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Überwachungsgesetz: Chatkontrolle erstmals im Bundestag

Bundestagskuppel, Handy und Polizist
Im Bundestag wurde über sexualisierte Gewalt gegen Kinder im Netz debattiert (Symbolbild) – Handy: IMAGO / Kirchner-Media; Bundestag: IMAGO/ Panthermedia; Polizist: IMAGO / YAY Images; Montage: netzpolitik.org

Die umstrittene Chatkontrolle hat den Bundestag erreicht. Als erste Partei hat die Linke einen Antrag zum Thema ins Parlament (PDF) eingebracht. Darin fordert sie die Bundesregierung auf, „sich in den Verhandlungen auf EU-Ebene für ein klares Verbot aller Varianten von Client-Side-Scanning (Durchsuchung und ggf. Ausleitung von Kommunikation auf den Endgeräten von Nutzer*innen) einzusetzen“. 

Am Freitagmorgen wurde zudem ein Antrag der CDU mit dem Titel „Kinderschutz vor Datenschutz“ im Bundestag beraten, in dem die Union einmal wieder die anlasslose Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen für sechs Monate forderte. Der Antrag der Linken zur Chatkontrolle war nicht Teil der Debatte, weil die CDU dies im Vorfeld abgelehnt hatte.

Anke Domscheit-Berg von der Linksfraktion nutzte die Gelegenheit dennoch für einen Redebeitrag zur Chatkontrolle. Sie sagte, die von der EU geplante Verordnung gefährde das im Koalitionsvertrag der Ampel stehende Recht auf Verschlüsselung und die Sicherheit der Kommunikation aller.

„Fotos planschender Kinder“ bei Ermittler:innen

Die Chatkontrolle ist ein Gesetzesvorhaben, mit dem die EU-Kommission Darstellungen von sexueller Gewalt gegen Kinder im Internet bekämpfen möchte. Das Vorhaben steht aber als neue und uferlose Form anlassloser Massenüberwachung massiv in der Kritik.

Um die Vorgaben zu erfüllen, könnten Anbieter von Telekommunikation ein sogenanntes Client-Side-Scanning einsetzen, bei dem Inhalte auf den Endgeräten unbescholtener Bürger:innen durchsucht werden. Verdachtsfälle von Aufnahmen sexualisierter Gewalt würden zunächst bei den Anbietern landen, dann bei Ermittler:innen.

„Und weil Algorithmen fehlerhaft sind, wird es Tausende falscher Verdachtsfälle geben“, sagte Domscheit-Berg weiter. „Und die überlasteten Ermittler müssen sich dann auch noch mit harmlosen Fotos planschender Kinder im Garten von Oma beschäftigen, die ein Elternteil in den Familienchat geteilt hat.“ Das sei nicht nur nicht hilfreich, sondern verschlechtere den Kinderschutz. Stattdessen brauche es Prävention, etwa in Jugendämtern, in der Schulsozialarbeit oder durch Aufklärung von Eltern und Kindern.

„Datenschutz ist Kinderschutz“

Die Abgeordneten der anderen Fraktionen debattierten Maßnahmen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder nicht mit Blick auf Chatkontrolle, sondern auf Vorratsdatenspeicherung. CDU-Mann Günter Krings sagte: „Keinem missbrauchten Kind ist mit reiner Symbolpolitik geholfen.“ Die von ihm und seiner Fraktion geforderte Vorratsdatenspeicherung betrachtet er dabei offenbar nicht als Symbolpolitik.

Die SPD-Abgeordnete Anna Kassautzki warf der Union vor: „Sie versuchen unter dem Vorwand Kinderschutz den Datenschutz auszuhöhlen“. Es sei aber „gelebter Datenschutz“, wenn man Kindern beibringe, sich nicht identifizierbar zu machen, und sich somit vor potentiellen Täter:innen zu schützen. „Datenschutz ist Kinderschutz“, sagte Kassautzki.

Warum die Chatkontrolle Grundrechte bedroht

Marcel Emmerich (Grüne) bezeichnete den Vorstoß der Union als unverhältnismäßige Überwachung. Es sei „respektlos“ und „infam“, wenn die Union in ihrem Antrag unterstelle, die Ampel würde den Kinderschutz auf die leichte Schulter nehmen.

Der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle unterstrich, der Staat brauche eine Begründung, um Daten von Menschen zu speichern. Deshalb verfolge man statt der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung eine anlassbezogene Speicherung nach einem richterlichen Beschluss. Ein solches Verfahren wird unter dem Begriff Quick-Freeze diskutiert.

Bei der Vorratsdatenspeicherung werden Telekommunikationsunternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, Telefon- und Internetverbindungsdaten ihrer Kund:innen mehrere Wochen lang zu speichern. Staatliche Behörden sollen auf diese Daten zugreifen können, etwa um im Kampf gegen sexuelle Gewalt gegen Kinder Täter:innen besser identifizieren zu können. Der Europäische Gerichtshof hat jedoch bereits mehrfach klar gemacht, dass Staaten nicht anlasslos und unbegrenzt das Sammeln von Daten über die private Kommunikation anordnen dürfen.

Kritik gegen Chatkontrolle nimmt Fahrt auf

Die Debatten um Vorratsdatenspeicherung und Chatkontrolle haben einige Gemeinsamkeiten. In beiden Fällen geht es um die Frage, ob Massenüberwachung angemessen oder gar geeignet ist, Kinder besser vor sexualisierter Gewalt zu schützen.

Bürgerrechtsorganisationen aus ganz Europa hatten eine komplette Rücknahme des Gesetzespakets der EU gefordert, das unter anderem die Chatkontrolle beinhaltet. Auch Mitglieder der Bundesregierung haben sich gegen die Chatkontrolle ausgesprochen, das Kabinett sei sich inzwischen einig, sagte Familienministerin Paus am 10. Juni. Zuvor hatte sich das Bundesinnenministerium noch ambivalent geäußert.

Die Bundesregierung hat der EU-Kommission vergangene Woche einen Fragenkatalog mit 61 teilweise kritischen Fragen geschickt. Dazu gab es nach Informationen von netzpolitik.org offenbar auch schon einen Termin in Brüssel, von dem jedoch nicht mehr bekannt ist.


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