Der deutsche Juristinnenbund hat einen Plan gegen bildbasierte Gewalt vorgelegt. Es geht um Menschen, die sich niemals nackt im Netz zeigen wollten. Das Strafrecht sei hierzu „vollkommen unsystematisch und lückenhaft“. Insgesamt 15 Forderungen sollen das ändern. Der Überblick.
Meine Nacktfotos gehören mir – auf diesen Grundsatz könnte man viele Probleme rund um bildbasierte Gewalt herunterbrechen. Immer wieder erstellen Täter*innen ohne Einverständnis intime Aufnahmen von anderen, oft landen sie Internet. Ein bekannter, aber problematischer Begriff dafür ist „Racheporno“, doch das Problem ist viel breiter. Es geht zum Beispiel um heimliche Videos aus der Gruppendusche, um Deepfakes, oder um gehackte und geleakte Bilder aus einer alten Beziehung.
Wer juristisch gegen bildbasierte Gewalt vorgehen möchte, begegnet einem Flickenteppich aus Gesetzen. Je nach Situation können die Gesetze Betroffenen helfen – oder sie schutzlos zurücklassen. Der Deutsche Juristinnenbund (djb) hat die Rechtslage in Deutschland nach Schwachstellen untersucht und die Ergebnisse auf 19 Seiten zusammengefasst. Das Fazit ist ernüchternd.
Der rechtliche Schutz ist laut djb „lückenhaft“, das Strafrecht „vollkommen unsystematisch“. Die Jurist*innen machen deutlich: Eine Reform muss her. Es brauche außerdem verpflichtende Fortbildung für Polizei, Staatsanwaltschaften und Richter*innen sowie „dringend“ öffentliches Geld für empirische Forschung. Insgesamt nennt der djb 15 konkrete Forderungen an Politik und Behörden.
Wie viele Menschen genau von bildbasierter Gewalt betroffen sind, ist bislang wenig erforscht. Studien liefern erste Hinweise, doch die Zahlen schwanken. Je nach Studie betroffen sind jede*r Zwölfte bis jede*r Dritte. Mitunter wissen Betroffene nicht einmal, dass von ihnen intime Bilder kursieren.
Eine Frage der Grundrechte
Für das djb-Papier mitverantwortlich ist Juristin Anja Schmidt von der Universität Halle-Wittenberg. Sie ist unter anderem Expertin für Strafrecht und sexuelle Selbstbestimmung. Wir haben sie gefragt, welche der 15 Forderungen für sie allerhöchste Priorität habe. Ihre Antwort: konsistente Regeln im Sexualstrafrecht. Das heißt, Schmidt fordert ein Ende des Flickenteppichs.
In Deutschland gibt es derzeit kein Gesetz, das den Grundsatz „Meine Nacktfotos gehören mir“ konsequent umsetzt. Stattdessen gibt es mehrere überspezifische Gesetze. Eines davon ist etwa Paragraf 201a StGB. Geschützt sind demnach nur Aufnahmen aus einem „gegen Einblick besonders geschützten Raum“, etwa dem Wohnzimmer. Ein anderes Gesetz ist Paragraf 184k StGB, geschützt sind demnach etwa Aufnahmen von „Genitalien“, „Gesäß“ oder „weiblicher Brust“, soweit diese Körperregionen „gegen Anblick geschützt“ sind.
Ein weiteres Beispiel ist Paragraf 184a StGB, der „gewaltpornografische Inhalte“ verbietet. Dieser Paragraf ist besonders problematisch, weil er Dinge vermischt, die nicht zusammengehören. Schon für Laien ist das begrifflich schwer miteinander zu vereinbaren: Wer etwa bei einer Vergewaltigung gefilmt wurde, ist eindeutig nicht in einem Porno aufgetreten. Auch auf juristischer Ebene knirscht es. Damit der Paragraf Betroffenen bildbasierter Gewalt helfen kann, müsste der aufgezeichnete Übergriff vor dem Gesetz als pornografisch gelten. Das trifft aber nicht auf jeden Übergriff zu, wie die Jurist*innen darlegen. „Denn ein Inhalt ist nur pornografisch, wenn er Sexualität vergröbernd-anreißerisch darstellt oder auf die Erregung eines sexuellen Reizes ausgerichtet ist.“
Einfach ausgedrückt geht aus der djb-Analyse hervor: Die aktuellen Gesetze sind Murks.
Dabei bedeutet Schutz vor bildbasierter Gewalt zugleich Schutz von Grundrechten, wie die djb-Jurist*innen erklären. Dahinter stehen demnach das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und das Recht am eigenen Bild. Hinzu kommt, dass bildbasierte Gewalt insbesondere Frauen trifft. Der djb schreibt, sie kann „Ausdruck geschlechtlicher Machthierarchien“ sein. In dem Fall kommt ein weiteres Grundrecht hinzu, und zwar das Recht auf Nichtdiskriminierung.
Menschen sollen über Aufnahmen verfügen können, „die sie selbst nackt oder sexualbezogen wiedergeben“, schreiben die Jurist*innen. Solche Aufnahmen seien „geeignet, das Selbstverständnis dieser Person und die Auffassungen anderer von ihr tiefgreifend zu beeinflussen“. Bildbasierte Gewalt kann Menschen also seelisch sehr verletzen. Sie kann sich auf ihr Umfeld, die Familie, den Job auswirken. Mehr dazu berichten wir in unserem Podcast „Ungewollt nackt im Netz“.
Geplantes EU-Gesetz ist „Meilenstein“
Deshalb fordert der djb eine Reform: „ein einheitlicher Regelungskomplex von Straftatbeständen innerhalb des Sexualstrafrechts und außerhalb des Pornografiestrafrechts“. Unter Strafe stehen soll „das unbefugte Herstellen, Gebrauchen, Zugänglichmachen und Manipulieren von Bildaufnahmen“, die „eine andere erwachsene Person nackt oder sexualbezogen wiedergeben.“
In diese Richtung geht derzeit die Europäische Union mit ihrem Entwurf einer „Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“. In dem geplanten Gesetz der EU-Kommission steht, EU-Staaten sollen einen eigenen Straftatbestand schaffen. Er heißt: „nicht-einvernehmliche Weitergabe von intimem oder manipuliertem Material“. Anja Schmidt findet, das geplante EU-Gesetz ist ein „Meilenstein“, weil er digitale Gewalt eigenständig adressiere. Doch auch im EU-Gesetz drohen Lücken.
Laut Entwurf der EU-Kommission sollen etwa nicht-einvernehmliche Aufnahmen von sexuellen Handlungen verboten sein. Aber zu bildbasierter Gewalt gehören auch Nacktaufnahmen ohne sexuelle Handlungen, etwa Fotos aus dem Badezimmer mit versteckter Kamera. Zumindest der Rat der Europäischen Union hat diese Lücke in seiner Position zu dem Entwurf zu stopfen versucht. Das EU-Parlament hat seine Position noch nicht fertig ausgehandelt. Letztlich werden Kommission, Rat und Parlament gemeinsam über das Gesetz verhandeln. Es ist also noch offen, ob der EU ein konsistenter Schutz vor bildbasierter Gewalt gelingt.
Eine andere Forderung des djb ist öffentliches Geld für empirische Forschung. Es fehlt Wissen darüber, wie viele Menschen betroffen sind, welche Folgen die Gewalt für sie hat und warum Täter*innen überhaupt bildbasierte Gewalt ausüben, wie der djb ausführt.
Mehr Geld für Hilfsangebote
Das Zivilrecht ist ein alternativer Weg zum Strafrecht, um sich gegen bildbasierter Gewalt zu wehren. Auch hier gibt es einen Flickenteppich. Betroffene bildbasierter Gewalt müssen Gesetze heranziehen, die nicht optimal passen. In Frage kommen etwa Gesetze zu Urheberrecht (KUG) und Datenschutz (DSGVO). Beim Zivilrecht fordert der djb Verbesserungen im Detail. Demnach sollen Betroffene für ein Verfahren nicht länger ihre private Wohnadresse offenlegen müssen. Ansonsten könnten die mutmaßlichen Täter*innen herausfinden, wo ihre Opfer wohnen.
Warum vieles vom Wunschzettel noch nicht Realität ist, darüber kann Anja Schmidt nur spekulieren. „Ich vermute, dass das Bewusstsein für die Existenz dieses Phänomens, für die Art der Rechtsverletzung und die Folgen für die Betroffenen erst noch geschärft werden muss – bei einzelnen und im öffentlich-politischen Raum“, schreibt sie auf Anfrage von netzpolitik.org.
Aktuell arbeitet auch das Justizministerium unter Marco Buschmann (FDP) an einem Gesetz gegen digitale Gewalt. Digitale Gewalt ist ein Sammelbegriff für viele Phänomene, bildbasierte Gewalt ist nur eines davon. Im April das hat Ministerium hierzu Eckpunkte vorgelegt. Von einer umfassenden Reform ist das Gesetz allerdings weit entfernt. Um im Bild zu bleiben, würde es den Flickenteppich allenfalls erweitern. Im Eckpunktepapier steht: Richter sollen Plattformen dazu auffordern können, gewaltsame Accounts zu sperren. Betroffene digitaler Gewalt sollen es vor Gericht einfacher haben, an die IP-Adressen mutmaßlicher Täter*innen zu kommen.
Dutzende Reaktionen von Fachleuten und Zivilgesellschaft prangern Nachholbedarf an, schon bei der Definition von digitaler Gewalt. Was bei den Eckpunkten außerdem zu kurz kommt, haben wir hier aufgeschrieben. Besonders dringend benötigt werde etwa Geld für Hilfsangebote und Beratungsstellen. Auch der djb fordert in seiner aktuellen Analyse mit Blick auf bildbasierte Gewalt Geld für „flächendeckende“ Beratung.
Angebote für Hilfe vor Ort und eine Telefon-Hotline gibt es auf der Website des bff (Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe).
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