Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán findet sich in fragwürdiger Runde wieder. Als erster Regierungschef eines EU-Landes nimmt Orbán einen Platz in der Liste mit den weltweit größten „Feindinnen und Feinden der Pressefreiheit“ ein, die Reporter ohne Grenzen (RoG) am Montag veröffentlicht hat.
Die Liste enthält 37 Staats- und Regierungsoberhäupter, zu Orbán gesellen sich unter anderem der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman, der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro oder der russische Präsident Wladimir Putin. Sie verkörpern „in besonders drastischer Weise die rücksichtslose Unterdrückung der Pressefreiheit“, schreibt RoG.
Unabhängiger Journalismus abgebaut
Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2010 hat der rechtskonservative Orbán allmählich die Demokratie abgebaut und zudem Ungarns Medienlandschaft unter die Kontrolle der Regierung gebracht. So wurden die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender sowie die einzige Nachrichtenagentur MTI in der staatlichen Medienholding MTVA zusammengefasst.
Die regionale Presse Ungarns sei inzwischen vollständig im Besitz Orbán-freundlicher Unternehmer, so RoG. Im Herbst 2018 seien fast 500 regierungsnahe Medienunternehmen in einer Holding zusammengefasst worden, um ihre Berichterstattung zentral zu koordinieren. Zuletzt kündigte im vergangenen Winter fast die gesamte Redaktion des landesweit größten Nachrichtenportals Index.hu, weil auf Anordnung von oben die bislang kritische Berichterstattung auf regierungsfreundliche Linie gebracht werden sollte.
Die Nichtregierungsorganisation RoG veröffentlicht die Liste in unregelmäßigen Abständen seit 2001, die letzte stammt von Ende 2016. „In allen Weltregionen sind neue Namen hinzugekommen“, so RoG-Geschäftsführer Christian Mihr in einem Blogbeitrag. „Ihre Unterdrückungsmethoden sind verschieden, dienen aber demselben Zweck: Kritische Berichterstattung um jeden Preis zu verhindern“.
Kritiker ermordet
Für weltweite Schlagzeilen sorgte etwa der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman, der seit 2017 autoritär regiert und die Repressionen gegen Zivilgesellschaft und Presse verstärkt hat. Die Ermordung des Exil-Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul 2018 habe gezeigt, dass Kritikerinnen und Kritiker selbst im Ausland nicht sicher sind, so RoG.
Besonders gefährlich für unabhängige Journalist:innen ist die Lage in Syrien unter dem Langzeit-Präsidenten Baschar al-Assad, Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi, Bahrains König Hamad bin Isa Al Chalifa und Irans religiösem Führer Ali Chamenei. In letzterem Land wurde etwa im Vorjahr der Journalist Ruhollah Sam hingerichtet.
Neu auf der Liste ist hingegen der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro. Der Rechtsaußen-Politiker macht in sozialen Medien Stimmung gegen seine Gegner:innen, verbreitet Verschwörungserzählungen und versucht mit Hetz- und Klagekampagnen, die freie Presse einzuschüchtern. Aus Lateinamerika stammen auch der seit 2019 regierende Staatspräsident von Kuba, Miguel Díaz-Canel, der die jahrzehntealte Null-Toleranz-Politik des Landes weiterführt, sowie Nicaraguas Staatspräsident Daniel Ortega und Präsident Nicolás Maduro aus Venezuela.
Hongkong dreht Medien ab
Aus der Region Asien-Pazifik stammen die meisten Neuzugänge auf der Liste, die 13 der 37 Feind:innen der Pressefreiheit stellen. Dazu zählt die Regierungschefin Carrie Lam aus Hongkong, die Verleger wie Jimmy Lai ins Gefängnis stecken und regierungskritische Tageszeitungen wie Apple Daily einstellen lässt. Repressiv gebärdet sich auch der philippinische Präsident, Rodrigo Duterte. Dem wichtigsten nationalen Sender, ABS-CBN, verweigerte seine Administration die Verlängerung der Lizenz, und die zunehmende Hetze gegen die Presse bezahlten inzwischen mindestens vier Journalist:innen mit ihrem Leben.
Zu den Feinden der Pressefreiheit zählt auch der Junta-Chef Min Aung Hlaing aus Myanmar, der sich Anfang des Jahres an die Macht geputscht hatte und unter anderem dutzende Journalist:innen festnehmen ließ. Die Liste ergänzen der kambodschanische Ministerpräsident Hun Sen, der pakistanische Premierminister Imran Khan, Indiens Premier Narendra Modi, Sri Lankas Präsident Gotabaya Rajapaksa und Bangladeschs Premierministerin Sheikh Hasina.
In Afrika belegen Eritreas Präsident Isaias Afewerki, Ruandas Präsident Paul Kagame und der Staatschef von Äquatorialguinea, Teodoro Obiang Nguema Mbasogo, Dauerplätze auf der Liste. Neu hinzugekommen sind die Präsidenten Paul Biya aus Kamerun, Ismael Omar Guelleh aus Dschibuti und Yoweri Museveni aus Uganda.
Unverändert düster in Belarus und Russland
Weltweite Aufmerksamkeit erregten im Vorjahr die Proteste gegen den autoritären Präsidenten von Belarus, Alexander Lukaschenko. Ein demokratischer Durchbruch gelang nicht, dazu beigetragen haben wohl die Festnahmen von mehr als 500 Journalist:innen. Unabhängige Nachrichtenseiten wie Tut.by wurden zugedreht, ausländische Medienschaffende des Landes verwiesen. Um den im Exil lebenden regimekritischen Blogger Roman Protassewitsch unter Kontrolle zu bekommen, ließ die Regierung jüngst sogar ein Passagierflugzeug nach Minsk umleiten.
Ihre Arbeit bleibt auch für russische Journalist:innen weiterhin gefährlich. Seit dem Amtsantritt von Präsident Wladimir Putin vor mehr als 20 Jahren sind in Russland mindestens 37 Reporter:innen ermordet worden. Sowohl das Fernsehen als auch die wichtigsten unabhängigen Verlage stehen unter der Fuchtel des Kreml. Ausländische Medienschaffende müssen damit rechnen, zu ausländischen Agent:innen erklärt zu werden und ihre Lizenz zu verlieren.
Die Liste der „Feindinnen und Feinde der Pressefreiheit“ erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit, betont RoG. Zu einem späteren Zeitpunkt will die NGO eine Liste mit nichtstaatlichen Gruppen wie Extremisten- und Verbrecherorganisationen nachlegen. Zudem veröffentlicht Reporter ohne Grenzen jährlich eine Rangliste der Pressefreiheit, zuletzt im April 2021. Dort kann sich Deutschland insgesamt gut behaupten, rutschte im Vorjahr allerdings von Rang 11 auf Rang 13 ab.
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