2024 droht ein knausriges Jahr zu werden, auch in der Digitalisierung der Verwaltung und des Gesundheitswesens. Vielleicht aber ist Geld hier gar nicht das Problem. Sondern was wir stattdessen brauchen, ist offene Vielfalt. Sie ermöglicht Synergien, die Kosten sparen und gemeinsame Verbindlichkeit schaffen.
In der ersten Degitalisierung dieses Jahres müssen wir vielleicht ein wenig sparen. Nicht an Worten, aber sicherlich an Budget.
Denn ihr wisst ja, der schmale Haushalt 2024, er ist etwas belastet und muss sich kurzhalten. Das macht Sparmaßnahmen notwendig. Sie führen dann auf der ein oder anderen Straße zu Behinderungen durch Traktoren. Oder sie machen einen Besuch im Amt wieder notwendig, wenn die vergessene PIN zum Personalausweis nicht einfach per Brief angefordert werden kann. Oder sie verhindern, dass die Smart-eID, der „Ausweis auf dem Smartphone“, in den Ausroll kommt.
Kannste nichts machen, irgendwo müssen wir ja sparen. 2024 droht ein knausriges Jahr zu werden, auch in der Digitalisierung der Verwaltung und des Gesundheitswesens. Stillstand also und ein noch schlimmer werdender Rückstand in der Digitalisierung?
Nun, vielleicht ist Geld in der Digitalisierung in Deutschland gar nicht das Problem. Denn im Wesentlichen gab es in den vergangenen Jahrzehnten hierzulande nicht gerade wenig Geld für große Digitalisierungsvorhaben. Ein Blick ins Archiv fördert hier Erstaunliches und Teures, aber genauso wenig Zielführendes zutage. Manches davon klingt ein wenig wie „Täglich grüßt das Murmeltier“.
OZG 2005
Eigentlich wollte ich im Jahr 2024 nicht mehr so viel über das Onlinezugangsgesetz schreiben und den schleppenden Fortschritt dort. Muss ich auch nicht, denn das Problem mit der Verwaltungsdigitalisierung – viel Geld, föderale Verantwortungsdiffusion und wenig Erfolg – hatten wir auch schon in den 2000er Jahren. BundOnline 2005 war eine „E-Administration-Initiative“ der Behörden des Bundes in Deutschland. Im Innenministerium saß damals noch Otto Schily, Kanzler war Gerhard Schröder und das Logo der Initiative hatte für die Zeit cybermäßig zeitgemäße Stilelemente aus der Spirografie.
Bemerkenswerterweise gab es damals auch schon sowas wie digitale Basiskomponenten, die heute ja weiterhin fehlen, und in Folge auch „Einer-für-Alle-Dienstleistungen“.
Nun kostete das damals auch schon nicht wenig Geld, 1,65 Milliarden Euro waren geplant. Am Ende wurden aber gar nicht mal so viel Euros ausgegeben, laut Wirtschaftlichkeitsberechnungen nur 650 Millionen.
Ebenso bemerkenswert aus heutiger Sicht ist, dass alle Leistungen 2005 eigentlich sogar mehr als zeitgerecht online gingen. Ganze 440 (sic!) Dienstleistungen, mehr als angestrebt waren. Vierhundertvierzig. Ein Teil davon ist sicherlich eher nur dem Gebiet der reinen Information zuzuordnen, aber immerhin sprechen wir von 2005.
Die Parallelen zu heute gehen dann auch bei den Problemen in Folge weiter: Das Überführen und Verzahnen der Leistungen des Bundes in die föderalen Ebenen, den Ländern und Kommunen war nicht so einfach und wurde im Folgevorhaben „Deutschland Online“ zu einer unendlichen Geschichte und letztlich ungelösten Aufgabe.
Im Abschlussbericht zu BundOnline von 2006 bleibt aber ein ungewöhnlicher Satz hängen, auch aus heutiger knausriger Haushaltssicht:
Dass die Kosten der Gesamtinitiative erheblich niedriger lagen als erwartet, kann durch Erfolge bei der Standardisierung, die zentrale Entwicklung von Basiskomponenten und die Bereitstellung von Know-how über die Kompetenzzentren und die zentrale Koordination erklärt werden – Maßnahmen die dazu dienten, die Kosten so gering wie möglich zu halten.
Irgendwie scheint in den frühen 2000er Jahre irgendwer zumindest eine Lösung für die Schwierigkeiten der Umsetzung über unterschiedlichste Ministerien hinweg gefunden zu haben und schuf so aus damaliger Sicht unerwartete Synergien.
E-Rezept 2002
„Das elektronische Rezept funktioniert.“ So titelte die Deutsche Apotheker Zeitung schon im September 2002. Komisch eigentlich, dass das 2024 nicht so ganz schnell und reibungslos klappen mag. Nun ging es 2002 zugegebenermaßen nur um einen kleinen Feldversuch in einer Apotheke in Düren.
Das Prinzip klingt aber auch 2002 etwas nach dem E-Rezept von heute:
Auf einem sicheren Server […] werden „Tickets“ als Berechtigung, Daten abzurufen, beschrieben, die auf der Gesundheitskarte des Patienten gespeichert werden. Im Feldversuch, an dem seit 2001 24 Ärzte teilnehmen, wurde eine herkömmliche Krankenversichertenkarte um die Berechtigung erweitert, auf Daten auf dem KV-Server zuzugreifen.
Die Chipkarte enthält also – mit möglichen Ausnahmen – keine medizinischen Daten direkt, sondern nimmt die Rolle des Ticket-Trägers ein, mit dessen Hilfe der Patient als Karteninhaber Apothekern und Ärzten die dahinterliegenden Daten zugänglich machen kann.
Jedoch war die zugrundeliegende elektronische Gesundheitskarte der 2000er Jahre ein finanzielles und zeitliches Volldesaster. „Das größte IT-Projekt weltweit“ kostete statt der geplanten 1,4 Milliarden am Ende schätzungsweise 2,8 bis 5,4 Milliarden Euro und barg Unsicherheiten, über die bereits auf dem 22C3 diskutiert wurde.
Ulla Schmidt, die damalige Gesundheitsministerin, präsentierte das Konzept Version 1.0 dazu 2005 auf der Cebit. Am 1. Januar 2006 würde „die eGK nach aktueller Planung“ eingeführt. Für die Jüngeren hier: Daraus wurde nichts. Und als Hinweis: Die Cebit war so eine Computermesse, zu der Menschen physikalisch hinfuhren, um neue Computer anzusehen und Kugelschreiber mitzunehmen.
Irgendwann, viele Jahre später, wurde das Projekt Elektronische Gesundheitskarte dann als gescheitert angesehen. Immerhin kann ein gewisser Karl Lauterbach – 2004 vom Spiegel noch als Einflüsterer und wichtiger Berater von Ulla Schmidt bezeichnet – versuchen, die Digitalisierung des Gesundheitswesens jetzt zu Ende zu bringen.
Es gibt kein einfach schnell digital
Dieser wilde Ritt durch die Archive der gescheiterten und teilerfolgreichen großen Digitalisierungsprojekte bringt uns zumindest eine wichtige Erkenntnis: Am Geld allein kann es nicht liegen, ob große Digitalisierungsprojekte in Deutschland gelingen oder nicht. Weil das so ist, suchen wir für das Scheitern von Digitalisierung oftmals händeringend andere Gründe. Zum Beispiel den Datenschutz [€]. Oder eine fehlende Digitalisierungsaffinität im Management, bei der Amtsleitung oder beim leitenden Oberarzt.
Politisch gesehen wird in solchen Momenten oftmals, nicht ganz ohne Grund, die Struktur- und die Durchsetzungsfrage gestellt. Digitalisierung mit zentraler Steuerung und zentralisierten Strukturen wäre ja so viel einfacher, heißt es dann oft. Föderalismus und Marktmodelle seien hingegen schlecht für deren Durchsetzung.
Föderalismusdiskussionen gibt es immer wieder, und zwar in jeder politischen Befassung mit Digitalisierung und über viele Ebenen hinweg, wie etwa dem OZG. Oder bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens, wo eine mögliche Antwort in diesem Jahr gefunden werden soll: Am besten wäre da – politisch gesehen – für die Digitalisierung des Gesundheitswesens eine zu 100 Prozent abhängige Digitalagentur eines Ministeriums, um den politischen Willen besser digital gestalten zu können. Verbindlich, schnell und kosteneffizienter als bisher.
Nur muss – gerade in einer Zeit, in der der Faschismus bereits offen über die Umsetzung von Deportationen von Menschen diskutiert – auch eine andere Frage gestellt werden: Ermöglichen solche aus Effizienzgründen geschaffenen Strukturen in einer potenziell düsteren Zukunft nicht auch viel einfacher digitale Systeme, die sich gegen Menschen richten?
Synergie durch offene Vielfalt schaffen
Aktuell findet eine digitale Schattenzentralisierung statt, unter anderem im Rahmen von Vorhaben wie der Registermodernisierung, der elektronischen Patientenakte oder dem Europäischen Gesundheitsdatenraum. Diese Zentralisierung kann sich nicht lossagen vom möglichen schlechten politischen Einfluss der Zukunft und sollte daher nicht unbedarft angegangen werden.
Synergien, die Kosten sparen und gemeinsame Verbindlichkeit schaffen, können nicht nur durch Zentralisierung und deren Durchsetzung im Digitalen erzeugt werden. Nein, sie können auch durch gemeinsames aufeinander Zugehen entstehen. Durch Offenheit und Transparenz, durch Austausch und Nutzung von Komponenten für gemeinsame Probleme, durch offene Standards, durch Ansätze wie Open Source und Open Data, durch gegenseitige Solidarität, bei gleichzeitiger Berücksichtigung individueller Risiken und Vertraulichkeiten.
Synergie durch offene Vielfalt ist ungleich wertvoller, weil sie viel mehr Facetten von ganz unterschiedlichen Seiten von Verwaltung, Gesundheitswesen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft berücksichtigen kann. In einer Zeit, in der viele bei knausriger Haushaltslage unbedingt „Datenschätze heben“ wollen, wäre es geradezu töricht, diese Synergien bei der Gestaltung digitaler Systeme nicht zu schaffen. Paradox, aber das kann ganz schön viel Geld sparen.
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