Das Image des Internets als Befreiungsmedium ohne Wenn und Aber ist schon seit einiger Zeit angeschlagen. Besonders problematisch wird es aber, wenn sich Betreiber großer sozialer Medien zu Komplizen autoritärer Staaten machen. Die deutsche Politik sollte sich deshalb international dafür einsetzen, die Anbieter zu regelmäßigen Menschenrechtsanalysen zu verpflichten, fordert eine Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Nicht alle autoritär geführten Staaten verbieten soziale Medien, zwingen aber die Betreiber der derzeit meist aus den USA stammenden Angebote, repressive staatliche Vorgaben umzusetzen. So ordnete etwa die Regierung Saudi-Arabiens den Videodienst Snapchat an, den Nachrichtenanbieter Al Jazeera von seiner „Discover“-Seite zu nehmen. Facebook wiederum sperrte auf Zuruf die Facebook-Seite einer kurdischen Miliz für türkische Nutzer:innen. Auf soziale Medien beschränkt sich das Problem freilich nicht: So verschwand etwa in Russland eine App des Oppositionellen Alexei Nawalny nach einer Aufforderung der russischen Regierung aus den App Stores von Apple und Google.
Geschäft geht meist vor
Nun könnten sich die Anbieter natürlich unter Protest aus solchen Märkten zurückziehen, vollziehen diesen Schritt allerdings nur in Ausnahmefällen. „Die Bevölkerungen auch autoritärer Staaten sind für sie zunächst eine attraktive Zielgruppe“, schreiben die beiden Autor:innen Paula Köhler und Daniel Voelsen in der SWP-Studie. Nicht ohne Ironie sei es, „dass Konzerne wie Facebook und Google in den USA und Europa auf liberale bis libertäre Rhetorik zurückgreifen, um sich staatlicher Regulierung entgegenzustellen, gleichzeitig aber in vielen Fällen vergleichsweise geräuscharm den Begehren autoritärer Regierungen nachkommen.“ Wenn sich ihnen doch mal eine Begründung entlocken lasse, dann weisen sie etwa darauf hin, dass ein völliger Rückzug womöglich schwerwiegender für die Bevölkerung wäre, als Anordnungen einer autoritären Regierung zu entsprechen.
Um das Ausmaß des Problems besser einschätzen zu können, werteten die beiden Forscher:innen die inzwischen regelmäßig erscheinenden Transparenzreports der drei großen Anbieter Facebook, Twitter und Youtube aus. Eine Analyse gestalte sich zwar schwierig, weil die Unternehmen ihre Auskünfte unterschiedlich strukturierten, räumen die Autor:innen ein. Aber es lasse sich etwa aus den Berichten von Youtube herauslesen, dass sich autoritäre Staaten sehr viel häufiger als Demokratien auf die „nationale Sicherheit“ oder „Kritik an der Regierung“ beziehen, um unliebsame Inhalte entfernen zu lassen. In demokratischen Staaten haben Löschersuche von Regierungen eher Urheberrechtsverletzungen und Tatbestände wie Verleumdung im Blick.
Aufschlussreich ist auch das Bild der besonders löschwütigen Staaten zwischen 2014 und 2020. Unter den autoritären Staaten stechen Russland und die Türkei hervor, während Indien, Japan, Frankreich und Mexiko zu den Demokratien zählen, die die meisten Anfragen zur Entfernung von Inhalten stellten. Dabei würden vor allem Indien und Mexiko auffallen. Diese gelten zwar gemeinhin als demokratische Staaten, doch geraten deren demokratische Institutionen zunehmend unter Druck.
Frühwarnsystem statt kurzfristigen Aktivismus
„Im Falle offenkundiger Menschenrechtsverletzungen sind die Unternehmen keineswegs mit einer komplexen Abwägung konfrontiert“, heißt es in der Studie. Vielmehr sei im Grunde klar, dass die Anbieter keinen Anforderungen Folge leisten dürfen, die im Widerspruch zu den Menschenrechten stehen. „Ansonsten droht ihnen, zu Komplizen autoritärer Herrscher zu werden“, so die Autor:innen. Die Anbieter sollten sich diesen Anforderungen widersetzen und notfalls in Kauf nehmen, dafür den Zugang zu den entsprechenden Märkten zu verlieren.
Doch letztlich bleibe es die Entscheidung der jeweiligen Unternehmen, wie sie mit diesem Spannungsfeld umgehen – schon allein, weil es keine globale Institution gibt, die verbindliche Leitlinien vorgeben könnte. Einen Zwischenschritt zu einer politischen Lösung könnten indes „striktere Vorgaben für regelmäßige Human Rights Impact Assessments darstellen“, schreiben die Autor:innen. Solche Menschenrechtsanalysen müssten sich systematisch mit dem Handeln der Betreiber sozialer Medien in autoritären Kontexten auseinandersetzen.
Darauf aufbauend könnten dann Taten folgen, etwa eine Entwicklung frühzeitiger Krisenprotokolle für Länder, die zunehmend autoritär werden. Dies könnte den kurzfristigen Aktivismus der Plattformen in eine Art digitales Frühwarnsystem verwandeln: So ließe sich feststellen, wenn in einem Land die Regierungsanfragen zur Entfernung von Inhalten zunehmen. „Eine solche politische Dynamik könnte auf diese Weise rechtzeitig wahrgenommen und entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet werden, bevor sich eine Krise zuspitzt.“
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