Anfang Februar erscheint mit „Hogwarts: Legacy“ ein vielversprechendes Spiel, das allerdings an die magische Welt der Autorin J. K. Rowling andockt. Sie steht wegen transfeindlicher Äußerungen immer wieder in der Kritik. Darf man Harry Potter noch gut finden?
Harry Potter und ich teilen eine Gemeinsamkeit: Wir sind gleich alt. Als der magische Bub mit elf Jahren seine Einladung zur Zauberschule Hogwarts erhielt, saß auch ich vor dem Briefschlitz meines Elternhauses und hoffte auf ein ähnliches Wunder. Leider hatte ich kein Glück. Ich musste meine Jugend in der Welt der Muggel, der nicht-magischen Wesen, verbringen, während ich Buch für Buch nachlas, was Harry Potter in seiner magischen Welt erlebte. Ich war begeistert.
Und so ging es nicht nur mir: Harry Potter gehört zu den ganz großen Popkultur-Phänomenen unserer Zeit, prägte gleich mehrere Generationen und legte die Grundlage für ein riesiges Film- und Merchandise-Imperium. Und an der Spitze dieses Imperiums: J. K. Rowling.
Eine Autorin, die sich diese magische Welt ausgedacht hat, in den vergangenen Jahren aber aus einem noch ganz anderen Grund die mediale Aufmerksamkeit auf sich zog: Sie machte sich etwa 2020 auf Twitter über den Ausdruck „menstruierende Menschen“ lustig, warnte in einem langen Blogpost ausdrücklich vor dem „neuen Transaktivismus“ und setzte sich gegen ein Selbstbestimmungsgesetz für Schottland ein. Rowling schob als Grund wiederholt die vermeintliche Sorge um die Rechte von Frauen nach vorne.
Durch Rowlings transfeindliche Äußerungen bekam die Welt von Harry Potter für viele Menschen plötzlich einen faden Beigeschmack. Buch- und Filmfans mussten sich fragen: Wie stehe ich mit diesem Wissen zu einem Kunstwerk, das mir eigentlich gefällt? Kann ich weiterhin die Bücher kaufen und weiterempfehlen, die Filme sehen und genießen?
Jetzt, mit dem nahenden Release eines neuen, aufwändig produzierten Videospiels, das sich um die Welt von Harry Potter drehen wird, gewinnt diese Diskussion nach vielen Jahren erneut an Sprengkraft. Was ist also zu tun? „Darf“ man diese magische Welt überhaupt noch genießen?
Die Trennung von Werk und Künstler ist kein Totschlagargument
Viele Menschen versuchen sich dieser Frage mit dem Verweis auf eine literaturwissenschaftliche Theorie zu entziehen, die sich um diesen einen berühmten, prägnanten Ausspruch dreht: Der Autor ist tot. Ein Kunstwerk könne also ohne Bezug auf die Weltanschauung oder die Biographie seines Künstlers, beziehungsweise seiner Künstlerin konsumiert, analysiert und ja, auch genossen werden.
Diese Perspektive wurde von Roland Barthes in den späten 1960ern geprägt, der sich damit gegen eine literaturkritische Tradition stellte, die bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein fast ausnahmslos historisch-biographisch geprägt war. Man fragte sich stets: Was will der Autor beziehungsweise die Autorin uns damit sagen?
Wenn es nach Barthes gegangen wäre, lautete hierauf allerdings die Antwort: Ist mir egal, dieser Text steht für sich alleine. Der Autor ist tot.
Barthes stellte damit die KünstlerInnen als einzige relevante Bedeutungsinstanz in Frage und schuf die Grundlage für die moderne Literaturkritik, die Texte aus ganz unterschiedlichen, gleichberechtigten Perspektiven beleuchtet: historischer Zeitgeist, ideologische Einflüsse, politische Prägungen, literarische Inspirationen und ja, auch Biografien der AutorInnen selbst. Und all diese Perspektiven sind miteinander verschränkt.
Vor diesem Hintergrund meint der Ausspruch „Der Autor ist tot“ also, dass die Welt von Harry Potter nicht einfach nur eine Chiffre für den Menschen J. K. Rowling ist, ein Literaturschlüssel etwa für ihre Intentionen. Stattdessen unterstreicht diese Theorie, dass ihre transfeindlichen Äußerungen ein fester Teil ihres Werkes sind, der in Diskussion um ihre Arbeit nicht einfach ausgeblendet werden kann – aber eben nicht als einziger Aspekt, sondern ebenso wie auch der historische Zeitgeist oder literarische Inspirationen, die ihr Werk ebenfalls beeinflusst haben.
Ironischerweise wird damit die Theorie des toten Autors nicht zum bequemen Notausgang in einer komplizierten Diskussion, sondern unterstreicht nur umso deutlicher, dass die Wertvorstellungen einer Künstlerin bei der Diskussion ihrer Kunst nicht ausgeblendet werden können.
Die Welt von Harry Potter stammt aus der Feder eines Menschen, der sich wiederholt transfeindlich geäußert hat. Wer mit diesem Wissen weiterhin ihre Arbeit konsumiert und damit die Autorin ganz direkt finanziell unterstützt, stimmt damit auch dem Weltbild der Urheberin zu.
Surfen auf Stirnfalten
Viele Menschen wird das verärgern, aber das ist nun einmal die Realität des kritischen Medienkonsums. Selbstverständlich kann jeder Harry-Potter-Fan für sich entscheiden, ob er oder sie die Filme, Bücher und Videospiele weiterhin konsumieren möchte oder nicht. Nur sollte klar sein, was die unvermeidbaren Implikationen dieser Entscheidung sind.
Das zu akzeptieren, ist trotzdem nicht leicht. Als Fan habe ich mich dazu entschlossen, die Erinnerungen an die Welt von Harry Potter, all den Büchern und den Filmen als wertvolle Momente meiner Kindheit für mich zu bewahren – als ich noch nicht wusste, wessen Welt ich hier in Wahrheit betrete.
Heute nehme ich von diesem Werk Abstand und konzentriere meine Zeit stattdessen auf die Arbeit von KünstlerInnen, die sich für eine gleichberechtigte Gesellschaft einsetzen. Als Journalist aber werde ich die Arbeit von Rowling weiter begleiten – allerdings nicht als Konsument, sondern als Kritiker, der sein Publikum auf die problematischen Implikationen hinweist, die mit dem Kauf jedes neuen Buchs, Films oder Spiels unauflösbar verbunden sind.
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