Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) koordiniert drei Verfahren gegen die Datenträgerauswertung des BAMF vor deutschen Verwaltungsgerichten. In dem Berliner Verfahren gab es nun eine erste Entscheidung: Das Auslesen des Handys einer 44-jährigen Klägerin aus Afghanistan war rechtswidrig.
Wenn Geflüchtete nach Deutschland kommen und keinen gültigen Pass vorlegen können, kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ihre Datenträger auslesen, um später nach Hinweisen für ihre Identität und Herkunft zu suchen. Das passiert oftmals noch bevor die Asylsuchenden in einer Anhörung Fragen beantworten können. Diese Praxis der Datenauslesung war schon zum Zeitpunkt der dazugehörigen Gesetzgebung im Jahr 2017 umstritten, die frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff äußerte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit. Der damit erreichte Nutzen ist begrenzt, zeigte sich in der praktischen Anwendung: Häufig waren die Ergebnisse unbrauchbar. Widersprüchen kam das BAMF damit nur selten auf die Spur.
Eine schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Laut Lea Beckmann, Juristin bei der GFF, begründete das Gericht seine Entscheidung damit, dass das BAMF die Daten zu Beginn des Asylverfahrens ausliest, ohne mildere Mittel zu prüfen. „Das Verwaltungsgericht bestätigt mit dieser Entscheidung, was wir seit Jahren sagen: Das BAMF verletzt mit seinen Handydatenauswertungen Grundrechte“, so Beckmann, die die Verfahren koordiniert. „Das ist ein riesiger Erfolg – und stellt die gesamte Praxis der Handydatenauswertungen des BAMF in Frage.“
Die Klägerin empfand das Auslesen ihres Handys als tiefen Eingriff: „Auf meinem Handy sind private Nachrichten mit meiner Familie. Ich hatte keine andere Wahl und wusste gar nicht, was mit meinen Daten genau passiert“, habe sie den Richter:innen in der mündlichen Verhandlung erklärt. Die Angestellten des BAMF sehen im Ergebnisbericht vor allem Statistiken, die etwa aus Geodaten, Ländervorwahlen und verwendeten Sprachen in Textnachrichten erzeugt werden. Doch auch wenn sie nicht auf einzelne Nachrichten oder Fotos zugreifen, kann es sich für die Betroffenen anfühlen, als würden sie ihr „ganzes Leben über den Tisch reichen“, wie es einer der anderen Kläger ausdrückte.
Was bedeutet das Urteil für andere Asylsuchende?
Die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts bezieht sich zunächst nur auf die konkrete Klägerin, die Rechtmäßigkeit der Rechtsgrundlage überprüfte es nicht. Doch die Datenträgerauswertung betrifft Tausende Geflüchtete in Deutschland. Das BAMF kann gegen das Urteil in Sprungrevision gehen, dann wird vor dem Bundesverwaltungsgericht weiterverhandelt. „Sollte das BAMF nun in Revision gehen, dann kann das höchste deutsche Verwaltungsgericht über die Rechtmäßigkeit der aktuellen BAMF-Handydatenauswertungen entscheiden. Das wäre ein wichtiger Schritt für den Datenschutz von Geflüchteten“, kommentiert Rechtsanwalt Matthias Lehnert, der die Klägerin vertreten hat. Auf Nachfrage erklärt das BAMF, man werde zunächst die schriftliche Begründung abwarten, um diese auszuwerten.
Und selbst wenn das BAMF nun seine Auswertungspraxis noch nicht direkt ändern muss, dürfte die Entscheidung ein deutliches Signal sein. Die Entscheidungen zu den laufenden Verfahren an den Verwaltungsgerichten in Hannover und Stuttgart stehen noch aus, seit Februar läuft eine Beschwerde beim Bundesdatenschutzbeauftragten.
Offenlegung: Die Autorin des Texts hat in Zusammenarbeit mit der GFF die Studie „Das Smartphone, bitte! Digitalisierung von Migrationskontrolle in Deutschland und Europa“ erstellt. Die Co-Autorin Lea Beckmann koordiniert die Klage- und Beschwerdeverfahren zur Handydatenauswertung des BAMF.
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