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Rolle rückwärts: Berlin beendet Transparenz über Funkzellenabfragen

Die Berliner Polizei führt jeden Tag Funkzellenabfragen durch und sammelt jedes Jahr 100 Millionen Datensätze. Piraten und Grüne haben dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit Statistiken erhält und einige Betroffene informiert werden. Linke und CDU haben beide Transparenz-Initiativen wieder abgeschafft.

Mobilfunkmast auf Hausdach in Berlin.
Mobilfunkmast auf Hausdach in Berlin. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Dirk Sattler

Die Berliner Landesregierung beendet zwei wichtige Projekte, die Betroffene und Öffentlichkeit über Funkzellenabfragen informieren. In der letzten Legislaturperiode hat die Regierung dem Parlament detaillierte Statistiken geliefert und ein System zur Benachrichtigung Betroffener installiert. Die neuen Regierungen haben beide Projekte eingestampft.

Bei einer Funkzellenabfrage fragen Polizei und Justiz bei Mobilfunknetzbetreibern nach allen Handys, die sich in einem bestimmten Zeitraum in einem bestimmten Gebiet aufgehalten haben. Die Unternehmen übergeben Datensätze mit allen Verbindungsdaten bestimmter Funkzellen. Ermittlungsbehörden rastern und durchsuchen die Datenberge nach Verdächtigen. Statistisch gesehen landet jeder Einwohner alle paar Tage in einer Datenbank bei der Polizei.

Routinemaßnahme, die regelmäßig Gesetze verletzt

Anfang 2012 haben wir enthüllt, wie die Berliner Polizei Funkzellenabfragen einsetzt. Daraufhin hat der Berliner Datenschutzbeauftragte die Praxis geprüft und jede Menge Fehler und Rechtsbrüche festgestellt. Er bezeichnete die Überwachungs-Praxis als Routinemaßnahme, die regelmäßig Gesetze verletzt.

Eins der Probleme: Betroffene von Überwachung müssen laut Gesetz darüber informiert werden, doch das ist nie passiert. Die Ermittler behaupteten, sie haben keine Anschrift der Betroffenen, also können sie keinen Brief schicken. Dabei haben sie die Handynummer, könnten also anrufen oder eine SMS schicken.

Das Parlament hat diese Idee 2014 übernommen. Die Abgeordneten forderten die Regierung auf, ein Projekt zur Benachrichtigung per SMS umzusetzen und regelmäßige Statistiken zu Funkzellenabfragen zu liefern. Die Initiative kam von den Piraten, aber letztlich stimmten auch die Abgeordneten der damaligen Regierungskoalition aus SPD und CDU zu. Doch ihre Regierung hat wenig umgesetzt.

Transparenz-System entwickelt und umgesetzt

Nach der Wahl 2016 übernahmen SPD, Linke und Grüne die Landesregierung. Der Grüne Dirk Behrendt wurde Justizsenator. Diese Regierung lieferte ab 2017 jedes Jahr die angeforderte Statistik. So wurde bekannt, dass die Polizei in Berlin pro Jahr über 500 Funkzellenabfragen durchführt und dabei über 100 Millionen Datensätze erhält.

Ein Jahr später startete die Regierung das Funkzellenabfragen-Transparenz-System. Auf der Webseite fts.berlin.de konnte sich jede:r mit Handynummer registrieren, um per SMS über Funkzellenabfragen informiert zu werden. Ende 2021 informierte das System die ersten Betroffenen.

Die Senatsverwaltung für Justiz verantwortet und betreibt das Transparenz-System. Ulf Buermeyer, der auch für netzpolitik.org schreibt, hat die IT des Systems entwickelt. Sie besteht aus virtuellen Linux-Maschinen und zwei SIM-Karten mit SMS-Flatrate und kostete weniger als 50.000 Euro. Die Hardware steht in Räumlichkeiten der Justizverwaltung und wird von ihrer IT-Stelle bereitgestellt.

Benachrichtigung eingeführt und abgeschaltet

Nach der Wahl 2021 endete die Transparenz. Zwar blieben mit SPD, Grüne und Linke zunächst dieselben Parteien in der Regierung. Doch die Linke Lena Kreck wurde neue Justizsenatorin und lies das Thema schleifen.

Ein halbes Jahr nach Amtsantritt von Lena Kreck hörte das System auf zu funktionieren, die Webseite war nicht mehr erreichbar und SMS wurden nicht mehr verschickt. Dieser Zustand hält bis heute an.

Die Senatsverwaltung sagt auf Anfrage: „Hinweise auf Funktionsstörungen des FTS einschließlich der Nichterreichbarkeit des Registrierungsservices gingen ab Juni 2022 ein. Ein exaktes Datum, ab wann der Service grundsätzlich nicht mehr erreichbar war, ist nicht rekonstruierbar.“

Nach Informationen aus dem Umfeld des Justizsenats wäre es relativ einfach, das System zu reparieren. Doch der Regierung fehlt der politische Wille.

Infrastruktur kaputt und Geld gestrichen

Nach der Wiederholungswahl vor einem Jahr übernahmen CDU und SPD die Regierung. Die CDU machte die ehemalige Vizepräsidentin des Bundesverfassungsschutzes Felor Badenberg zur Justizsenatorin. Sie machte Dirk Feuerberg zum Staatssekretär, der vorher Leitender Oberstaatsanwalt war und Transparenz über Funkzellenabfragen ablehnt. Der neue Senat reparierte das Transparenz-System nicht, bis heute ist „die Funktionalität des FTS [weiterhin] gestört“.

Die Justizverwaltung begründet die Probleme offiziell mit Zuständigkeit und Geld. Der Justizsenat hat zwei IT-Referate in unterschiedlichen Abteilungen. Die wollen das Transparenz-System nicht weiter betreiben, sondern an das öffentliche IT-Dienstleistungszentrum übergeben. Das ITDZ will das existierende System jedoch nicht. Wenn, dann würden sie es neu entwickeln. Dafür wollen sie aber eine halbe Million Euro – das Zehnfache.

Offiziell fühlt sich niemand für das Transparenz-System verantwortlich. Der Justizsenat will das existierende System nicht reparieren und weiterbetreiben, sondern abgeben. Das IT-Dienstleistungszentrum will das System nicht haben, weil sie kein Geld dafür haben. Inoffiziell will der Justizsenat keine Transparenz über Funkzellenabfragen.

Im Oktober hat das Abgeordnetenhaus mit den Stimmen von CDU und SPD das Geld für den Betrieb des Systems vollständig gestrichen. Damit werden Betroffene nicht mehr informiert, obwohl das gesetzlich vorgeschrieben ist.

Statistik für Parlament eingestellt

Darüber hinaus hat die Regierung auch aufgehört, Parlament und Öffentlichkeit über die Zahl der Funkzellenabfragen und übermittelten Datensätze zu informieren. Das hatte das Abgeordnetenhaus vor zwei Wahlperioden per Beschluss eingefordert. Umgesetzt hat das aber nur der Grüne Justizsenator Behrendt in der darauf folgenden Wahlperiode.

In der aktuellen Wahlperiode hat die Linke Justizsenatorin Kreck aufgehört, die jährlichen Statistiken zu erstellen. Die Wissenschaftlichen Dienste haben im Auftrag der Linksfraktion ein Gutachten erstellt. Demnach muss die Regierung Beschlüsse des Parlaments nach Ende der Wahlperiode nicht mehr umsetzen.

Die Regierung könnte die Statistiken weiterhin freiwillig liefern. Doch das wollte weder die Linke Kreck noch die ehemalige Geheimdienstlerin Badenberg der CDU. Obwohl sogar ein CDU-Abgeordneter danach fragte.

Die Grüne Abgeordnete Petra Vandrey kommentiert: „Die Grüne Fraktion fordert die Regierung auf, das Transparenz-System zu reparieren und betroffene Personen wieder zu informieren. Der Senat muss dem Parlament auch die notwendigen Statistiken wieder übermitteln – sonst kann das Parlament die Regierung nicht angemessen kontrollieren.“


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