Die Europäische Union will Manipulation bei Wahlen verhindern und demokratische Prozesse schützen. Unsere Analyse zeigt: Ob die neue Verordnung über politische Werbung das halten kann, was sie verspricht, hängt vom Europäischen Parlament ab.
Die Europäische Union will erstmalig einheitliche Regeln für politische Online-Werbung einführen. Das Gesetz soll die politische Netzöffentlichkeit schützen und unlautere Manipulationen von Wahlen und Abstimmungen verhindern. Dabei geht es vor allem um zwei Punkte: Zum einen soll die Verordnung die Datennutzung für das Targeting politischer Werbung einschränken. Zum anderen soll sie verbindliche Transparenzvorgaben für politische Werbung etablieren.
Die Zeit drängt. Bis zur nächsten Europawahl im Frühjahr 2024 sollen die Regeln gelten. Nachdem die EU-Kommission vor einem guten Jahr einen mäßig ambitionierten Aufschlag vorlegte, haben sich die Mitgliedstaaten im Rat der EU im Dezember positioniert. Sie wollen das Gesetz an manchen Stellen schwächen.
Nun sind alle Augen auf das Europäische Parlament gerichtet. Am Montag beschließt der federführende Ausschuss seine Position, bald darauf das gesamte Parlament. Für den anschließenden Trilog, in dem sich die drei Organe der EU auf einen Verordnungstext einigen müssen, bleibt nicht viel Zeit.
Warum die EU politische Werbung regulieren will
Anders als für politische Werbung im Fernsehen oder auf Plakaten gibt es für Kampagnen im Netz bislang kaum explizite gesetzliche Rahmenbedingungen. Die Regulierung politischer Kommunikation in Demokratien ist komplex, selbst wenn es nur um Werbung geht. Die Freiheit der Kommunikation ist schließlich ein hohes Gut.
Doch der Handlungsdruck ist groß. Noch immer geistert der Skandal um Cambridge Analytica und Facebook aus dem Jahr 2018 als Schreckgepinst durch die Debatten. Damals war bekannt geworden, dass die britische Kommunikationsagentur psychologische Profile von zig Millionen Facebook-Nutzer:innen ohne ihr Wissen angefertigt hatte, um sie für Wahlkämpfe zu nutzen. Dass das Team von Donald Trump 2016 unter Mithilfe von Cambridge Analytica versuchte, mit zielgerichteter Online-Werbung Schwarze US-Bürger:innen von der Wahl abzuhalten, ist für die Gefahren des Microtargetings nur ein krasses Beispiel von vielen. Immer wieder tauchen zudem fragwürdige Online-Kampagnen auf, deren Urheber:innen und Sponsor:innen verschleiert werden. Beides will die EU verhindern.
Trotz aller Skandale machten lange Zeit weder politische Akteur:innen noch Plattformen ernsthafte Schritte, um das Missbrauchspotenzial politischer Online-Werbung zu begrenzen. Von Parteien gab es im besten Fall vage und unverbindliche Selbstverpflichtungen. Nichtregierungsorganisationen rufen deshalb seit langem nach Regeln für politische Online-Werbung. Zu groß ist das Manipulationspotenzial durch Microtargeting, zu gut lassen sich Geldgeber und Urheber von digitalen Kampagnen verbergen, um diesen Kernbereich der Demokratie dem Gutdünken von Plattformen und Parteien zu überlassen.
Parlament will mehr Transparenz
Deshalb will die EU für mehr Transparenz sorgen. Facebook und Google sperrten sich lange gegen einen derartigen Eingriff in ihr Geschäftsmodell mit verhaltensbasierter Werbung, richteten erst auf Druck der EU-Kommission Kennzeichnungen für politische Werbung und Anzeigen-Archive ein. Doch von Anfang an gab es Kritik, dass die freiwillige Transparenz nicht weit genug gehe.
Nach dem Willen der Kommission müsste politische Werbung im Internet nun bald verpflichtend als solche gekennzeichnet und mit einem ausführlichen Infoblatt versehen werden, der sogenannten Transparenzbekanntmachung. Bürger:innen sollen sehen können, wer für die Anzeige verantwortlich ist, wer dafür bezahlt hat und wie der Sponsor zu erreichen ist. Außerdem soll die Bekanntmachung darüber informieren, wie Bürger:innen Verstöße gegen die Regeln bei Aufsichtsbehörden melden können.
Was gut klingt, dürfte dem Europäischen Parlament nicht weit genug gehen. Denn die Transparenzpläne der Kommission gehen kaum über das hinaus, was Facebook oder Google inzwischen freiwillig liefern. Das Parlament diskutiert deshalb, den Katalog der transparenzpflichtigen Information zu erweitern, zum Beispiel um die wichtigen Targeting-Kriterien. Dafür hat sich bereits der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Parlaments ausgesprochen. Vor allem aber planen die Abgeordneten, dass es ein zentrales Register geben soll, in dem alle politischen Anzeigen eingetragen werden müssen.
Bürger:innen könnten sich dann an einer Stelle leicht einen Überblick verschaffen, wie Parteien und Politiker:innen kommunizieren. Relevant ist das vor allem deshalb, weil politische Akteur:innen immer wieder dadurch auffallen, dass sie bei Targeting-Kampagnen unterschiedliche Zielgruppen mit unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Botschaften ansprechen. Eine gemeinsame Crowd-Recherche des ZDF Magazins mit der britischen NGO WhoTargetsMe zeigte beispielsweise, dass die FDP im Bundestagswahlkampf 2021 sehr unterschiedliche Signale zum Thema Klimaschutz an unterschiedliche Klientel sendete, während zwei von Grünen und SPD besetzte Ministerien Werbung speziell für die Anhänger dieser Parteien schalteten.
Ob diese weitreichenden Transparenzpflichten Wirklichkeit werden, ist derzeit noch unklar. Sollte das Parlament sie beschließen, muss es seine Vorstellungen schließlich noch im anschließenden Trilog gegen Rat und Kommission durchsetzen. Oft werden bei diesen Verhandlungen hinter verschlossener Tür Kompromisse geschlossen, die weiter hinter dem bleiben, was das eigentlich Parlament wollte.
Datennutzung soll eingeschränkt werden
Auch bei der zweiten Säule der Verordnung, den Regeln für die Datennutzung und das Targeting bei politischer Werbung, ist heute noch unsicher, wie st
Der Einsatz bestimmter Datenarten für Targeted Advertising ist schließlich schon heute durch die Datenschutzgrundverordnung und den Digital Services Act eingeschränkt. Zuletzt entschieden Meta und Google zudem vor entscheidenden Wahlen immer wieder selbst, die Targeting-Möglichkeiten auf ihren Plattformen zu limitieren, weil sie das Risiko sonst nicht beherrschen konnten. Twitter verbot politische Werbung 2019 sogar komplett, doch wir konnten nachweisen, dass die Plattform Schwierigkeiten mit der konsequenten Durchsetzung der eigenen Regeln hatte. Nach der Übernahme des Dienstes durch Elon Musk sollen die Regeln bald ganz wieder aufgehoben werden.
Fest steht, dass die EU mit den neuen Regeln nicht nur diejenigen in den Blick nimmt, die die Werbeanzeigen schalten, sondern auch die Prozesse, mit denen Social-Media-Plattformen entscheiden, wer welche Inhalte zu sehen bekommt. Denn nicht nur bei der Auswahl der Targeting-Kriterien durch Werbetreibende, sondern auch beim Auswählen der tatsächlichen Zielgruppe durch die Plattformen – die sogenannte Ad-Delivery – werden Daten genutzt. Die EU-Kommission nennt hier besonders die „Amplifizierung“ von Inhalten, also die Förderung ihrer Reichweite durch Empfehlungssysteme.
Mit Einwilligung geht alles
Weder Targeting noch Amplifizierung sollen künftig mit besonders sensiblen Datenarten erlaubt sein, wie sie die Datenschutzgrundverordnung definiert. Hierzu zählen Daten, aus denen sich politische Ansichten, religiöse Überzeugungen, sexuelle Orientierungen oder der Gesundheitszustand ablesen lassen. Die Hoffnung: Die Nutzung dieser Daten zu verbieten, könnte einen Teil des Manipulationspotenzials von Online-Werbung abschwächen.
Doch die EU-Kommission meint es mit diesem Unterfangen nur halb ernst: Die Nutzung sensibler Daten für politisches Targeting soll nämlich dann erlaubt sein, wenn betroffene Personen ihr Einverständnis gegeben haben. Dieses allerdings bietet kaum Schutz, denn in Zeiten von manipulativem Design und ungleichen Machtverhältnissen zwischen Diensteanbietern und Nutzer:innen lässt sich die Einwilligung leicht erschleichen. In einer Stellungnahme moniert deshalb der Europäische Datenschutzbeauftragte, dass die Verordnung gegenüber schon bestehenden Datenschutzregeln keine Verbesserung darstellt.
Das Europäische Parlament will auch hier strengere Regeln. Der in dieser Frage maßgebliche LIBE-Ausschuss hat sich dafür ausgesprochen, die gezielte Einblendung politischer Werbung mithilfe der sensiblen Datenkategorien gänzlich zu verbieten, sowohl on- als auch offline. In den 60 Tagen vor einer Wahl oder einem Referendum dürften politische Botschaften zudem „nur abhängig von der Sprache der Wähler:innen und ihres Wahlkreises verbreitet werden“, fasst der Piraten-Abgeordnete Patrick Breyer die von ihm mitverhandelte Position zusammen. Dies soll dazu dienen, „eine Fragmentierung der öffentlichen Debatte und die unehrliche Verbreitung widersprüchlicher Botschaften zu verhindern“.
Insbesondere im Kontext von Social-Media-Plattformen will der Ausschuss darüber hinaus mehr Entscheidungsmöglichkeiten für Nutzer:innen. Es soll hier genau so einfach sein, zugeschnittene politischen Anzeigen abzulehnen, wie sich mit dem politischen Targeting einverstanden zu erklären. Nutzer:innen, die ihre Zustimmung verweigern, sollen zudem weiterhin Zugang zu den Online-Plattformen erhalten.
Nicht nur Werbung auf Plattformen kann problematisch sein
Die Probleme mit politischer Werbung sind allerdings nicht auf Social-Media-Plattformen beschränkt. Parteien und andere politische Akteur:innen bauen zunehmend eigene Datenbestände auf, die sie für E-Mail-Marketing oder Messenger-Kampagnen nutzen. Auch im Haustürwahlkampf spielen Daten eine Rolle, was etwa bei der CDU zu gravierenden Datenschutzverstößen führte. Die österreichische Post wurde zudem dabei erwischt, wie sie Daten von Millionen Österreicher:innen an Parteien verkaufte, darunter neben Kontaktdaten auch eine von der Post errechnete politische Affinität der Personen.
Wie erfolgreich die Verordnung am Ende sein wird, hängt deshalb nicht nur von den Regeln zu Transparenz und Targeting und ihrer effektiven Durchsetzung ab. Entscheidend wird auch sein, für wen diese Regeln genau gelten.
Dahinter steht die Grundsatzfrage, wie wir politische Werbung definieren. Genau darum ist in den letzten Wochen ein erbitterter Streit entbrannt, bei dem die Zivilgesellschaft ausgerechnet mit Google an einem Strang zieht. Sie befürchten, dass die Verordnung gravierende Kollateralschäden an der Meinungsfreiheit anrichten könnte, eine wichtige EU-Abgeordnete hält dagegen und warnt davor, dass der Verordnung auf den letzten Metern die Zähne gezogen werden.
Lest dazu mehr in unserem nächsten Artikel „Wenn Google und NGOs für das Gleiche streiten“
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