir sollten das jetzt nicht zerreden“, findet die Bundestagskandidatin der FDP. In ihrer Funktion als Vorsitzende des parteinahen netzpolitischen Vereins LOAD hatte sie die Idee einer Bundeszentrale für digitale Bildung 2019 als eine der ersten ins Gespräch gebracht. Sie sei froh, dass mit der Initiative der Staatsministerin jetzt wenigstens ein Anfang gemacht sei, so Riedel. Doch wieviel ist ein Anfang wert, nach dem es nicht weiter geht?
Fragt man Dorothee Bär, dann widerspricht sie dem Eindruck, es habe sich nichts getan. „Es hat in den vergangenen Monaten erhebliche Fortschritte gegeben“, antwortet sie auf unsere Presseanfrage. Die angekündigte Aufklärungskampagne etwa sei bereits angelaufen. Als Beispiele nennt die CSU-Politikerin eine Podiumsdiskussion zu Fake News, mit der die Initiative im Sommer 2020 offiziell gestartet war, ein Expertengespräch zur digitalen Bildungstransformation im September 2020, eine virtuelle Veranstaltung zur Lehrerausbildung im März 2021 und besagten Podcast. Drei Veranstaltungen und sechs halbstündige Podcast-Folgen in zehn Monaten.
Auch ein Projekt mit Digitalbotschafterinnen und Digitalbotschaftern sei weiterhin geplant. Es soll Menschen und Einrichtungen, die sich für die Digitalisierung einsetzen, mit solchen zusammenbringen, die Hilfe benötigen, befinde sich derzeit aber noch in der Konzeptionsphase.
Als Kernelement ihrer Initiative präsentiert Bär heute ohnehin ein „Netzwerk für Digitale Aufklärung“ innerhalb der Bundesregierung. Weder auf der Seite mit dem Podcast noch in ihren Antworten auf unsere Presseanfrage findet sich noch das Wort „Bundeszentrale“.
In einem Pilotprojekt soll das Netzwerk „eine intelligente Suchmaschine“ an den Start bringen, „die digitale Aufklärungsangebote der Bundesregierung bündelt und damit für Bürgerinnen und Bürger unkompliziert auffindbar und nutzbar macht“. Die Suchmaschine soll auf www.bundesregierung.de implementiert werden und es künftig einfacher machen, auf den dutzenden Websites der Bundesregierung die passenden Inhalte zu Digitalthemen zu finden. Bär kann hier eine abgeschlossene Machbarkeitsstudie für den Suchmechanismus vorweisen. Außerdem seien fünf Ressorts und Behörden an Bord, darunter das Bundespresseamt und das Innenministerium. Ein erstes einsatzfähiges Produkt sei in der Entwicklung und werde hoffentlich im Juli in einen Live-Test-Betrieb gehen, um das Feedback von Bürger:innen zu sammeln.
Eine echte Bundeszentrale könnte viel bewirken
Tatsächlich sind die Inhalte der Bundesregierung, die zur digitalen Aufklärung beitragen können, heute über dutzende Websites verteilt. Vom „BSI für Bürger“ über die Informationsbroschüren des Bundesdatenschutzbeauftragten bis zum „Online-Dialog über 5G“. Durch bessere Auffindbarkeit den Zugang zu erleichtern, ist eine gute Idee. Nur: Ist das der große Sprung, den das einst gewählte Label der Bundeszentrale versprach?
Anke Domscheit-Berg jedenfalls, die netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion, spricht von einer „Komplettverarsche“ durch die CSU-Politikerin: „Es ist ja nicht so, als bräuchten wir das alles nicht. Die Ziele sind super, doch in der aktuellen Form ist die Initiative total schädlich, weil sie so tut, als würde sie Probleme lösen. Aber sie tut nichts.“
Dabei sei eine echte Bundeszentrale durchaus eine gute Idee, finden die Oppositions-Politikerinnen Riedel, Stumpp und Domscheit-Berg. Nur müsse diese mehr leisten als die Bündelung schon bestehender Informationen und ein paar Expert:innen-Gespräche, betonen die beiden letztgenannten. Im komplexen Geflecht des deutschen Bildungsföderalismus könnte eine zentrale Stelle viel bewirken, wenn sie zeitgemäße pädagogische Angebote macht, Akteur:innen vernetzt und Initiativen vor Ort fördert. Nur bräuchte es neben dem passenden Konzept dafür auch ein entsprechendes Budget und Personal.
Kein eigenes Personal, kein eigenes Budget
Genau das fehlt Bärs Initiative, unter welchem Titel sie auch immer firmiert, bis heute. Die 20.000 Euro für die Machbarkeitsstudie des Suchmechanismus stammen aus dem schon bestehenden Haushaltposten der Staatsministerin für Maßnahmen der Digitalpolitik, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion [PDF]. Zur Mittelaufwendung an anderen Stellen kann Bär nichts sagen: „Die Häuser der Bundesregierung, die neben meinem Team an dieser ressortübergreifenden Initiative mitwirken, ordnen die personellen Zuständigkeiten hausintern in eigener Verantwortung zu.“ Dass irgendwo dafür Stellen geschaffen wurden, war bisher nicht zu hören.
Was ehrgeizig als Bundeszentrale gestartet ist, könnte als verbesserte Suchfunktion auf Regierungsseiten enden. Sollte die Suchmaschine bald an den Start gehen und es tatsächlich leichter machen, in den weiten des Regierungsnetzes die passenden Inhalte zu finden, wäre das unter diesen Bedingungen wohl ein kleiner Erfolg. Gemessen am Versprechen der digitalen Aufklärung aber wirkt es wie ein Scheitern.
Sucht man nach Gründen, warum das so ist, verweisen selbst Oppositionspolitiker:innen auf die schwierige Position, in der Bär sich im Funktionsgefüge der Bundesregierung befindet. Die Staatsministerin ist zwar diejenige mit „Digitalisierung“ im Titel, doch tatsächlich laufen die netzpolitischen Fäden bei Kanzleramtschef Helge Braun zusammen. „Machtlos“ sei die Staatsministerin, so Domscheit-Berg. „Sie hat kaum Ausstattung und ist mehr eine Koordinatorin, als dass sie wirklich etwas entscheiden könnte“, bilanziert auch Korkmaz von der SPD. „Das müsste dann die Kanzlerin oder der Kanzleramtschef machen.“
Es bleibt zu hoffen, dass die ursprüngliche Motivation für die Bundeszentrale nicht von diesen Problemen erdrückt wird. Der Bedarf nach digitaler Aufklärung ist nicht verschwunden. Ganz egal, unter welcher URL man sie am Ende finden wird.
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