Früher zerteilte die Mauer die Chausseestraße in Berlin, heute zerschneidet die gigantische Zentrale des BND das Straßenbild. Drumherum sind Luxuswohnungen entstanden, während eingesessene Mieter um ihr Zuhause in der Nachbarschaft der Spione kämpfen.
Eine Chaussee ist eine befestigte Straße. Die Chausseestraße ist also eine „Befestigte-Straße-Straße“. Was um 1800 noch Sinn ergab, als die Berliner Straße ihren Namen erhielt und eine der wenigen gepflasterten Wege in der Gegend war, stieß den Einwohnern schon wenig später auf. Sie schätzten wohl die Banalität der Tautologie nicht, doch der Magistrat wollte den Weg nicht umbenennen. Heute, rund zwei Jahrhunderte später, trägt die Chausseestraße in Berlin-Mitte weiter ihre Namensredundanz. Doch sie ist nicht mehr nur befestigt, an ihr steht eine Festung: die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes.
Zahlen zur Monstrosität des Auslandsgeheimdienst-Sitzes können den rechteckigen Klotz nur unzureichend beschreiben. 135.000 Kubikmeter Beton sollen darin verbaut sein. Damit könnte man ganz Berlin-Mitte mit einer Zentimeter-dicken Betonschicht übergießen. Darin 14.000 Fenster, die meisten fast drei Mal höher als breit, wie Schießscharten. Als wollte der BND sagen: Vier Mal 90 Grad ergibt auch den 360-Grad-Blick, den die Geheimdienste gern hätten. Dazu kommen 8.000 Innentüren, die sich für die meisten von uns nie öffnen werden. Nichtmal am Tag der offenen Tür taten sie das, die offene „Tür“ war die Einfahrt zum Parkhaus. Neugierige Besucher durften einmal um die Feuerwehrumfahrung spazieren.
Dass der Riesenkomplex extra tiefergelegt wurde, auch damit er dem Passanten nicht allzu groß erscheint, wirkt ironisch. Ebenso wie die riesigen märkischen Kiefern für hunderttausende Euro im Vorgartenwald. Vorne Brandenburg, hinten verkünstelte Exotik in Form von zwei Metallpalmen eines Nürnberger Künstlers. Im Eingang eine 18 Tonnen schwere Skulptur mit einer Oberfläche aus gewollt rostendem Stahl. Oder in der Sprache des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung: ein „autarkes, fremdes, unergründliches Ding“, das einen „subtilen Hinweis auf die Funktion des Bundesnachrichtendienstes“ gibt. Fremd, das passt. Subtil ist das „Ding“ eher nicht.
Genauso wenig wie das bisher größte Bauprojekt der Bundesrepublik. Doch eigentlich, streng historisch gesehen, passt ein Geheimdienst ganz gut in die Gegend. Denn Geheimniskrämerei hat in der Straße seit den 20er Jahren Tradition. Damals stellte das Unternehmens Konski & Krüger zunächst Lautsprecher und Radios her. Später begann die Firma für die Reichswehr die Verschlüsselungsmaschine Enigma zu fertigen, inklusive der besonders sensiblen Endmontage, bei der die Walzen der Enigma nach einem geheimen Muster verdrahtet wurden.
Spionage statt Sport
Ausgerechnet die gescheiterte Berliner Olympiabewerbung ermöglichte dann ein paar Jahrzehnte später auf einer freien Fläche die Ansiedelung von Spionen an diesem Ort, den manche einen „gebauten Unfall“ nennen. Architekt Jan Kleihues verkündet dazu: „Ich stehe zu der Monumentalität“.
Vom ursprünglichen Exerzierplatz wurde das Gelände im Jahr 1849 zur Kaserne. Nach deren Zerstörung errichtete die DDR ein Sportstadion, das zunächst Walter Ulbricht und später „der Weltjugend“ gewidmet war. Berlin riss es 1992 ab, man wollte Platz für das Olympiaspektakel. 1993 platzte der Traum der Olympia-Fans, die Spiele 2020 fanden in Sydney statt.
Sportlich ging es trotzdem weiter: Golfplatz und Volleyballfelder siedelten sich auf der Wiese an. Um das durchzusetzen, hielten die Jusos in Mitte 1995 sogar einige Tage lang die Brache besetzt.
Eine Geschichte wie von vielen ehemaligen Brachflächen in der Stadt, die Bewohner:innen durch mehr oder weniger genehmigte Zwischennutzungen mit Leben füllten. Bis sich 2004 der Bundestag für Spione statt Sport entschied und 2006 der erste Spatenstich den Bauzaun brachte.
Doch der Geheimdienstblock hat nicht nur das Gelände verändert, sondern die gesamte Umgebung gleich mit. „Als klar wurde, dass der Geheimdienst hierher zieht, hatten viele die Hoffnung, dass das die Gegend aufwertet“, sagt Daniel Diekmann bei einem Spaziergang durch die Straßen. „Wenn der BND kommt, ist hier was los“, zitiert er die Erwartung. Diekmann kennt die Gegend schon lange. Seit rund 20 Jahren wohnt er in der Habersaathstraße, am südlichen Ende des BND-Geländes. Dort engagiert er sich in der Nachbarschaftsinitiative, ist Sprecher des Mieterrats und Bezirksleiter des Berliner Mietervereins für Mitte.
23,58 Euro kalt, inklusive Straßenlärm
Um die Chausseestraße entstanden immer mehr Luxuswohnungen, oft auf umzäunten Grundstücken, oft mit Concierge-Service. Der Star-Architekt Daniel Libeskind entwarf das „Sapphire“-Gebäude. Eines seiner Ziele sei, dass es „auch Passanten anspricht, die nicht das Glück haben, hier zu wohnen“, schreibt er. „Seine markanten Ecken machen es spektakulär und selten wie der Edelstein, nach dem Libeskind das Gebäude benannt hat“, heißt es auf einer Immobilienplattform. Mehr noch als Glück braucht es für das echte Wohnerlebnis wohl Geld: Für 23,58 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete kann man einziehen.
Ein anderer Komplex nennt sich „The Garden Living“. Ein vermeintlich grünes Idyll in Form von 120 Eigentumswohnungen, gut abgeschirmt von neugierigen Passanten. Für Menschen, die Wert auf „Gleichgesinnte“ legen, „für die die berufliche Weiterentwicklung ebenso Thema ist wie die Wertschätzung der Familie“. Doch wer wohnt in den neuen Nobelwohnungen mit den schönen Werbetexten? Diekmann weiß es nicht: „Abends ist in vielen Fenstern kein Licht, Nachbarschaftskontakte gibt es da nicht.“
Die Vermutung, dass einige Unterkünfte in der Gegend nicht dauerhaft bewohnt werden, verstärkt auch ein Blick auf gängige Immobilienportale. Dort finden sich zahlreiche Angebote für möbliertes Wohnen für Menschen auf der Durchreise. Viele hätten wohl vor allem in der Gegend investiert, sagt Diekmann. Und ab der achten oder neunten Wohnung, die man als Wertanlage kauft, gerate die einzelne in den Hintergrund, vermutet er. Überhaupt: Wer mit genügend Geld würde da eigentlich selbst wohnen wollen, direkt auf der Chausseestraße?
„Wenn man für mehrere Millionen das Penthouse im Sapphire-Gebäude gekauft hat, bekommt man eine Terrasse mit Ausblick auf die Kreuzung und eine Menge Abgase“, sagt Diekmann beim Vorbeigehen. „Schön ist das nicht gerade.“ Das graue Nieselwetter unterstreicht den Eindruck, dass es mit entsprechendem Budget wahrlich schönere Orte gäbe. Orte mit weniger Verkehr, weniger Lärm, weniger dichter Bebauung und nicht zuletzt einer schöneren Aussicht.
„Die Führungsriege des BND will doch nicht hier wohnen“, sagt er. „Tagsüber schaut man von den rechteckigen Fenstern auf seine Wohnung, abends dann die ganze Zeit auf den Arbeitsplatz.“ Wer das Geld habe, vermutet Diekmann, beziehe „doch nicht fußläufig eine Wohnung, sondern holt sich irgendeine Villa im Grunewald oder in Schmargendorf“.
„Innerhalb weniger Jahre war alles verkauft“
Den Boom miterlebt hat auch Peer Doering-Arjes. Er gehört zu den Menschen, die in die Gegend gezogen sind. Nicht in eine Luxuswohnung, sondern in einen von einer Baugruppe geplanten Neubau. Einer der wenigen ohne eigene Tiefgarage, sagt er. Er wohnt seit etwa zehn Jahren in einer Seitenstraße, 2011 begannen die Bauarbeiten für sein Zuhause. Vor dem Grundstück, auf dem er heute lebt, stand während der Teilung Deutschlands direkt die Mauer.
Doering-Arjes erzählt aus der Zeit, als seine Wohnung geplant und gebaut wurde: „Damals war hier alles Grünstreifen, die Grundstücke gehörten allen möglichen Leuten.“ Die Eigentümer waren zu Zeiten des Mauerbaus enteignet worden, um die Stadt zu teilen. Nach der Wende bekamen sie ihre Flächen zurück. „Innerhalb von einem Jahr waren die Grundstücke fast alle verkauft“, erzählt Doering-Arjes. An Investoren, Baugruppen und andere. Dabei sei auf der Chausseestraße früher nie etwas los gewesen.
Auch Doering-Arjes hat sich gefragt, wie das wohl werden wird, wenn der BND einzieht. „Wir dachten, wie ist das bloß, wenn hier bald Tausende Spione rumlaufen?“, sagt er. 4.000 BND-Mitarbeitende sollten es werden, so der Plan. Doering-Arjes fragte sich das nicht vorrangig wegen ihres Berufs, sondern weil die vielen Menschen ja essen und einkaufen müssen.
Am Ende habe er dann kaum etwas davon gemerkt. „Die waren einfach irgendwann da“, sagt er. Auffälliger als die neuen Nachbarn findet er die Preisentwicklung in der Gegend. „Es ist schon komisch, dass an der Straße plötzlich Cafés aufgemacht haben, wo man für einen Cappuccino so viel zahlen muss wie im Hotel Adlon.“
Kaffee mit Stickstoff und Kantinen-Weißwurst
Wer will, kann heute auf der Chausseestraße einen mit Stickstoff versetzten, kalt aufgebrühten Kaffee für vier Euro bekommen. Oder ein „Fountain of Youth Coconut Water“ für 4,50 Euro. Für einen Börek legt man fast fünf Euro auf den Tisch. Geht man ein paar Meter Richtung Wedding, wo die Chausseestraße zur Müllerstraße wird, vorbei an einem Sexkino, fällt der Preis – auf fast die Hälfte. Ein mittelmäßiger Mittagstisch in den Cafés der Chausseestraße ist um die zehn Euro zu haben.
Auf das vergleichsweise teure gastronomische Angebot angewiesen sind die BND-Agent:innen nicht. Wer sich sein Mittagsessen nicht von zu Hause mitbringt, wird in der Geheimdienstkantine kostengünstig versorgt. Schmortopf nach Shakshuka-Art gibt es da für 5,50 Euro, Wurstragout für 5,10 Euro und freitags steht ab 8 Uhr morgens Weißwurstfrühstück bereit – für diejenigen, die auf bayerische Tradition auch in der Bundeshauptstadt nicht verzichten wollen.
Ob das der Grund ist, warum viele der ersten auf der Chausseestraße eröffneten Cafés, Gaststätten und Läden schon wieder dichtgemacht haben? Diekmann hat deren Schicksal über die Jahre mitbekommen. „Damals haben viele Geschäftsleute eine Chance gewittert.“ Aber richtig gezündet hat das Geschäft nicht. „Während der Bauarbeiten ging das noch“, erzählt er. Vor allem wohl wegen der Handwerksleute, die sich mittags verpflegten. Seitdem haben Bäckereien geschlossen, sind Versicherungsmakler wegen der hohen Mieten weggezogen und Schönheitssalons haben aufgegeben, weil das erhoffte Publikum ausblieb.
Ob die Spione hier in der Umgebung ein- und ausgehen, sieht man ihnen natürlich nicht an. Doch Diekmann kann sich kaum vorstellen, dass hier wirklich 4.000 Menschen wie angekündigt arbeiten. Viele Fenster seien nachmittags dunkel und eigentlich müssten ja große Mengen Menschen zu Dienstbeginn und -ende aus dem Gebäude strömen. Stattdessen eher Tröpfeln von Agent:innen zum U-Bahnhof Schwarzkopffstraße und ein paar Autos aus dem Parkhaus an der Ida-Arnim-Straße. „Die BND-Zentrale ist wie ein Ufo hier gelandet, aber niemand ist ausgestiegen“, sagte Diekmann 2019 der Berliner Morgenpost. Das sehe er immer noch so, sagt er heute.
Geheimdienst-Studis vor der Tiefgarage
Am meisten bekommt er von denen mit, die im „Zentrum für Nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung“ ein- und ausgehen. Zum einen wohnt er gegenüber, zum anderen würden die Studierenden oft vor der benachbarten Tiefgarage rauchen gehen, „weil da immer warme Luft rauskommt“. Und manchmal, sagt Diekmann, bekäme er auch mit, dass Partys gefeiert werden.
Auch der Fachbereich Nachrichtendienste der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung lernt dort, was es für zukünftige Geheimdiensttätigkeiten braucht. Verwaltung, das klingt, als würden sie dort im „Tackern, Lochen und Abheften ausgebildet“, meint Diekmann. Dabei geht es wohl doch um mehr. 2021 distanzierte sich der Fachbereichsrat von Martin Wagener, einem Dozenten der Hochschule.
Später bekam er ein Betretungsverbot für die Liegenschaft, nachdem der Bundesverfassungsschutz Abschnitte aus einem der Bücher des Politikwissenschaftlers als extremistisch eingestuft hatte. Schon 2018 hatte er in einem anderen Buch eine meterhohe Betonmauer um Deutschland gefordert – Teil 1 seiner „Deutschland-Trilogie“.
Auf der Website der Hochschule ist er trotzdem bis heute als Professor aufgelistet. Seine aktuellen Publikationen erscheinen bei Tichys Einblick, der Jungen Freiheit oder der NZZ.
Wer hier ausgebildet wird, dem stehen auch mehr als 100 Wohnungen zur Verfügung, um während einer Fortbildung in Berlin unterzukommen. Das sind etwa so viele wie gegenüber in der Habersaathstraße 40-48, wo Diekmann wohnt – und nach Willen des Eigentümers schon längst nicht mehr wohnen sollte. Der Kampf der Bewohner:innen um ihre „Platte“ dauert schon viele Jahre.
Verkauft, saniert, verkauft
In den 80ern von der Charité für Mitarbeitende gebaut, wurde das Gebäude vom Land Berlin 2006 verkauft, saniert und zehn Jahre später für das Zehnfache des ursprüngliches Preises erneut veräußert. Rund 20 Millionen zahlte die heutige Eigentümerin Arcadia Estates und stellte einen Abrissantrag, um Luxusappartements bauen zu können. Die verbliebenen Mieter:innen bekamen Kündigungen ins Haus, einige wie Diekmann wehren sich bis heute trotz aller Schwierigkeiten.
Im September 2018 brannte etwa mitten am Tag Diekmanns Auto. Geparkt hatte er es direkt von dem verklinkerten Ausbildungszentrum des BND. Das hat den unbekannten Täter offenbar nicht gestört, genauso wenig wie die vielen Überwachungskameras am Gebäude. „Ausziehen oder brennen“ stand kurz vorher auf dem Fahrzeug.
Die Nähe zum BND, rund um die Uhr bewacht, hat an der Brandstiftung nichts geändert. Der Sicherheitsdienst, den Diekmann so nicht nennen will, „weil er sich nicht um Sicherheit kümmert“, verhinderte das nicht. Stattdessen habe ein grimmiger Wachmann sich eine Zigarette angezündet und die Feuerwehr während der Löscharbeiten angepöbelt, berichtet er.
Das Problem mit dem brennenden Auto und der Nähe zum BND löste sich wenig später: durch ein Parkverbot auf der Seite des Geheimdienstes. Noch heute kann man die übermalten ehemaligen Parktaschen erahnen. Autos in der Nähe des Gebäudes sind ebenso wenig erwünscht wie wild abgestellte Räder oder Mülleimer an der langen Straßenfront. Das Abstellen von Gegenständen ist hier polizeilich verboten.
Diekmann ließ sich von der Brandstiftung nicht einschüchtern, auch nicht von den Kündigungen der „Privatisierungsprofiteure“, wie er die Eigentümer nennt. Er und andere Mieter:innen gewannen immer wieder vor Gericht, zuletzt am 20. Dezember. Und so geht der Kampf um bezahlbaren Wohnraum in der Mitte Berlins weiter, damit nicht noch mehr Menschen dem Spekulationshype rund um das BND-Gebäude weichen müssen.
Karnickel statt Kaninchen
Lange gewichen sind unterdessen viele eher stille Bewohner der Chausseestraße. Da, wo früher die Mauer die Straße in Ost und West zerschnitt, war für viele Menschen kein Durchkommen. Wohl fühlten sich im Todesstreifen unterdessen Kaninchen. An die erinnerten auf dem Gehsteig 120 bronzefarbene Intarsien: „Der Bezug auf die Kaninchen, die kleinen Verwandten der stolzen Hasen, als friedliche und subversive Bewohner des Todesstreifen legt eine Fährte, die in der ornamentalen Behandlung des Straßenraums wieder aufgenommen wird“, so das Protokoll des Preisgerichts zum Werk der Künstlerin Karla Sachse.
Während des BND-Baus waren nicht mehr alle 120 Erinnerungstierchen zu sehen, sie wichen Straßenbauarbeiten. Nach seinem Einzug gab der Geheimdienst mit einer Kampagne den Kaninchen – ob bewusst oder unbewusst – eine neue Bedeutung. Unter dem Motto „Follow the glitch karnickel“ warben die Spione um Nachwuchs und inszenierten sich als Hacker für die gute Seite. Im Berliner Stadtraum tauchten immer wieder weiß-rosane Comic-Karnickel auf. Währenddessen sank die Zahl der bronzenen Mauerkaninchen im Gehsteig weiter. 63 waren 2019 noch auffindbar. Eine vollständige Rekonstruktion, auf die manche hofften, ist längst nicht mehr geplant, immerhin ein Konzept für die Restaurierung soll es 2024 geben.
Geheimnisvolle Nachbarn
Geblieben ist dafür ein Überbleibsel der BND-Planungen: das Haus in der Chausseestraße 87. Ein Metalltor schützt den Eingang, eine Kamera bewacht, wer sich dem Tor nähert. Auf dem Dach Stacheldraht und eine Domkamera, die wir aus unseren Büros in der Boyenstraße täglich sehen. Wer diese Nachbarn mit der üppigen Überwachungsausstattung sind, ist nicht leicht zu erkennen. Ein Klingelschild gibt es nicht. Am Tor der Hinweis, man möge sich an den Wachdienst wenden. Der Briefkasten für uns nicht erreichbar.
Unsere Recherche ergibt: Das Gebäude wurde 2005 vom Bund gekauft. 3,07 Millionen Euro hat der Komplex gekostet, schreibt die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben auf Anfrage. Ab da plante man auch den Umbau der früheren DDR-Kosmetikfabrik. Insgesamt 6,1 Millionen Euro kamen dadurch zum Kaufpreis dazu.
Das passt zusammen mit dem Bau der BND-Zentrale, der ab Ende 2006 begann. Die Planungen für das Gebäude sollten nicht irgendwo stattfinden, sondern in einem ausgewählten „Planungshaus“, in dem die Gewerke arbeiten mussten, damit kein Planungsmaterial das Haus verlässt.
Dass letztlich dennoch 2011 Grundrisse abhanden kamen, war wohl ein größerer Schaden für das Image des Geheimdienstes als für das reale Bauvorhaben. Anders als der Wasserhahndiebstahl im Jahr 2015, der das Gebäude unter Wasser setzte. Der schadete beidem gleichermaßen und kostete schließlich mehrere Millionen Euro.
Rasenmähen nur mit Sicherheitsüberprüfung
Dass es sich bei dem besonderen Planungshaus um die Chausseestraße 87 handeln muss, offenbart eine aktuelle Ausschreibung für „Grünpflege- und Grauflächenreinigungsleistungen“. Wer auf dem Gelände den Grashalmen zu Leibe rücken will, muss besondere Voraussetzungen mitbringen: Rasenmähen geht hier nur nach Sicherheitsüberprüfung. Verschwiegenheit sowieso vorausgesetzt. Doch was geschieht in dem unauffälligen Gebäude mit den besonders geprüften Gärtnern, nachdem der BND-Neubau doch längst abgeschlossen ist?
Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben schreibt auf Anfrage, dass die Räume weiterhin „als Planungshaus für laufende Baumaßnahmen des BND durch Architekten, Fachplaner und die Bau- und Liegenschaftsverwaltung genutzt“ werden. Ein Außenposten für den BND sozusagen, dessen Bau mehr als eine Milliarde Euro gekostet hatte.
Eine Druckerei der Berliner Firma Grimm hat dort einen Sitz, aber „ohne Publikumsverkehr“. Es ist also kein Copyshop wie jeder andere, sondern einer für vertrauliche Dokumente. „Handling in zugangskontrollierten und permanent überwachten Räumen“, heißt es auf der Website grimm-vertraulich.de. „Prinzip ‚Kenntnis nur soweit erforderlich'“ bietet Grimm hier an. Auf Wunsch auch mit ausschließlich sicherheitsüberprüftem Personal. Wo also früher ein VEB Duftwässer und Seifen produzierte, gehen heute geheime Akten oder Pläne bis zum Format 100 x 500 cm durch den Kopierer.
Seit 2006 sei das Unternehmen im Gebäude ansässig, teilte uns die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben mit. Die Traditionsdruckerei selbst antwortete auf unsere Anfrage nicht.
Was bleibt, ist die Veränderung
Dass es weitergeht mit den Baumaßnahmen, zeigt, dass sich der BND auf einen längeren Aufenthalt eingerichtet hat in der Gegend. Doch während der unantastbare Betonbau in immergleichem Grau beeindruckt und die größte Veränderung derzeit ein riesiger Tannenbau ist, der das subtile und fremde Ding mit bekannter abendländischer Tradition verdeckt, ist die Veränderung rund um das Gelände längst nicht abgeschlossen.
Manche spekulieren weiter mit Leerstand auf die Maximierung ihres Immobiliengewinns, während andere um ihr Zuhause kämpfen. Manche machen ihre Läden dicht, während andere voller Hoffnung neue öffnen. Manche verschanzen sich in ihrer Festung, während andere für eine offene Stadt für alle streiten.
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