Mit Ströbele geht ein großer Bürgerrechtler, dezidierter Kritiker von Geheimdiensten und Politiker mit Rückgrat. Nach den Snowden-Enthüllungen untersuchte er die Überwachung im Netz. Mit dem Digitalen hingegen wurde Ströbele nie richtig warm. Ein Nachruf.
Der König von Kreuzberg ist tot. Und es gibt so viele gute Geschichten über diesen aufrechten Menschen, der allen Berliner:innen auch im echten Leben wohl mindestens einmal mit seinem Fahrrad über den Weg gefahren ist. Und wenn man zu Demonstrationen ging, dann sah man Ströbele natürlich noch öfter. Denn der war irgendwie immer da, brachte seine Autorität zum Schutz der Versammlungsfreiheit ein, verhandelte und protestierte, stand in erster Reihe, wenn die Berliner Polizei mal wieder über die Stränge schlug. Doch nicht nur auf der Straße, sondern auch für die Netzpolitik war Ströbele ein wichtiger Politiker.
Dabei war er alles andere als mit der Digitalisierung vertraut. Als ihn die ARD-Kinderreporter im Jahr 2007 fragten, ob er einen Computer habe, antwortete er mit „Ja. Leider ja.“ Als er dann gefragt wird, ob er schon einmal im Internet war, antwortet er vergnügt: „Ins Internet bin ich glaube ich, einmal, oder zweimal bisher gegangen.“ Und auf die Frage, ob er sich eine eigene Startseite ausgesucht habe, antwortet er: „Nee, ich weiß gar nicht, was das ist.“ Ströbele bringt mit seiner damaligen digitalen Ahnungslosigkeit die Kinderreporterinnen fast dazu, dass sie keine weiteren Fragen stellen wollen.
Doch weil Ströbele nicht nur ein Linker, ein Kriegsgegner, ein Antifaschist, sondern vor allem auch ein Bürgerrechtler war, stand ihm seine Distanz zum Digitalen nicht im Wege. Er trat für Grundrechte und Freiheit ein, ob nun offline, online, auf der Straße oder im Parlamentarischen Kontrollgremium, in dem er lange Jahre Mitglied war. Geheimdienste waren ihm oft ein Dorn im Auge, er forderte die Abschaffung des Bundesverfassungsschutzes und sah die Geheimdienste als der Demokratie wesensfremd an. „In einer Demokratie sollte nichts geheim sein“, sagte Ströbele. „Weil die Bürgerinnen und Bürger alles wissen dürfen, weil sie letztlich entscheiden.“ Er selbst wusste vieles, wühlte sich durch Akten und durfte doch so einiges wegen der Geheimhaltung nicht sagen.
Prominenter Kritiker von Geheimdiensten
Ströbele war Mitglied im BND-Untersuchungsausschuss, der unter anderem die Zusammenarbeit der deutschen Geheimdienste mit anderen Geheimdiensten im Nachgang des 11. Septembers untersuchte. Dabei ging es unter anderem um die illegale Verschleppung von Menschen mit dem Wissen Deutschlands. Als die Verfolgung von Wikileaks begann, setzte sich Ströbele für die Freiheit von Julian Assange ein.
Später saß Ströbele im NSA-Untersuchungsausschuss. In Erinnerung ist vor allem sein Einsatz für den Menschen, der alles ins Rollen brachte: Edward Snowden. Ströbele kämpfte hartnäckig dafür, dass der Whistleblower nach Deutschland kommen kann.
Er besuchte Snowden als erster deutscher Politiker in Moskau, löcherte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Fragen und sorgte dafür, dass nicht in Vergessenheit gerät, dass der prädestinierte Top-Zeuge des Ausschusses bis zum Ende nicht kommen durfte. Im Interview mit netzpolitik.org, beim Podcast Logbuch:Netzpolitik und beim CCC-Kongress berichtete Ströbele über seine Politik und die der Geheimdienste.
Mit Hans-Christian Ströbele ist ein wichtiger Bürgerrechtler gegangen, ein unermüdlicher Kämpfer gegen staatliche Überwachung, ein Unbequemer. Einer, bei dem man nicht nur wusste, dass sein Herz am rechten Fleck schlug, sondern einer, der auch so handelte. Ein Aufrechter in einem politischen Umfeld, in dem sich viele verbiegen bis zur Unkenntlichkeit. Er hatte das Rückgrat, das sich viele Bürger:innen in der Politik wünschen. Hans-Christian Ströbele starb am vergangenen Montag nach langer Krankheit im Alter von 83 Jahren.
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