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Onlinezugangsgesetz 2.0: Schmalspurdigitalisierung entlang von Baustellen

Bundesminister Volker Wissing gibt sich zuversichtlich: Die Digitalisierung hierzulande gehe voran, auch bei der Verwaltung. Tatsächlich aber hat die Bundesregierung ihre Ambitionen längst deutlich zurückgefahren und das Budget drastisch gekürzt. Und es tun sich bereits weitere Baustellen auf.

Baustellenabsperrung mit Warnleuchten, im Hintergrund Aktenstapel dicht an dicht
Bei der Verwaltungsdigitalisierung gibt es viel zu tun und wenig Mittel. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten Baustellenabsperrung: Unsplash/Matthew Hamilton; Aktenstapel: IMAGO/Shotshop; Montage: netzpolitik.org

Vor wenigen Tagen fand in Jena der diesjährige Digital-Gipfel der Bundesregierung statt. Bundesminister Volker Wissing, zuständig für Verkehr und Digitales, zeigte sich dort zur Halbzeit der Ampel-Koalition zuversichtlich: Wenn man das bisherige Tempo bis zum Ende der Legislaturperiode beibehalte, könne man die gesetzten Ziele bei der Verwaltungsdigitalisierung erreichen, so der Minister.

Wer allerdings auf die bisherige Entwicklung und Zahlen schaut, dürfte Mühe haben, Wissings Optimismus zu teilen. Denn zum einen hat die Bundesregierung nicht nur ihre Ambitionen diesbezüglich deutlich zurückgefahren, sondern auch das Budget drastisch gekürzt. Darüber hinaus gibt es weder ein ausreichendes Monitoring über den Fortschritt der Digitalisierung noch können die wenigen bestehenden Angebote die Nutzer:innen überzeugen.

Der Gürtel wird immer enger geschnallt

In ihrem Koalitionsvertrag verspricht die Ampel eine umfassende Verwaltungsdigitalisierung, die das Leben von Bürger:innen und Unternehmen einfacher machen soll. Die Richtschnur dafür gibt das Onlinezugangsgesetz vor, das die Große Koalition im Jahr 2017 beschloss.

Das OZG verpflichtet Bund, Länder und Kommunen dazu, insgesamt knapp 600 Verwaltungsleistungen für Bürger:innen, Unternehmen und Organisationen online zur Verfügung zu stellen. Die im Gesetz enthaltene Frist von Ende 2022 ist längst verstrichen, von den digitalen Verwaltungsdienstleistungen steht aktuell nur ein Bruchteil bereit und ein OZG-Änderungsgesetz (OZG 2.0) steckt seit gut einem Jahr im Gesetzgebungsprozess fest.

Für die Verwaltungsdigitalisierung hatte die Bundesregierung im vergangenen Jahr Ausgaben in Höhe von 377 Millionen Euro vorgesehen. Für das kommende Jahr sieht der geplante Bundeshaushalt nur noch 3,3 Millionen Euro vor.

Die enorme Differenz begründet Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) damit, dass es noch rund 300 Millionen Euro gebe, die die Verwaltung im laufenden Jahr und in den Vorjahren nicht ausgegeben hat. Auch in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion beruft sich die Bundesregierung auf diese noch verfügbaren Mittel. Angesichts der aktuellen Haushaltspolitik von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ist es allerdings fraglich, inwieweit öffentliche Stellen auf diese Gelder in den kommenden Monaten zugreifen können.

Die Mittel werden jedoch dringend benötigt: Für die Umsetzung des OZG 2.0 rechnet die Bundesregierung für die nächsten Jahre mit einmaligen Mehrausgaben von insgesamt 694 Millionen Euro und laufenden Mehrausgaben von 27,4 Millionen pro Jahr. Den Kosten stehen langfristige Einsparungen der öffentlichen Haushalte von rund 102,2 Millionen Euro gegenüber. Wie sich diese Zahlen im Einzelnen zusammensetzen, gibt die Bundesregierung nicht an.

Bundesregierung beschränkt sich auf 16 Fokusleistungen

Die Einsparungen gehen mit inzwischen deutlich niedriger gesetzten Zielen einher. Der Bund überlässt es mehr und mehr den Ländern, die Verwaltungsdigitalisierung umzusetzen, was zu einem Großteil auch tatsächlich in deren Verantwortung liegt. Die Bundesregierung konzentriert sich derweil darauf, bis Ende 2024 nur noch 16 sogenannte Fokusleistungen zu digitalisieren, die sie im vergangenen Mai bestimmte. Zu diesen zählen der Antrag auf einen Führerschein, auf Elterngeld und einen Personalausweis sowie die Energiepreispauschale für Studierende und Fachschüler:innen.

An dieser Schmalspurdigitalisierung der Ampel-Regierung entzündet sich Kritik. So fordert etwa der Nationale Normenkontrollrat (NKR) in seinem Jahresbericht: „Nicht kleckern, sondern klotzen!“ Das Expert:innengremium berät die Bundesregierung, den Deutschen Bundestag und den Bundesrat seit dem Jahr 2006 bei Bürokratieabbau und besserer Rechtsetzung.

Der Vorsitzende des Gremiums, Lutz Göbel, kritisiert, dass das OZG 2.0 die zahlreichen Baustellen der Verwaltungsdigitalisierung nicht entschieden genug angehe. Göbel zufolge fehlten „zentrale Basisinfrastrukturen, verbindliche Architekturvorgaben und Standards, schnellere Entscheidungsverfahren und leichtere IT-Beschaffung sowie ein öffentliches Umsetzungs-Monitoring und eine schlagkräftige föderale Steuerungsorganisation“.

Zocken gegen den Bullshit

Kein öffentliches Monitoring

Gerade am Monitoring und der Steuerung hapere es derzeit. Der NKR kritisiert die Bundesregierung dafür, kein klares Zielbild für die Verwaltungsdigitalisierung zu formulieren, an dem sich Fortschritte und Ergebnisse messen lassen. Ebendies forderte auch Bianca Kastl vom Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit in der öffentlichen Anhörung zum Onlinezugangsgesetz am 9. Oktober.

Aus Sicht des NKR sei es entscheidend, Digitalisierungsprojekte und die Zusammenarbeit der öffentlichen Stellen zu monitoren und zu evaluieren. Auch beim OZG-Änderungsgesetz versäume es die Bundesregierung, die Probleme des bestehenden Gesetzes zu analysieren, um so aus Fehlern zu lernen.

In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage widerspricht die Bundesregierung der Kritik, unzureichend zu monitoren und zu evaluieren. Sie verweist auf die OZG-Informationsplattform, die den Digitalisierungsstatus einzelner Verwaltungsleistungen aufliste. Gleichzeitig verweist sie auf eine lückenhafte Datenlage. So würden Länder und Kommunen nur wenige Daten über die Zentrale Statistik Komponente (ZSK) liefern. Damit sei unklar, wie häufig Bürger:innen die Online-Dienste der Verwaltungen nutzen. Die Ursache für das unzureichende Monitoring und die dünne Datenlage sieht der Bundestagsabgeordnete Markus Reichel (CDU) vor allem darin, „dass keine Belohnungen oder Sanktionen vorgesehen sind“.

Von Beratern, abgeschotteten Gremien und zusammengewürfelten Baukästen

Mangelnde Transparenz

Hinzu kommt, dass die Daten der OZG-Informationsplattform nur dann eingesehen werden können, wenn sich Interessierte mit E-Mailadresse und Passwort registrieren. Öffentlich uneingeschränkt einsehbar ist nur das OZG-Dashboard. Dieses gebe laut Bundesregierung einen Überblick „zum Fortschritt der Verwaltungsdigitalisierung in den Punkten Verfügbarkeit, Flächendeckung und Nutzung“. Künftig plane der Bund hier weitere Informationen über Nutzer:innenzahlen und deren Zufriedenheit mit den Diensten zu veröffentlichen, insbesondere hinsichtlich der Fokusleistungen, den digitalen Identitäten, der BundID und dem Bundesportal.

Der Bundesrechnungshof hatte das Dashboard bereits im Frühjahr 2022 wegen irreführender Informationen kritisiert. Demnach suggeriere das Board, dass die Digitalisierung weiter vorangeschritten sei, als es tatsächlich der Fall ist. So gebe es die OZG-Leistungen, die ein Bündel mehrerer Einzelleistungen sind, bereits dann als digitalisiert aus, wenn eine Einzelleistung zur Verfügung steht. Die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg (Linkspartei) bemängelt zudem, dass das Dashboard wichtige Detailinformationen vorenthalte, etwa darüber, welcher Dienst in welcher Gemeinde verfügbar ist.

Die Angabe „digital verfügbar“ bedeutet zudem nicht, dass das entsprechende Angebot auch „Ende-zu-Ende-digitalisiert“ ist, wie die Regierung es nennt. So zeigt das Dashboard beispielsweise das Ausbildungsgeld BAföG als bundesweit verfügbare digitale Leistung an. Tatsächlich aber müssen die Ämter die entsprechenden Online-Anträge ausdrucken, um diese bearbeiten zu können. Laut dem Dachverband der bundesweit 57 Studenten- und Studierendenwerke habe dieser Medienbruch „in der Praxis fatale Folgen“, da er die knappen Ressourcen von Personal und Mitteln enorm strapaziere.

Das Bundesinnenministerium hatte eigentlich zugesagt, die Empfehlungen des Bundesrechnungshofes bei der Weiterentwicklung des Dashboards aufzugreifen. Bislang ist das aber nicht erfolgt. Und auch in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Unionsparteien von Anfang November ist davon nichts zu lesen.

„Umständliche BundID“

Doch selbst wenn Zahlen darüber vorliegen, wie häufig Bürger:innen Online-Dienste der Verwaltung nutzen, lässt dies noch nicht darauf schließen, ob das Angebot qualitativ gut umgesetzt ist. So ist die BundID, das Nutzer:innenkonto des Bundes, eines der Vorzeigeprojekte der Verwaltungsdigitalisierung. Um die Energiepreispauschale (Einmalzahlung200) beantragen zu können, waren Studierende und Fachschüler:innen Anfang des Jahres dazu gezwungen, sich ein solches Nutzer:innenkonto einzurichten. Einen analogen Antrag hatten die zuständigen Bundesministerien nicht vorgesehen.

Die Mehrheit überzeugte das Angebot offenbar nicht: 64,6 Prozent der Antragsteller:innen – das sind rund 1,8 Millionen Schüler:innen und Studierende – verzichteten darauf, die Online-Ausweisfunktion zu verwenden, um eine BundID einzurichten. Stattdessen nutzten sie dafür eine PIN, die ihnen ihre Ausbildungseinrichtung zur Verfügung stellte. Viele der Antragssteller:innen löschten ihr BundID-Konto im Anschluss wieder. Auch Markus Reichel (CDU) hält „die Bund-ID für einen sehr umständlichen und aus Sicht der User Experience unzureichenden Weg, auf die digitalen Verwaltungsdienste zuzugreifen.“

Dessen ungeachtet will der Bund an der BundID festhalten und sie neben anderen standardisierten Basislösungen auch in jene Angebote integrieren, die sie für die eIDAS-Verordnung plant. Die Verordnung soll die elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für digitale Transaktionen im Binnenmarkt regeln und steht ebenfalls in der Kritik.

Allem Anschein nach werden die digitalpolitischen Baustellen – trotz Schmalspurdigitalisierung – nicht weniger. Ganz im Gegenteil.


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