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Staatstrojaner: Blankoscheck für Geheimdienst-Überwachung der Presse

Ein geplantes Medienfreiheitsgesetz der EU sollte Journalist:innen vor Überwachung schützen. Doch Europas Regierungen planen eine Blankoausnahme für „nationale Sicherheit“, die den Vorschlag praktisch aushöhlen würde.

Surrealistisches Bild eines Reporters in einem Raum voller Kameras
Die EU-Staaten wollen den Schutz von Journalist:innen vor Überwachung aufweichen – Dall-E

Kein Journalist darf wegen seiner Arbeit bespitzelt werden. Mit diesem klaren Satz begründete EU-Kommissarin Věra Jourová im vergangenen Herbst ihren Vorschlag für ein Gesetz, das die Pressefreiheit in allen EU-Staaten stärken soll.

Die EU-Kommission reagierte damit auf Enthüllungen über das Ausspähen von Journalist:innen, NGOs und Oppositionspolitiker:innen in mehreren EU-Staaten. In Ungarn ließ die Regierung von Viktor Orban Handys von Reportern hacken, die über Korruptionsvorwürfe berichteten. In Griechenland spionierte die Regierung Journalist:innen aus, die Finanzskandale enthüllten. In Spanien ging es gegen Journalist:innen im Umfeld der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Die Liste lässt sich fortsetzen. Expert:innen warnen, die sich ausbreitende Überwachung von Journalisten sei eine Bedrohung für die Pressefreiheit.

Das Mittel der Wahl bei den Überwachungsaktionen: Staatstrojaner. Berüchtigt ist insbesondere Pegasus, ein Trojaner der israelischen Firma NSO Group, der Handys praktisch unbemerkt infiltrieren kann. Dadurch kann selbst verschlüsselte Kommunikation über Dienste wie WhatsApp oder Signal ausgelesen werden. Journalist:innen, die mit Pegasus oder anderen Trojanern gehackt wurden, müssen die Preisgabe ihrer Quellen fürchten.

Um solchen Übergriffen einen Riegel vorzuschieben, verbietet der Gesetzesvorschlag der Kommission ausdrücklich den Einsatz von Staatstrojanern gegen Journalist:innen. Das Europäische Medienfreiheitsgesetz sollte außerdem jede Form von Überwachung oder Repressalien untersagen, mit denen die Offenlegung journalistischer Quellen erzwungen werden soll.

Doch die EU-Staaten arbeiten hinter verschlossenen Türen an einem Gegenvorschlag, der diese Vorschläge der Kommission praktisch wirkungslos macht. Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Recherche von netzpolitik.org mit dem Rechercheteam Investigate Europe.

Frankreich drängte auf Blankoausnahme

Der Rat der EU-Staaten will die Schutzbestimmungen für Journalist:innen durch eine generelle Ausnahme für die „nationale Sicherheit“ aushebeln. Das geht aus einem Textentwurf der schwedischen Ratspräsidentschaft vom 7. Juni hervor, den wir durch eine Informationsfreiheitsanfrage erhielten und im Volltext veröffentlichen. Der Rat geht damit über frühere Vorschläge zur Verwässerung des Textes hinaus, über die wir zuvor berichteten.

Schon der ursprüngliche Vorschlag der Kommission sah vor, dass der Staatstrojaner-Einsatz „im Einzelfall“ aus Gründen der nationalen Sicherheit gerechtfertigt sein soll. Aus dem Einzelfall soll nun eine Blanko-Erlaubnis werden, die nicht nur das Trojaner-Verbot aufweicht, sondern auch das generelle Verbot der Überwachung von Journalist:innen zur Ermittlung ihrer Quellen aushebelt. Außerdem schwächt die Ausnahme das Recht, eine Beschwerde bei einer unabhängige Behörde einzureichen, wie es der ursprüngliche Vorschlag vorgesehen hätte.

Diese Blanko-Ausnahme für „nationale Sicherheit“ in Artikel 4 des Gesetzesentwurfs hat Frankreich durchgesetzt. Unterstützung erhielt die Regierung in Paris dafür auch von Deutschland. Das geht aus einem vertraulichen Drahtbericht der deutschen Ständigen Vertretung in Brüssel hervor, den wir ebenfalls im Volltext veröffentlichen. Den Vorschlag unterstützte demnach außerdem Griechenland, wo die Regierung ihre Überwachungsaktionen gegen Journalist:innen mit Verweis auf die „nationale Sicherheit“ rechtfertigte.

Um den Schutz von Medienschaffenden gibt es nicht nur in der EU Streit. In Deutschland gibt es Verfassungsbeschwerden, weil Journalist:innen und ihre Quellen nicht ausreichend vor Überwachung durch den Bundesnachrichtendienst geschützt seien. Eine davon richtet sich auch explizit gegen Staatstrojanereinsatz, insbesondere weil es für Betroffene besonders schwer ist, sich gerichtlich gegen die heimliche Ausspähung zu wehren.

„Nationale Sicherheit als Vorwand“

Der griechische Journalist Thanasis Koukakis, der mit dem Trojaner Predator gehackt wurde, zeigte sich auf Nachfrage empört über die geplante Verwässerung des EU-Gesetzes. „Mein Fall zeigt deutlich, wie einfach die nationale Sicherheit als Vorwand für Drohungen gegen Journalist:innen und ihre Quellen benutzt werden kann.“ Die französische Journalistin Rosa Moussaoui, die Opfer von Pegasus wurde, kritisierte die Haltung Frankreichs. Eine allgemeine Ausnahme für nationale Sicherheit passe „perfekt zur Politik“ der französischen Regierung, sich nicht um den Quellenschutz zu kümmern.

Ein Sprecher der zuständigen grünen Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, erklärt auf Anfrage, es sei „in keiner Weise“ das Ziel der Bundesregierung, „die Ausspähung von Journalisten zu legalisieren“. Die Ausnahmeregelung zur nationalen Sicherheit im Ratsentwurf soll lediglich sicherstellen, „dass die im Vertrag der Arbeitsweise der Europäischen Union bestimmten Kompetenzen der Mitgliedstaaten im Bereich der nationalen Sicherheit unberührt bleiben.“

Dem hält allerdings der Europäische Journalistenverband entgegen, dass die Blankoausnahme keine Schutzmaßnahmen zur Sicherung von Grundrechten enthalte. Dadurch ignoriere der Rat die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der klargestellt habe, dass die nationale Sicherheit die EU-Staaten nicht von ihrer Verpflichtung zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit befreie. Durch die Ausnahme werde das geplante Medienfreiheitsgesetz in eine „leere Hülle verwandelt“. Auch Tom Gibson vom Committee to Protect Journalists warnt, der Rat erteile dadurch „willkürlicher Überwachung durch Länder mit geschwächter Rechtsstaatlichkeit“ seinen Sanktus.

Heftige Kritik gibt an den Plänen der EU-Staaten gibt es aus dem EU-Parlament. Die niederländische Abgeordnete Sophie in ‚t Veld aus der liberalen Fraktion Renew nennt den Ratsvorschlag eine „Katastrophe“. Die SPD-Politikerin Katarina Barley betont, „pauschale Ausnahmen ohne weitere Vorkehrungen gehen gar nicht“.

Der Bedenken zum Trotz planen die EU-Staaten einen Beschluss noch im Juni. Kommt kein entschiedener Widerstand aus dem EU-Parlament, das bislang noch keine eigene Position festgelegt hat, dann könnte das Medienfreiheitsgesetz die Blankoausnahme für Überwachungsmaßnahmen zur „nationalen Sicherheit“ festschreiben. Die Absicht von Kommissarin Jourová, Journalist:innen in ihrer Arbeit vor Überwachung zu schützen, bliebe damit ein frommer Wunsch.


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