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Reaktionen: Das sagt die Zivilgesellschaft zur Digitalstrategie

Die Zivilgesellschaft soll bei der Digitalisierung auch ein Wörtchen mitzureden haben, stellt die Bundesregierung in Aussicht. Wir haben uns bei zivilgesellschaftlichen Organisationen umgehört, wie sie die neue Digitalstrategie der Ampel einschätzen.

Eigentlich sollte die Zivilgesellschaft mehr als nur ein Rädchen sein, versprach die Ampel-Regierung beim Amtsantritt. Doch Nichtregierungsorganisationen sehen deren Digitalstrategie vor allem als verpasste Chance. – Alle Rechte vorbehalten Bild: IMAGO / Political-Moments / Montage: netzpolitik.org

Die „Digitale Zivilgesellschaft“ verfügt über ein eigenes Unterkapitel in der heute vorgestellten Digitalstrategie der Bundesregierung. Das war beim ersten Aufschlag aus dem FDP-geführten Digitalministerium noch nicht der Fall. Doch wie schätzt diese Zivilgesellschaft das Papier ein, das den Rahmen der digital- und netzpolitischen Vorhaben der Ampelregierung für die kommenden Jahre abstecken soll? Wir haben nachgefragt und erhielten ein geteiltes Echo.

Schon beim Amtsantritt versprach die Ampel-Regierung einen „digitalen Aufbruch“, mit dem sie die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte aufholen will. Doch wie schon die unionsgeführten Vorgängerregierungen scheint auch sie Netzpolitik vor allem als Wirtschafts- und Technologiepolitik zu begreifen. Der Digitalstrategie „fehlen greifbare Leitbilder und Visionen“, sagt Elisa Lindinger vom SUPERRR Lab, einer Organisation, die sich für eine gerechtere digitale Zukunft einsetzt.

Dabei sei es wichtiger denn je, „Digitalpolitik endlich als Gesellschaftspolitik zu verstehen und zu gestalten“, sagt Lindinger. Tatsächlich flossen dazu in die finale Version des Strategiepapiers durchaus progressive Ansätze ein: So will sich die Ampel „verstärkt mit Machtstrukturen im digitalen Wandel“ auseinandersetzen und Denkansätze wie feministische Digitalpolitik heranziehen, um die digitale Transformation besser zu verstehen.

Für Lindinger ist das der „zentrale Impuls“ des Papiers, der zum Leitbild künftiger Digitalpolitik werden sollte. „Mit einer feministischen Digitalpolitik werden endlich jene Maßnahmen priorisiert, die Transparenz, Teilhabe und Chancengerechtigkeit in den Mittelpunkt stellen, statt weiterhin Steuermillionen für Wirtschaft und Innovation um der Innovation willen zu verpulvern“, so Lindinger.

Digitalisierung ist mehr als Glasfaser

Anders als dieser noch auf den letzten Metern hinzugefügte Absatz war das Thema Hass im Netz schon zuvor auf dem Schirm der Regierung, nun wurde der Abschnitt noch weiter ausgebaut. Das freut Josephine Ballon von HateAid, einer Beratungsstelle für Opfer digitaler Gewalt. „Wir begrüßen, dass digitale Gewalt als Thema Einfluss gewonnen hat und dass es nicht nur um die Digitalisierung der Verwaltung oder Glasfaserkabel auf dem Land geht“, sagt Ballon.

In der Digitalstrategie findet sie einige gute Ansätze, etwa den geplanten Abbau von Lücken bei Auskunftsrechten. Daran sei schon in den vergangenen Jahren herumgeschraubt worden, in der Praxis habe es aber nie so recht funktioniert, sagt Ballon: „Digitale Täter können oft nicht ermittelt werden.“ Entscheidend sei, dass dies nun entsprechend umgesetzt werde und „dass es auch funktioniert“. Positiv wertet die Juristin das geplante elektronische Verfahren zur Erstattung von Anzeigen. Aus Sicht Ballons sei dafür ein bundesweites Anzeigeformular notwendig.

Dass Beratungsangebote für Betroffene von digitaler Gewalt weiter gefördert werden sollen, „lesen wir natürlich gerne“, sagt Ballon. Derzeit übersteigt die Nachfrage das Angebot, ständig kommen neue betroffene Gruppen hinzu, neben marginalisierten Menschen zuletzt auch Influencer:innen, Ärzt:innen und Wissenschaftler:innen. „Gerade in Pandemiezeiten mussten wir eine Warteliste einführen“, erläutert Ballon, „weil unsere Ressourcen nicht ausgereicht haben.“ Wie das finanziert werden soll, bleibt jedoch unklar: Um das Digitalbudget feilscht die Bundesregierung derzeit noch.

Public Money, Public Code

Die Free Software Foundation Europe mahnt zur Eile. Die Digitalstrategie spreche „viele wichtige und richtige Ziele“ bei Freier Software an. Gleichzeitig bemängelt die Organisation aber, dass die Ampel-Regierung bisher kaum über Ankündigungen hinausgekommen sei. In ihrem Strategiepapier nimmt sich die Regierung vor, in der öffentlichen Verwaltung die Abhängigkeit von bestimmten Technologie-Anbietern mit Hilfe von Open Source zu minimieren. Außerdem sollen „das Open-Source Ökosystem und insbesondere Basistechnologien mit einem Sovereign Tech Fund“ gefördert werden.

„Entscheidend wird die Umsetzung sein“, so die FSFE. „Daher darf keine Zeit mehr verloren werden.“ Die Freie-Software-Aktivist:innen fordern konkrete Vorgaben, etwa: „Durch Steuergelder finanzierte Software muss konsequent unter einer freien Software-Lizenz veröffentlicht werden.“

Digitalstrategie wirkt wie Stückwerk

Während der Fokus der FSFE auf Freier Software liegt, beschäftigt sich Wikimedia Deutschland vor allem mit freiem Wissen. Christian Humborg begrüßt auf der einen Seite, dass die Digitalstrategie viele konkrete Maßnahmen enthält. Das reicht dem geschäftsführenden Vorstand der Organisation jedoch nicht: „Insgesamt wirkt die Digitalstrategie aber wie Stückwerk und ist nicht ambitioniert genug“, so Humborg. Gemeinwohlorientierung werde zwar versprochen, „aber an vielen Stellen stehen offensichtlich wirtschaftliche Interessen im Vordergrund und somit dem Zielbild im Weg.“

Wikimedia sieht in dem Rechtsanspruch auf Open Data ein wichtiges Vorhaben. „Dieser muss umfassend und mit möglichst wenigen Ausnahmen formuliert werden“, so Humborg. Da aber sei die Digitalstrategie nicht konkret genug. Die Regierung will sich etwa daran messen lassen, dass bis 2025 „Bundesbehörden Prozesse eingeführt haben, die die Bereitstellung von Open-Data in den Arbeitsalltag integrieren“. Wie genau dies erfolgen soll, formuliert die Strategie hier nicht.

Das bemängelt auch Humborg: „Wie die öffentliche Verwaltung zukünftig die notwendigen Infrastrukturen und Kompetenzen aufbauen soll, um Daten automatisiert bereitstellen zu können, wird in der Digitalstrategie nicht klar genug beschrieben.“ Damit offene Daten bereitgestellt werden können, brauche es „eine umfassende Modernisierung der Verwaltung“.

Künstliche Intelligenz als Allheilmittel

Aus Sicht der Nichtregierungsorganisation AlgorithmWatch scheine die Digitalstrategie das Thema Künstliche Intelligenz (KI) vor allem als „ein Allheilmittel für komplexe gesellschaftliche Probleme zu sehen.“ Mit der Technik will die Regierung etwa Prozesse in der Arbeits- und Sozialverwaltung optimieren, Menschen mit Behinderungen besser am Arbeitsleben teilhaben lassen und Desinformation im Netz gezielt erkennen. Allerdings würden Sicherheitsrisiken und mögliche Benachteiligungen durch KI-Systeme nur kurz erwähnt, zudem fehlten konkrete Maßnahmen, wie KI gemeinwohlorientiert entwickelt werden soll, kritisiert Pia Sombetzki.

„Mit Blick auf Algorithmen und KI ist die Digitalstrategie daher enttäuschend“, sagt Sombetzki. Die umfassenden Vorschläge aus der Zivilgesellschaft, wie sich KI gemeinwohlorientiert gestalten ließe, hätten keine Berücksichtigung gefunden. Zudem werde die Verantwortung auf die Verbraucher:innen und Nutzer:innen abgeschoben, anstatt Sicherheitsrisiken durch einen gesetzlichen Rahmen einzudämmen.

Deutlich werde dies etwa an der angekündigten KI-gestützten Optimierung der Verwaltung. Gerade dort könne die Technik zu erheblichen Benachteiligungen führen, wie der AMS-Algorithmus in Österreich oder der SyRI-Skandal in den Niederlanden gezeigt hätten. „Wir vermissen in der Digitalstrategie gesetzliche Schutzmaßnahmen, um diesen Risiken entgegenzuwirken“, sagt Sombetzki. Ein knapper Verweis auf eine derzeit verhandelte EU-Regelung reiche nicht aus. Es brauche konkrete Maßnahmen wie Folgenabschätzungen oder öffentliche Register, in denen Informationen zu allen in der öffentlichen Verwaltung eingesetzten Algorithmen transparent gemacht werden.


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