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Katastrophenwarnung: Einführung von „Cell Broadcast“ rückt näher

Das Bild zeigt Prof. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, EU-Kommissar Günther Oettinger und Ortwin Neuschwander, Geschäftsführer der TURM solutions GmbH, beim Drücken eines fiktiven Startknopfes.

Die Bundesregierung kommt der Einführung des Warnsystems „Cell Broadcast“ einen weiteren Schritt näher. Das Bundeskabinett hat sich dazu gestern auf eine „Formulierungshilfe“ zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) geeinigt. Wird es vom Bundestag beschlossen, können alle Mobilfunktelefone, die in einer bestimmten Mobilfunkzelle eingebucht sind, mit einer Textnachricht vor einem bevorstehenden Ereignis gewarnt werden. Das System ist nicht an bestimmte Rufnummern gebunden, jedoch muss der Empfang von „Cell-Broadcast“-Nachrichten auf einigen Handys manuell aktiviert werden.

Der Standard von „Cell Broadcast“ ist vom 3rd Gene­ration Part­nership Project (3GPP), in dem sich weltweite Standardisierungsgremien zusammengeschlossen haben, definiert. Demnach kann der anfangs nur in GSM-Netzen verfügbare Dienst nunmehr auch mit LTE und 5G genutzt werden. „Cell-Broad­cast“-Nach­richten umfassen nur maximal 93 Zeichen. Die neueste Spezi­fika­tion erweitert dies auf 1.395 Zeichen, indem insgesamt 15 fortlaufende Nach­richten zu je 93 Zeichen versandt werden können. Zusätzlich gibt das Handy einen Alarmton aus und vibriert, auch wenn es stummgeschaltet ist.

Erweiterung auf 1.395 Zeichen

Im Mai hatte das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) bereits eine Machbarkeitsstudie zur Einführung von „Cell Broadcast“ beauftragt, deren Ergebnis noch diesen Monat vorliegen soll. Laut heise.de hat sich das Bundeswirtschaftsministerium hierzu bislang als „Bremser“ betätigt. Die jüngste Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hat jedoch dafür gesorgt, dass die Bundesregierung die Technik nun schnell auf den Weg bringen will. 

Das BBK erarbeitet derzeit mit den Mobilfunknetzbetreibern Anforderungen an ein solches System. Anschließend soll die Bundesnetzagentur eine entsprechende technische Richtlinie für das deutsche „Cell Broadcast“ erstellen. Unter anderem müssen die Firmen eine Schnittstelle in ihre Netze einrichten. In weniger als einem Jahr soll die Technik schließlich startklar sein.

Allerdings muss im Telekommunikationsgesetz noch geregelt werden, wer einen SMS-Alarm auslösen darf.

Empfang von Warnungen bislang nur nach Anmeldung

Bislang warnen deutsche Behörden ausschließlich Menschen, die das auch wollen, vor bevorstehenden Ereignissen. Das BBK betreibt dazu die Informations- und Nachrichten-App „NINA“, die zehn Millionen Abonnent:innen haben soll. Mehrere Bundesländer sowie Bundesbehörden betreiben außerdem die vom Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS) entwickelte App „Katwarn“, die neben Katastrophenwarnungen auch über Bombenfunde und andere Ereignisse informiert. Auf Wunsch kann eine Katwarn-Nachricht auch per Mail oder SMS erfolgen. In Deutschland soll das System über rund 3,8 Millionen Nutzer:innen verfügen.

„Katwarn“ wird in der Europäischen Union als „EUWARN“ vermarktet, allerdings ist das vom ehemaligen EU-Kommissar Günther Oettinger symbolisch am 11. September 2019 gestartete System bislang kaum verbreitet.

Jede Meldung, die Behörden von Bund und Ländern  über „NINA“, „Katwarn“ und andere Warn- oder Wetter-Apps verteilen, wird über das „modulare Warnsystem des Bundes“ (MoWaS) eingegeben. Das Format und die Einstufung der „Meldungskategorien“ soll dem internationalen  „Common Alerting Protocol“ (CAP) entsprechen, das entsprechende Standards vorschlägt. Derzeit haben mit dem Bundesinnenministerium, dem BBK, dem Bundesamt für Strahlenschutz und dem Deutschen Wetterdienst vier Einrichtungen des Bundes „schreibenden“ Zugriff auf das MoWaS. Über den Zugang des BBK versendet außerdem das Gesundheitsministerium Informationen zur Corona-Lage.

EU-Richtlinie von 2018

Mit den Apps wird nur ein kleiner Teil der Bevölkerung erreicht, außerdem sind die Meldungen nicht grundsätzlich ortsgebunden. Deshalb hatten sich die EU-Mitgliedstaaten 2018 auf die Einführung von niedrigschwelligen Bevölkerungswarnungen geeinigt. Einzelheiten dazu sind in der Richtlinie für einen „europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation“ (EECC-Richtlinie) festgelegt. Welches Verfahren die Mitgliedstaaten dabei einsetzen, bleibt ihnen überlassen.

Zu den Vorgaben gehört aber, dass sich die Empfänger:innen wie bei „Cell Broadcast“ für eine Benachrichtigung nicht bei Behörden oder Firmen anmelden oder registrieren müssen. Der EU-Kodex regelt auch, wer eine Katastrophenwarnung erhalten soll. Als notwendigerweise Betroffene gelten demnach alle Personen, die sich im fraglichen Zeitraum „in den möglicherweise von den drohenden oder sich ausbreitenden größeren Notfällen und Katastrophen betroffenen geografischen Gebieten“ befinden. Diese Gebiete sollen von den zuständigen Behörden bestimmt werden.

Mit der nun beschleunigten Einführung von „Cell Broadcast“ setzt die Bundesregierung also letztlich nur die EECC-Richtlinie um. Am 21. Juni 2022 endet die Frist, zu der alle Mitgliedstaaten ein solches Warnsystem eingeführt haben müssen.

Warnungen auch durch Polizei?

Laut der Richtlinie sollen die Behörden nicht erfahren können, wer die Meldung erhält. Der Dienst darf für die Empfänger:innen außerdem nichts kosten. Möglich wäre aber, dass die Netzanbieter oder die Betreiber von Basisstationen – ähnlich wie bei dem Versand technisch eigentlich trivialer SMS – von den Behörden Geld für die verteilten Nachrichten verlangen. In Deutschland soll dies jedoch kostenlos sein. Vergangene Woche hatte das Bundesinnenministerium in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage mitgeteilt, dass die deutschen Mobilfunknetzbetreiber nach derzeitigem Stand keine Lizenzgebühren für den Betrieb von „Cell Broadcast“ erheben wollen.

Schließlich schreibt die EECC-Richtlinie vor, dass die EU-Kommission die Einrichtung eines unionsweiten öffentlichen Warnsystems prüfen soll. Dann könnten die zuständigen Behörden vor „größeren Notfällen“ in verschiedenen Mitgliedstaaten warnen. Die Formulierung lässt offen, ob es sich dabei auch um polizeiliche Meldungen, etwa bei einem Anschlag, handeln könnte.

Einige Polizeien in EU-Mitgliedstaaten und im Schengen-Staat Schweiz haben außerdem Apps zum „Predictive Policing“ eingeführt, die einen möglicherweise bevorstehenden Einbruch ankündigen. „KatWarn“, das nach dem Willen der EU-Kommission zukünftig EU-Standard werden soll, bindet solche Meldungen beispielsweise im Bundesland Nordrhein-Westfalen bereits ein. Diese beruhen allerdings auf statistischen Prognosen und nicht auf Tatsachen.


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