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Inhaltemoderation: Soziale Medien als Handlanger autoritärer Staaten

Russland zählt zu den Spitzenreitern bei der Zensur, ob On- oder Offline. Im Bild das Vorgehen der Polizei gegen eine Demonstration gegen ein Zensurgesetz im Jahr 2016. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / ITAR-TASS

Das Image des Internets als Befreiungsmedium ohne Wenn und Aber ist schon seit einiger Zeit angeschlagen. Besonders problematisch wird es aber, wenn sich Betreiber großer sozialer Medien zu Komplizen autoritärer Staaten machen. Die deutsche Politik sollte sich deshalb inter­natio­nal dafür einsetzen, die Anbieter zu regelmäßigen Menschenrechtsanalysen zu verpflichten, fordert eine Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Nicht alle autoritär geführten Staaten verbieten soziale Medien, zwingen aber die Betreiber der derzeit meist aus den USA stammenden Angebote, repressive staatliche Vorgaben umzusetzen. So ordnete etwa die Regierung Saudi-Arabiens den Videodienst Snapchat an, den Nachrichten­anbieter Al Jazeera von seiner „Discover“-Seite zu nehmen. Facebook wiederum sperrte auf Zuruf die Facebook-Seite einer kurdischen Miliz für türkische Nutzer:innen. Auf soziale Medien beschränkt sich das Problem freilich nicht: So verschwand etwa in Russland eine App des Oppositionellen Alexei Nawalny nach einer Aufforderung der russischen Regierung aus den App Stores von Apple und Google.

Geschäft geht meist vor

Nun könnten sich die Anbieter natürlich unter Protest aus solchen Märkten zurückziehen, vollziehen diesen Schritt allerdings nur in Ausnahmefällen. „Die Bevölkerungen auch autoritärer Staa­ten sind für sie zunächst eine attraktive Ziel­gruppe“, schreiben die beiden Autor:innen Paula Köhler und Daniel Voelsen in der SWP-Studie. Nicht ohne Ironie sei es, „dass Kon­zerne wie Facebook und Google in den USA und Europa auf liberale bis libertäre Rheto­rik zurückgreifen, um sich staatlicher Regu­lierung entgegenzustellen, gleichzeitig aber in vielen Fällen vergleichsweise geräuscharm den Begehren autoritärer Regierungen nachkommen.“ Wenn sich ihnen doch mal eine Begründung entlocken lasse, dann weisen sie etwa darauf hin, dass ein völliger Rückzug womöglich schwer­wiegender für die Bevölkerung wäre, als Anordnungen einer autoritären Regierung zu entsprechen.

Um das Ausmaß des Problems besser einschätzen zu können, werteten die beiden Forscher:innen die inzwischen regelmäßig erscheinenden Transparenzreports der drei großen Anbieter Facebook, Twitter und Youtube aus. Eine Analyse gestalte sich zwar schwierig, weil die Unternehmen ihre Auskünfte unter­schiedlich strukturierten, räumen die Autor:innen ein. Aber es lasse sich etwa aus den Berichten von Youtube herauslesen, dass sich autoritäre Staa­ten sehr viel häufiger als Demokratien auf die „nationale Sicherheit“ oder „Kritik an der Regierung“ beziehen, um unliebsame Inhalte entfernen zu lassen. In demokratischen Staaten haben Löschersuche von Regierungen eher Urheberrechtsverletzungen und Tatbestände wie Verleumdung im Blick.

Aufschlussreich ist auch das Bild der besonders löschwütigen Staaten zwischen 2014 und 2020. Unter den autoritären Staaten stechen Russland und die Türkei hervor, während Indien, Japan, Frankreich und Mexiko zu den Demokratien zählen, die die meisten Anfragen zur Entfer­nung von Inhalten stellten. Dabei würden vor allem Indien und Mexiko auffallen. Diese gelten zwar gemeinhin als demokratische Staaten, doch geraten deren demokratische Institutionen zunehmend unter Druck.

Eine Statistik besonders löschferudiger Staaten. Unter autoritären Systemen sticht Russland hervor, während Indien die meisten Löschanfragen unter demokratischen Staaten stellt.
Staaten mit den meisten Löschanfragen an Betreiber sozialer Medien, 2014-2020, unterteilt in autoritäre und demokratische Staaten. - Alle Rechte vorbehalten Stiftung Wissenschaft und Politik

Frühwarnsystem statt kurz­fristigen Aktivismus

„Im Falle offenkundiger Menschenrechtsverletzungen sind die Unternehmen keineswegs mit einer kom­plexen Abwägung konfrontiert“, heißt es in der Studie. Vielmehr sei im Grunde klar, dass die Anbieter keinen An­for­de­rungen Folge leisten dürfen, die im Wider­spruch zu den Menschenrechten stehen. „Ansonsten droht ihnen, zu Kom­plizen auto­ritärer Herrscher zu werden“, so die Autor:innen. Die Anbieter sollten sich diesen Anforderungen wider­setzen und not­falls in Kauf nehmen, dafür den Zugang zu den entsprechenden Märkten zu verlieren.

Doch letztlich bleibe es die Entscheidung der jeweiligen Unternehmen, wie sie mit diesem Spannungsfeld umgehen – schon allein, weil es keine globale Institution gibt, die verbindliche Leitlinien vorgeben könnte. Einen Zwischenschritt zu einer politischen Lösung könnten indes „strik­tere Vorgaben für regelmäßige Human Rights Impact Assessments darstellen“, schreiben die Autor:innen. Solche Menschenrechtsanalysen müssten sich systematisch mit dem Handeln der Betrei­ber sozialer Medien in autoritären Kontexten auseinandersetzen.

Darauf aufbauend könnten dann Taten folgen, etwa eine Entwicklung frühzeitiger Krisenprotokolle für Länder, die zunehmend autoritär werden. Dies könnte den kurz­fristigen Aktivismus der Plattformen in eine Art digitales Frühwarn­system verwandeln: So ließe sich fest­stellen, wenn in einem Land die Regierungs­anfragen zur Entfernung von Inhalten zu­nehmen. „Eine solche politische Dynamik könnte auf diese Weise rechtzeitig wahrge­nommen und entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet werden, bevor sich eine Krise zuspitzt.“


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