Tom Jennissen arbeitet für die Digitale Gesellschaft. Zu diesem Text haben außerdem Benjamin Bergemann und Volker Grassmuck beigetragen.
Wenn der Bundestag am heutigen Donnerstag abschließend über die Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie in deutsches Recht abstimmt, werden die im umstrittenen Artikel 17 vorgesehenen Uploadfilter endgültig in deutsches Recht gegossen. Größere Diensteanbieter wie etwa YouTube müssen dann nach den Vorgaben des Urheberrechts-Diensteanbietergesetzes (UrhDaG) spätestens ab August sämtliche Inhalte, die hochgeladen werden, automatisiert überprüfen und gegebenenfalls blockieren.
Ein seit Jahrzehnten etablierter Konsens der Internetregulierung ist damit aufgekündigt: Während Plattformen bisher in Notice-and-Takedown-Verfahren auf Hinweise hin vermeintlich rechtswidrige Inhalte prüfen und eventuell löschen mussten, sollen sie nun sämtliche Uploads ihrer Nutzerinnen und Nutzer aktiv überwachen.
Dabei galt es lange in der deutschen Politik als Konsens, dass Inhalte und Nutzende nicht umfassend überwacht werden sollen. Alle im Bundestag vertretenen Parteien haben sich gegen Uploadfilter ausgesprochen und auch die Regierungskoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag vom März 2018 unmissverständlich klargemacht: „Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern, um von Nutzern hochgeladene Inhalte nach urheberrechtsverletzenden Inhalten zu ‚filtern‘, lehnen wir als unverhältnismäßig ab.“
Dass dieses Versprechen nicht viel Wert war, wurde ziemlich genau ein Jahr später klar, als die Regierung im Rat der Europäischen Union der Urheberrechts-Reform und damit der Einführung von Uploadfiltern zustimmte.
Protest gab es vor allem für strengere Uploadfilter
Verglichen mit den lautstarken Protesten gegen die Einführung des Artikel 17 aus der EU-Richtlinie bei der hunderttausende, meist junge Menschen auf die Straße gingen, erfolgte die Umsetzung in nationales Recht vergleichsweise still und ohne eine größere gesellschaftliche Debatte.
Öffentlichkeitswirksamer Protest regte sich vor allem für noch strengere Uploadfilter: Zum Abschluss einer intensiven Kampagne der Rechteindustrie wettern, angeführt von Peter Maffay, verschiedene Musikschaffende von Helene Fischer bis SLIME gegen „vermeintlichen Verbraucherschutz“ und „Netzaktivist*innen“, die aus „ihrem ideologischen Elfenbeinturm heraus […] realitätsferne Zensurszenarien“ spinnen würden.
Dass sie dabei eine äußerst fragwürdiges Verständnis der Rechtslage kolportieren, mag vielen der Beteiligten nicht bewusst sein. Unmissverständlich ist, dass hier Eigentumsrechte gegen Meinungsfreiheit und Kritik an Überwachung im Netz ausgespielt werden sollen.
Während die Leitlinien der Kommission zur Umsetzung von Artikel 17 weiter auf sich warten lassen und wohl erst nach der offiziellen Umsetzungsfrist im Juni 2021 vorliegen werden, hat der Bundestag Ende März in erster Lesung über den Regierungsentwurf diskutiert. Am 12. April hat die Sachverständigenanhörung im zuständigen Rechtsausschuss stattgefunden, am 18. Mai stimmte der Rechtsausschuss letzten Änderungsanträgen der Koalitionsfraktionen zu.
Dabei kamen die Abgeordneten den Sportverbänden noch weiter entgegen und verschärften die Regeln für Ausschnitte aus Live-Übertragungen. Gleichzeitig stellen die Änderungen klar, dass etwa Karikaturen und Parodien ohne Beschränkungen erlaubt sein sollen und Zitate vergütungsfrei bleiben. Der Beschwerdemechanismus wurde ein wenig verbessert, indem ein struktureller Anreiz zum Overblocking entschärft wurde.
Viele Kritikerinnen und Kritiker von Uploadfiltern haben versucht, sich konstruktiv in den Gesetzgebungsprozess einzubringen. Denn die ersten Vorschläge aus dem Bundesjustizministerium waren erkennbar bemüht, die negativen Auswirkungen von Uploadfiltern abzumildern. Zugleich war abzusehen, dass die Rechteindustrie ihre gesamte Lobbymacht in die Waagschale werfen und versuchen würde, die Uploadfilter möglichst strikt zu gestalten.
Und so kam es denn auch: Nach dem ersten Referentenentwurf sollten Bagatellnutzungen in Grenzen generell erlaubt werden. Nutzende sollten darüber hinaus Uploads als erlaubte Nutzungen kennzeichnen können, wenn es sich etwa um Zitate, Parodien oder Pastiches handelt. Eine solche Kennzeichnungsmöglichkeit sollte es auch beim Bestehen individueller Lizenzen oder für die Verwendung gemeinfreier Werke geben, die der Filter nicht erkennen kann – etwa weil er nicht zwischen verschiedenen Aufnahmen klassischer Musikwerke unterscheiden kann.
Vor allem auf den massiven Druck der Rechteindustrie hin wurden diese Beschränkungen immer weiter aufgeweicht. Die Erlaubnis zur Bagatellnutzung wurde durch ein kompliziertes prozessuales System ersetzt: Statt einer klaren Erlaubnis bestimmter Nutzungen ist nunmehr vorgesehen, dass bei geringfügigen Nutzungen vermutet wird, dass es sich dabei um gesetzlich erlaubte Nutzungen handelt, etwa da sie als Zitat oder zum Zweck der Parodie verwendet werden. Zugleich wurden die Kennzeichnungsmöglichkeiten durch Nutzende stark eingeschränkt und die Bagatellgrenzen sehr eng gezogen. Für Text etwa sind das 160 Zeichen, also weniger als ein Tweet. Und schließlich haben die Rechteinhaber einen „roten Knopf“ bekommen, mit dem sie in besonders dringlichen Fällen sofort die Sperrung eines Inhalts bis zur Entscheidung auslösen können. Ein entsprechender „grüner Knopf“ für im Sinne der Meinungsbildung dringliche Inhalte ist nicht vorgesehen.
Der Kern des Gesetzes geriet aus dem Blick
Die Zivilgesellschaft, die noch vor zwei Jahren in fundamentaler Opposition auf der Straße stand, fand sich plötzlich in der Rolle, einen Gesetzentwurf, der die umfassende Einführung von Uploadfiltern vorsieht, gegen die Angriffe der Rechteindustrie zu verteidigen um ein noch schlimmeres Gesetz zu verhindern.
Dabei geriet jedoch der Kern des Gesetzes aus dem Blick: eine umfassende Überwachung sämtlicher User-Uploads durch automatisierte Uploadfilter. Erstmals wird eine automatisierte Infrastruktur gesetzlich vorgeschrieben, die sämtliche User-Uploads auf größeren Plattformen durchsucht. Und selbst wenn nicht alle Inhalte in diesem Filter hängen bleiben und die Hoffnung besteht, dass Memes und Remixe zumindest in Grenzen online gehen können: Durchleuchtet und überprüft – also überwacht – werden die Inhalte dennoch.
Uploadfilter könnten sich in der Regulierung des Internets als der Hammer erweisen, der alle Probleme als Nägel erscheinen lässt. Ist die Filterinfrastruktur mit ihren Datenbanken und Erkennungs- und Entscheidungsalgorithmen einmal etabliert, drängt sich bei jedem neuen Problem die Frage auf, ob es sich mit Uploadfiltern „lösen“ lässt. Und selbstverständlich lassen sich Filtereinstellung ändern. Einer autoritären Regulierung des Netzes sind damit Tür und Tor geöffnet.
Dass das leider kein dystopischer Alarmismus ist, zeigen andere aktuelle Gesetzgebungsinitiativen. Das EU-Parlament hat gerade ohne Abstimmung die umstrittene Verordnung gegen Terrorpropaganda (TERREG) durchgewunken. Dort konnten zwar unter großem zivilgesellschaftlichen Einsatz in langen Verhandlungen verpflichtende Uploadfilter verhindert werden. Aber insgesamt setzt die Verordnung, unter anderem durch extrem kurze Löschfristen, starke Anreize für ihren „freiwilligen“ Einsatz.
Auch der erste Entwurf zum Digital Services Act (DSA-E) will zwar Anbietern keine „allgemeine Verpflichtung“ zur automatisierten Überwachung und Überprüfung auf möglicherweise rechtswidrige Inhalte auferlegen. Das schließt spezifische Verpflichtungen und erst recht den „freiwilligen“ Einsatz von Filtern aber gerade nicht aus. Vielmehr werden durch strenge Notifizierungsregeln und eine Haftungsfreistellung beim Einsatz freiwilliger Maßnahmen gegen rechtswidrige Inhalte starke Anreize für automatisierte Contentmoderation gesetzt. Angesichts der Reichweite der durch den DSA in den Blick genommenen Regulierung eine beunruhigende Aussicht.
Die Große Koalition hat ihr Versprechen gebrochen
Die Regierungskoalition hat ihre ständig wiederholten Versprechen, Uploadfilter nicht einführen zu wollen, mit dem UrhDaG endgültig gebrochen. Dass die Umsetzung dennoch weitgehend geräuschlos erfolgt und die Regierung das UrhDaG mit seinen Uploadfiltern als vernünftigen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen verkaufen kann, mag in Teilen der Pandemie geschuldet sein. Es liegt aber auch daran, dass sich bereits nach Verabschiedung der Richtlinie viele Menschen vom Thema abgewendet haben – frustriert von wortbrüchigen Politikerinnen und Politikern.
Ausgerechnet die autoritäre PiS-Regierung in Polen hat vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen die Filterbestimmungen in der EU-Richtlinie erhoben. Eine Entscheidung wird noch im Laufe des Jahres erwartet. Daher könnten die neuen Regelungen schon bald Makulatur werden.
Aber unabhängig vom Ausgang des Verfahrens kann eine selbstbewusste Zivilgesellschaft nicht passiv bleiben. Die Auseinandersetzungen um Uploadfilter und die Regulierung des Internets werden auch in Zukunft nicht nur vor den Gerichten geführt. Das Wahljahr bietet vielfältige Gelegenheiten, die Politik in die Verantwortung zu nehmen. Denn auch wenn die Richtlinie nun umgesetzt wird, haben die Proteste und die Diskussionen der letzten Jahre eindrucksvoll gezeigt, dass Netzpolitik längst kein Nischenthema mehr ist, sondern wahlentscheidend sein kann.
Uploadfilter werden nun deutsches Recht. Doch damit sind sie nicht in Stein gemeißelt. Die Bundesregierung hat in ihrer Protokollerklärung zur Verabschiedung der Richtlinie ausdrücklich erklärt, darauf hinzuwirken, dass die Defizite in der EU-Urheberrechtsrichtlinie korrigiert werden müssen, wenn eine Umsetzung weitgehend ohne Uploadfilter nicht möglich sei. Das ist spätestens jetzt der Fall. Selbst wenn der Bundestag sich nun angesichts der ablaufenden Umsetzungsfrist die vorgeschriebenen Filter einführt: Eine Korrektur auf europäischer Ebene ist jederzeit möglich, wenn der politische Wille da ist.
Der Kampf gegen Uploadfilter geht weiter
Die anstehenden Auseinandersetzungen um die EU-Plattformregulierung bieten dazu die beste Gelegenheit. Denn dort wird die Zukunft der Inhalteregulierung auf Plattformen verhandelt. Der Einsatz von Uploadfiltern muss im DSA kategorisch ausgeschlossen und ein ausgewogenes System entwickelt werden, wie künftig europaweit mit rechtswidrigen Inhalten umzugehen ist. Dazu muss der im Entwurf vorgesehene, richtige Ansatz eines weiterentwickelten Systems von Notice and Action ausgebaut werden.
Auch Urheberrechtsverletzungen sind rechtswidrige Inhalte und könnten unter eine solche Regulierung fallen. Allerdings sieht der Vorschlag der EU-Kommission für den DSA derzeit Ausnahmen für speziellere Regelungen, unter anderem die DSM-RL, aber auch die TERREG vor. Derartige Ausnahmen widersprechen aber der Idee eines einheitlichen Regulierungsrahmens, der die Rechte von Nutzerinnen und Nutzern wahrt. Sie müssen gestrichen werden. Statt ein unübersichtliches Stückwerk verschiedener Regulierungssysteme, die national zudem teilweise sehr unterschiedliche durchgesetzt werden, sollte der verfehlte Artikel 17 Urheberrechts-Richtlinie und die gescheiterten nationalen Umsetzungen durch eine Lösung innerhalb des DSA als europaweit einheitlichem Regulierungsrahmen ersetzt werden.
Wie schon bei der Urheberrechtsreform wird die Bundesregierung maßgeblichen Einfluss auf die europäische Gesetzgebung haben und hat alle Möglichkeiten, zumindest ihrem Versprechen aus der Protokollerklärung Taten folgen zu lassen. Eine zukünftige Bundesregierung ist also auch daran zu messen, ob sie bereit ist, für die grundlegenden Rechte von Nutzerinnen und Nutzern tatsächlich einzustehen und nicht bloß leere Versprechen zu produzieren. Der Kampf gegen Uploadfilter und gegen eine immer restriktiver konzipierte Regulierung des Internets muss also offensiv weitergeführt werden – auch über das Wahljahr hinaus.
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