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Kulturpass: Gute Idee deutschdigitale Umsetzung

Mit dem neuen KulturPass stellt die Bundesregierung jungen Menschen ein 200-Euro-Budget für Kulturangebote zur Verfügung. Ein echter Schnapper, könnte man meinen. Wenn da nur nicht der Ausweiszwang, eine Suchmaschine aus der Hölle und Hürden für Armutsbetroffene wären. Ein Kommentar.

Claudia Roth hält ein Handy mit der App lachend in die Kamera.
Claudia Roth findet es gut. – Alle Rechte vorbehalten BKM / Henning Schacht

Ob das Buch „Wahlversprechen in Großbritannien seit 1918“ kaufen, die Lesung „Ich, ein Sachse“ besuchen oder das Musical „Berlin Berlin“ über Eventim buchen – dank eines 200-Euro-Budgets können 18-Jährige in Deutschland es jetzt kulturell richtig krachen lassen. Diese und andere „Kulturerlebnisse“ spendiert die von der Kulturstaatsministerin Claudia Roth am Mittwoch präsentierte KulturPass-App.

Auf den ersten Blick sind 200 Euro für Konzerte, Kino und Co wirklich ein Grund zum Feiern, schon alleine wegen der vielen Erlebnisse, die jungen Menschen durch die Corona-Pandemie verwehrt geblieben sind. Oder wegen der wenig rosigen Aussichten für alle 18-Jährigen, die Auswirkungen der Klimakatastrophe live mitzuerleben. Oder einfach, weil man sich beim Auszug aus dem Elternhaus fragen muss, mit wie vielen Nebenjobs ein WG-Zimmer finanzierbar ist. Zudem soll der Kulturpass die durch die Pandemie-Jahre angeschlagene Kulturbranche stärken. Eine Win-Win-Situation also?

Digitalisierung durch Ausweiszwang

Zumindest für die Nutzungszahlen des elektronischen Personalausweises (ePerso) verspricht der KulturPass ein großer Erfolg zu werden. Wer die Kulturknete haben will, muss nämlich Vor- und Nachnamen, Geburtsdatum und Wohnort per Onlineausweis in der App nachweisen. Somit benötigen alle, die auf das 200-Euro-Budget zugreifen wollen, zwingend einen Onlineausweis, eine eID-Karte oder einen elektronischen Aufenthaltstitel.

Für die bisher eher schleppend vorangehende Nutzung des inzwischen seit mehr als zehn Jahren existierenden ePerso-Systems bedeutet das, ähnlich wie bei der „Einmalzahlung“ an Studierende, bei der die Bundesregierung die Auszahlung an die Nutzung des elektronischen Ausweises geknüpft hat, einen deutlichen Anstieg der Nutzer*innen. Hier kann die Bundesregierung Zuwächse in der Statistik feiern. Klappt doch mit der Digitalisierung.

Wer am Mittwoch pünktlich zum Startschuss dank neuem Smartphone, gezücktem digitalen Personalausweis und Geburtsjahr 2005 in freudiger Erwartung die App herunterlud, hatte dennoch mit Startschwierigkeiten zu kämpfen. Viele scheiterten beim Versuch, sich zu identifizieren. Mehrere frustrierte Nutzer*innen berichteten davon, dass Seite nicht lud oder dauernd abstürzte.

Zu arm? Leih dir doch ein Handy!

Wer das Angebot auch nicht nutzen kann, sind all diejenigen, die kein oder ein zu altes Handy besitzen. Die Registrierung und auch die Buchung der Kulturangebote ist ausschließlich online und auf dem Handy über die App KulturPass möglich. Schon ein in die Jahre gekommenes Samsung S5 bedeutet: Die App geht nicht.

Eine Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hat vor kurzem gezeigt, dass von Armut betroffene Menschen überdurchschnittlich oft offline sind, also keinen Internetzugang haben, weil sie sich zum Beispiel die nötige technische Ausstattung nicht leisten können. Hier empfiehlt die Bundesregierung: Leihen Sie sich doch einfach ein Handy zum Freischalten – und nutzen sie die Webseite.

Suchergebnisse aus der Hölle

 

Wie ein unaufgeräumter Trödelmarkt kommt die Suchfunktion sowohl in der App und auf der Webseite daher. Auf der Startseite gibt es „Wahlversprechen in Großbritannien seit 1918“ für stattliche 139,09 Euro zu kaufen oder Werke wie „Conflict Potentials in Monetary Unions“, die 18-Jährige bestimmt in hohem Maße faszinieren.

Die Suchmaschine selbst funktioniert nur bedingt: Veranstaltungen in Wohnortsnähe zu finden ist schwer. Besonders für alle, die keine Postleitzahl im Profil hinterlegen. Obwohl diese Umkreissuche sowieso zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Kommentars deaktiviert ist, wie die bald ein Drittel der Webseite kulturpass.de einnehmenden „Aktuellen Hinweise“ verraten, in denen die jüngsten Bugs und Fehler verkündet werden.

Sucht man nach „Berlin“ und setzt dann den Marker auf „heute“, bekommt man genau fünf Ergebnisse angezeigt, darunter Veranstaltungen in Göttingen und in Papenburg-Aschendorf. Mehr Ergebnisse bekommt man, wenn man den umstrittenen Ticket-Riesen Eventim ins Suchfeld eingibt. Satte 56546 Ergebnisse liefert Kulturpass.de dann. Das ist doch schön. Für Eventim.


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