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Öffentliches Geld – Öffentliches Gut!: Öffentliche Gutachten

Um staatliche Gutachten und Studien geheim zu halten, werden teils abstruse Gründe herbeigezogen. Dabei sollte das, was aus öffentlichem Geld finanziert wurde, auch öffentlich zugänglich und nutzbar sein, findet unser Kolumnist Christian Humborg.

Ein Papierstapel
Um ein Gutachten weiterzugeben, muss heute niemand mehr Papier durch die Gegend tragen. CC-BY-SA 2.0 Niklas Bildhauer, Bearbeitung: netzpolitik.org

Als Gutachten noch gedruckt und ausgeliefert wurden, standen in den Behörden Aktenrollwagen bereit, um die viele Kilo schweren Papierberge darauf zu wuchten und sie in die Ministerien und Parlamente zu karren. Heute sind Gutachten meist PDF-Dateien, beliebig teilbar. Aber ihr politisches Gewicht ist geblieben.

Gerade bei komplexen oder gesellschaftlich umstrittenen Themen beauftragen etwa Behörden, Verwaltungen oder auch die Parlamente häufig Gutachten. Erstellt von einem möglichst kompetenten Sachverständigen, sollen sie eine fachlich fundierte Entscheidungshilfe darstellen, etwa bei rechtlichen oder naturwissenschaftlichen Streitpunkten.

Wenn in einem Gutachten ein Urteil gefällt wird, können politisch Entscheidungstragende deshalb nicht einfach darüber hinwegsehen. Die nicht unumstrittenen Gutachten der Katholischen Kirche zu den Missbrauchsskandalen werden die Debatten über Jahre bestimmen. Im Gutachten des Sachverständigenrates zur Wirksamkeit der Corona-Maßnahmen von Ende Juni wurde die „katastrophale Datenlage“ kritisiert. RKI-Chef Lothar Wieler geriet in der Folge gehörig in die Defensive.

Geheimhaltung per Urheberrecht?

Politisch Brisantes wird gern geheim gehalten. Das gilt auch bei staatlichen Gutachten. Politik und Behörden stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, die Veröffentlichung von Gutachten zu verhindern. Ein solcher Ausnahmetatbestand sind Belange der inneren und äußeren Sicherheit. Das ist nachvollziehbar, sofern die notwendigen Kriterien wirklich erfüllt sind.

Kaum verständlich ist der sogenannte „Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses” als Ausnahmetatbestand zur Begründung für die Geheimhaltung eines Gutachtens oder einer Studie. Wenn ein Gutachten abgeschlossen und übergeben wurde, als Bestandteil eines Entscheidungsprozesses, warum dürfen die Bürger*innen es erst nach Abschluss des Entscheidungsprozesses einsehen?

Vollkommen unverständlich wird es, wenn sich öffentliche Auftraggeber auf geistige Eigentumsrechte berufen, um die Einsichtnahme und Veröffentlichung von Gutachten und Studien zu verhindern.

Aus Sicht von Unternehmensberatungen und Anwaltskanzleien sind diese Urheberrechte nicht unwichtig. Sie ermöglichen es ihnen nämlich, unterschiedlichen Behörden gleiche Erkenntnisse zu verkaufen, wenn Behörde A nicht gelesen hat, was im Gutachten für Behörde B bereits steht, oder es erst gar nicht lesen konnte. Dass öffentliche Auftraggeber dies hinnehmen und das Urheberrecht sogar für ihre Geheimhaltungszwecke instrumentalisieren, ist nicht hinnehmbar.

Streitfall Glyphosat-Gutachten

Viel Aufsehen erregte die Geheimhaltung des sogenannten Glyphosat-Gutachtens. Als das sich unermüdlich für Informationsfreiheit einsetzende Portal FragDenStaat das Gutachten im Februar 2019 veröffentlichte, zog das Bundesinstitut für Risikobewertung vor Gericht. Obwohl eine Aufgabe der Behörde die Information der Öffentlichkeit ist, wurden über 100.000 Euro Steuergeld investiert, um die Veröffentlichung zu verhindern. Die Behörde verlor in erster und zweiter Instanz. Kern des Streits war eine sechsseitige Stellungnahme der Behörde. Darin werden Studien der Internationalen Agentur für Krebsforschung zum Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat zusammengefasst, in denen es unter anderem um die Verursachung von Tumoren durch den chemischen Stoff geht.

Das Beispiel des Glyphosat-Gutachtens zeigt, dass es im Kern um zwei Dinge geht: um die Frage, ob Bürger*innen Gutachten und Studien auf Informationsfreiheitsanfragen hin erhalten, und um die Frage, ob die erhaltenen Gutachten und Studien veröffentlicht und nachgenutzt werden dürfen. Die Möglichkeit der Nachnutzung ist hier ganz umfassend gemeint – es geht um die Verwendung der Studientexte selbst ebenso wie um eine abstrakte Nutzung der darin enthaltenen Erkenntnisse.

Die Bürger*innen haben diese staatlichen und staatlich beauftragten Gutachten und Studien finanziert, über Steuern und Abgaben. Deshalb müssen auch alle Zugang zu den Ergebnissen bekommen und diese frei nutzen können.

Freier Zugang zu Arbeitsergebnissen der öffentlichen Hand

Wir bei Wikimedia Deutschland setzen uns für Freies Wissen ein. Ein sehr simpler Grundsatz dabei: Was maßgeblich mit öffentlichen Mitteln finanziert wurde, muss der Öffentlichkeit frei zur Verfügung stehen. Das gilt für Archivinhalte, öffentlich beauftragte Software, digitalisierte Bestände von Kulturinstitutionen – und eben mit öffentlichem Geld finanzierte Gutachten und Studien.

Sie müssen öffentlich zugänglich gemacht und zur Nachnutzung freigegeben werden. Genauso wie die Arbeitsergebnisse derjenigen, die von der öffentlichen Hand beauftragt wurden – also Kanzleien, Wissenschaftsinstitutionen, IT-Beratung und andere.

Dann wäre 2016 kein Tauziehen um das McKinsey-Gutachten zu Abschiebungen nötig gewesen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte die Unternehmensberatung für ein 1,86 Millionen Euro teures Gutachten engagiert, wie effektiver abgeschoben werden kann. Ebenso wäre das Gutachten von KPMG und Freshfields zur Abwicklung von Banken im Auftrag des damaligen Bundesfinanzministers Scholz öffentlich gewesen.

Handlungsbedarf bei Bundestag und Bundesregierung

Der Bundestag muss Paragraf 5 des Urheberrechtsgesetzes so reformieren, dass alle behördeneigenen Gutachten und Studien zweifelsfrei als amtliche Werke anzusehen sind. Die staatlichen Stellen dürfen sich nicht auf eigene Urheberrechte berufen können. Weiterhin braucht es eine Regelung, die staatliche Stellen verpflichtet, bereits bei Auftragsvergabe sicherzustellen, dass die Ergebnisse später veröffentlicht und dann frei genutzt werden dürfen.

Aktuell erarbeitet eine zivilgesellschaftliche Initiative unter anderem von Mehr Demokratie e. V. in einem offenen Beteiligungsverfahren unter Einbeziehung der Bürger*innen einen eigenen Entwurf für ein Bundestransparenzgesetz. Denn ein Bundestransparenzgesetz will die Ampelkoalition laut Koalitionsvertrag schaffen. In Paragraf 19 des Entwurfes heißt es, die öffentliche Stelle habe dafür zu sorgen, dass die Erstellung der Dokumente auf Basis freier Lizenzen erfolgt.

Die Unkultur der Geheimhaltung von Gutachten gibt es leider nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf Landes- und kommunaler Ebene. BILD berichtete von einem Klimagutachten der Stadt Darmstadt, das seit fünf Jahren geheim gehalten werde. Zwei Tage vor Veröffentlichung des Artikels dann doch der Geisteswandel in Darmstadt: Der zuständige Umwelt- und Klimaschutzderzenent kündigte an, das Gutachten doch noch in Gänze zu veröffentlichen – fünf Jahre nach seiner Erstellung.

Gäbe es dann noch ein einheitliches Register für staatliche und staatlich beauftragte Gutachten und Studien, würde dies nicht nur allen Bürger*innen Wissen und Nachnutzung ermöglichen, sondern könnte vor allem auch gegenseitiges Lernen zwischen Behörden unterstützen und Doppelarbeit vermeiden helfen.


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