Das Ziel des neuen eID-Gesetzes ist einfach erklärt: Mit Hilfe des Smartphones oder ähnlichen Mobilgeräten soll es möglich werden, sich künftig online rechtssicher auszuweisen. Doch jenseits der Frage des mobilen Identitätsnachweises soll im Rahmen dieser Gesetzgebung ein Vorhaben erlaubt werden, das es in sich hat: Die schwarz-schwarz-rote Koalition will den Bundesländern ermöglichen, zentrale Biometriedatenbanken einzurichten.
Das bedeutet einen echten Dammbruch beim Umgang mit biometrischen Daten. In der Anhörung zum Gesetzentwurf am Montag im Innenausschuss wurde die zentrale Biometriesammlung entsprechend harsch kritisiert.
Schon jahrelang besteht zwar die Möglichkeit, automatisiert auf die biometrischen Daten in den Meldeämtern zuzugreifen. Die Polizeien von Bund und Ländern, die Zoll- und Steuerfahndung sowie alle Geheimdienste dürfen das. Eine Protokollierung der Zugriffe bei dem datengebenden Amt erfolgt dabei nicht. Es hapert allerdings an der technischen Umsetzung, sehr zum Missfallen der interessierten Stellen.
Die nun geplante Zentralisierung soll daher technische Erleichterung verschaffen. So schlicht wird das begründet, als sei Nützlichkeit ein Kriterium für erhebliche Grundrechtseingriffe. Denn es sind eben keine normalen Lichtbilder, sondern es handelt sich um biometrische Daten.
Der Ausbau einer biometrischen Überwachungsinfrastruktur, vor dem schon mit Beginn der Einführung der biometrischen Merkmale in die Ausweisdokumente gewarnt wurde, nimmt damit eine gefährlich konkrete Form an. Die laute Kritik prallt an der Regierung auch deswegen ab, weil die Biometrie längst in den Alltag eingesickert ist: Man ist es ja bereits gewöhnt, beim Flug in fremde Länder die Fingerkuppen auf die mehr oder minder hygienischen Sensoren zu legen und zusätzlich das eigene Gesicht digital erfassen und vermessen zu lassen – natürlich ohne Lächeln. Dass die für einen Pass oder Ausweis auf den Ämtern abzugebenden Fotos biometrisch sind, wird vielfach als Selbstverständlichkeit betrachtet.
Das größte Biometrie-Projekt in Europa
Im Rahmen der Ermittlungen zu den G20-Protesten wurde biometrische Gesichtserkennung erstmals im großen Stil in Deutschland eingesetzt, obwohl die Rechtmäßigkeit umstritten ist. Die nun geplante Zentralisierung der Biometriedaten leistet solchem Vorgehen in der Zukunft noch Vorschub und normalisiert die Nutzung von Körperdaten und den Einsatz von biometrischen Erkennungstechnologien ein weiteres Mal.
Um zu verstehen, wie weit entfernt der heutige Plan von dem einst Versprochenen ist, lohnt ein Blick zurück. Die biometrischen Identifikationstechnologien wurden eigentlich mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus begründet und trotz hoher Kosten und unsicherer Erfolgsaussichten Schritt für Schritt durchgedrückt. Die erste zentrale biometrische Datenbank in Europa mit dem Namen „Eurodac“ wurde schon im Jahr 2003 in Betrieb genommen. Vor wenigen Monaten erst wurde vorgeschlagen, dort neben den Fingerabdrücken nun auch Gesichtsbilder aufzuzeichnen und das Mindestalter von vierzehn auf sechs Jahre zu reduzieren, um auch Kindergesichter in der mittlerweile riesigen Datenbank zu speichern.
2003 war auch das Jahr, als der US-amerikanische Kongress einseitig die Voraussetzungen des Visa-Waiver-Programms änderte. Europäische Länder, die für ihre Bürger weiter eine visumfreie Einreise in die Vereinigten Staaten wollten, sollten auf Druck der US-Regierung bis Ende 2004 einen Pass mit biometrischen Merkmalen einführen. Das war der Startschuss des größten Biometrie-Projektes in Europa, das sämtliche Erwachsene und heute auch vielfach Kinder und Jugendliche umfasst.
In den Jahren darauf wurden biometrische Fotos in Deutschland zum Standard. Die erkennungsdienstliche Behandlung auf den Meldeämtern kam später noch dazu: Auch bei den Fingerabdrücken waren die Widerstände gering.
Zentral war als Argument, um der aufkommenden Kritik zu begegnen, die jahrelange konsequente Beteuerung, dass die biometrischen Daten nur auf dem Chip im Ausweisdokument und ansonsten dezentral bei den über fünftausend Ämtern verteilt liegen würden. Mit welcher Nonchalance dieses Versprechen nun kassiert wird, ist schon erstaunlich.
Für welche Zwecke die eigenen biometrischen Daten künftig abgerufen und gespeichert und ob und welche Abgleiche mit welcher Datenbank oder sonstigen „watch list“ vorgenommen werden, kann niemand mehr selbst kontrollieren. Da das eigene Gesicht für ein Ausweisdokument verpflichtend vermessen und abgespeichert wird, sind dem Einzelnen die Hände gebunden. Man kann nun nur hoffen, dass die Frage der Biometriedaten vor den roten Roben landet und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in Karlsruhe noch hochgehalten wird.
Denn bei den Regierungsparteien des Deutschen Bundestags sind zentrale Datenbanken mit den biometrischen Gesichtern offenbar nur eine Kleinigkeit, die mal eben mit einem kurzfristigen Änderungsantrag in ein inhaltlich völlig anderes Gesetzgebungsverfahren eingeschleust werden können. CDU, CSU und SPD kommentieren oder rechtfertigen das Vorhaben nicht mal mehr groß.
Wieder sehr kurzfristig
Auch wenn die letzten Sitzungswochen des Bundestags von sehr engen Zeitplänen und zudem einem gewissen Druck durch den dräuenden Bundestagswahlkampf geprägt sind: Dass es auch bei der zentralisierten Biometrieerfassung wieder nur eine Art Pseudo-Beteiligung von Sachverständigen gab, ist inakzeptabel. Nicht nur, dass der kurzfristige Änderungsantrag mit dem Zweck der geplanten Gesetzesänderung in keinem inhaltlichen Zusammenhang steht, sondern wieder waren für die Stellungnahmen und Einschätzungen in der Anhörung nur überaus kurze Reaktionszeiten vorgesehen. Der dringende Wunsch nach angemessenen Fristen statt Scheinbeteiligung bestätigt sich einmal mehr.
Dazu passt, dass die Regierungskoalition nach bisherigem Stand das Durchwinken der neuen zentralisierten Biometriespeicher für Freitagnacht um 3:30 Uhr vorgesehen hat. Da wird sicher kaum jemand zuschauen.
Offenlegung: Ich war beteiligt an der schriftlichen Stellungnahme des CCC (pdf) zum Gesetzentwurf.
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