Trotz drei Wahlgängen hat der Magdeburger Landtag schon wieder keinen Landesdatenschutzbeauftragten gewählt. Das Amt ist seit Jahren unbesetzt, offenbar ließen erneut CDU-Abgeordnete den Kandidaten der eigenen Koalition durchfallen. Sollte das Bündnis daran zerbrechen, dürfte sich vor allem die AfD freuen.
Rutscht die Landesregierung in Sachsen-Anhalt ausgerechnet wegen der gescheiterten Wahl eines Datenschutzbeauftragten in eine Regierungskrise? Es sieht danach aus: Der Landtag des Bundeslandes hat heute wieder keinen neuen Landesbeauftragten für Datenschutz gewählt. Als einziger Kandidat stand der Jurist Daniel Neugebauer aus Halle an der Saale zur Wahl. In drei Wahlgängen erhielt er nicht die erforderliche Mehrheit.
Der Wahlkrimi zog sich über mehrere Stunden, immer wieder wurde die Sitzung für Beratungen unterbrochen. Am Ende hat es für Neugebauer, der als Rechtsanwalt in der Kanzlei des FDP-Fraktionsvorsitzenden Andreas Silbersack arbeitet, nicht gereicht. Der promovierte Jurist war von den Regierungsparteien CDU, SPD und FDP zur Wahl vorgeschlagen worden.
CDU-Politiker fordert Neuwahlen des Landtags
Um gewählt zu werden hätte Neugebauer die Stimmen von der Mehrheit der 97 Abgeordneten gebraucht. Mit 52 anwesenden Abgeordneten hätte die Regierungskoalition den Kandidaten eigentlich komfortabel über diese Schwelle heben können. Doch statt der benötigten 49 Stimmen erhielt Neugebauer erst 44, dann 47 und im dritten Wahlgang 48 Stimmen.
Damit ist nicht nur der dritte Versuch innerhalb von fast sechs Jahren gescheitert, einen neuen Landesdatenschutzbeauftragten für Sachsen-Anhalt zu wählen. Das Wahldebakel hat das Zeug zu einer echten Regierungskrise in dem ostdeutschen Bundesland.
Die Wahl erfolgte geheim, doch im Landtag geht das Gerücht um, dass eine Gruppe von CDU-Abgeordneten den Kandidaten durchfallen ließ, der von ihrer eigenen Fraktion ausgesucht worden war. Schon 2018 und 2022 scheiterte die Wahl eines Datenschutzbeauftragten mutmaßlich daran, dass einige CDU-Abgeordnete aus dem Koalitionskompromiss ausscherten.
„Die Koalition hat keine Mehrheit, weil feige Heckenschützen in der Wahlkabine den Kandidaten beschädigen ohne es vorher zu signalisieren“, kommentierte der langgediente CDU-Parlamentarier Wolfang Gürth die Hängepartie auf Twitter. „Neuwahlen wären konsequent“, so der ehemalige Landtagspräsident, wobei er sich nicht auf Neuwahl eines Datenschutzbeauftragen bezogen haben dürfte, sondern auf die des Landtags.
Die Vorsitzende der mitregierenden SPD, Katja Pähle, spricht von „fehlender Geschlossenheit“, die der ganzen Koalition schade. Die oppositionelle Linksfraktion spricht von einer „Regierungskrise“. Nützen dürfte letztere vor allem der AfD, die in Umfragen im Bundesland mit der CDU gleichauf ist.
Mehr als fünf Jahre Hängepartie
Mit dem heutigen Wahldebakel schreibt Sachsen-Anhalt ein weiteres Kapitel einer absurden Hängepartie von gut fünfeinhalb Jahren. Es war Ende 2017, als der damalige Landesdatenschutzbeauftragte Harald von Bose in den Ruhestand gehen wollte. Trotz mehrerer Anläufe war der Magdeburger Landtag 2018 nicht in der Lage, den Posten neu zu besetzen. CDU und SPD hatten dem damaligen Grünen Koalitionspartner die Wahl eines Grünen Kandidaten zugesichert, doch Teile der CDU-Fraktion spielten nicht mit. Zwei Mal fiel der anerkannte Datenschützer Nils Leopold durch, am Ende musste Harald von Bose merklich genervt verlängern.
Ende 2020 schmiss er endgültig hin, sein Stellvertreter Albert Cohaus übernahm die Leitung der Behörde kommissarisch. Eigentlich hatten sich CDU und SPD 2022 mit dem neuen Koalitionspartner FDP darauf verständigt, diesen dann einfach formell in das Amt zu wählen. Von fünf Bewerbern erhielt Cohaus dann zwar die meisten Stimmen, aber in zwei Anläufen wieder nicht genügend. Wieder wurde gemunkelt, dass es an der mangelnden Disziplin der CDU-Fraktion gelegen habe.
In der Folge der Hängepartie änderten die Regierungsparteien schließlich das Besetzungsverfahren. Zunächst wurde die erforderliche Mehrheit für eine Wahl von zwei Dritteln auf eine einfache Mehrheit herabgesetzt. Als auch das nicht half, stellten CDU, SPD und FDP das Wahlverfahren kürzlich ganz um. Statt einem offenen Bewerbungsprozess mit öffentlicher Ausschreibung der Stelle kann nun nur noch gewählt werden, wer von einer Landtagsfraktion vorgeschlagen wird. Zudem wurde die Begrenzung der Amtszeit auf zehn Jahre abgeschafft.
Oberverwaltungsgericht hält Verfahren für transparent
An diesen Änderungen gab es heftige Kritik, nicht nur aus der Opposition, sondern auch von Sachverständigen bei einer Anhörung im Landtag. Sie sehen die Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten in Gefahr und die Vorgaben an der EU an ein „transparentes Verfahren“ bei der Besetzung verletzt.
Der Jurist Malte Engeler* mischte aus diesem Grund auf den letzten Metern das Wahlverfahren auf. Als klar war, dass die Koalition mit Neugebauer nur einen Kandidaten vorschlagen würde, reichte er am vergangenen Freitag eine Initiativbewerbung für das Amt bei allen Landtagsfraktionen ein.
Unterstützt von der Transparenzorganisation FragDenStaat wollte Engeler erreichen, dass das Verfahren gerichtlich überprüft wird. Ihrer Ansicht nach bräuchte es für eine transparente Besetzung mindestens eine öffentliche Ausschreibung der Stelle, eine öffentliche Anhörung der Bewerber:innen, Transparenz bezüglich der Qualifikationen und die Dokumentation des Auswahlverfahrens.
Wäre es nach Engeler und FragDenStaat gegangen, hätte der Europäische Gerichtshof darüber entschieden, wie die Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung auszulegen sind. Engeler wendete sich deshalb am Montag mit einem Eilantrag an das Verwaltungsgericht Magdeburg. Das Gericht hätte die für Mittwoch angesetzte Wahl aussetzen können, lehnte Engelers Antrag jedoch am Dienstag ab. Der Jurist legte daraufhin Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht ein. Als auch dieses Engelers Antrag am heutigen Mittwoch ablehnte, schien der Weg für Neugebauers Wahl frei.
Regierungskrise könnte AfD nützen
„Damit stehen einer Durchführung der Wahl keine rechtlichen Hindernisse mehr entgegen“, leitete Landtagspräsident Gunnar Schellenberger den Tagesordnungspunkt am frühen Mittwochnachmittag ein. Ob er da schon ahnte, dass die Wahl erneut nicht an rechtlichen, sondern politischen Hindernissen scheitern würde?
Stunden später jedenfalls stehen CDU, SPD und FDP vor einem Scherbenhaufen. Insbesondere die CDU-Fraktion muss sich fragen lassen, warum Abgeordnete offenbar wiederholt Koalitionskompromisse kippen. Ministerpräsident Reiner Haseloff ringt seit langem mit einem Teil der Fraktion, der lieber mit der AfD als mit den Mitte-Parteien koalieren würde. Auch er selbst brauchte bei seiner Wahl zum Ministerpräsidenten trotz komfortabler Mehrheit zwei Anläufe.
Die Verkündung der Wahlergebnisse soll Haseloff, selbst Mitglied des Landtages, heute mit versteinerter Miene zur Kenntnis genommen haben. Sollte es tatsächlich zu einem Bruch der Koalition und zu Neuwahlen kommen, kann sich die AfD laut Umfragen sogar Hoffnungen machen, stärkste Fraktion zu werden. Entsprechend reagierte der AfD-Fraktionsvorsitzende bei Twitter auf Detlef Gurths Ruf nach Neuwahlen mit einem Daumen nach oben: „Wir unterstützen diesen Vorschlag.“
Grundsatzfrage bleibt ungeklärt
Auch für den Datenschutz in Sachsen-Anhalt ist die erneute Nichtwahl ein absolutes Debakel. Seit bald sechs Jahren sind CDU und SPD mit wechselnden Koalitionspartnern nicht in der Lage, eine Mehrheit für dieses Amt zu organisieren. Mit Daniel Neugebauer verlässt nun ein dritter Kandidat beschädigt das Wahlverfahren. Es dürfte schwer werden, in Zukunft überhaupt noch qualifizierte Kandidat:innen für das Amt zu finden.
Dabei sind die Aufgaben riesig. Erst kürzlich erschütterte ein Skandal um unberechtigte Datenabrufe durch eine Klinikmitarbeiterin das Bundesland. Eine Anfrage der Linksfraktion zeigte daraufhin, dass kaum kontrolliert wird, wie tausende Staatsbedienstete mit weitreichenden Datenzugriffsmöglichkeiten umgehen. Die Datenschutzbehörde gilt zudem seit Jahren als unterfinanziert. Jahrelang riefen von Bose und Cohaus nach mehr Personal, ohne nennenswerten Erfolg.
Unsicherheit bleibt auch in der Grundsatzfrage, wie ein transparentes Besetzungsverfahren für Datenschutzbeauftragte auszusehen hat. Malte Engeler und FragDenStaat jedenfalls sehen ihre Zweifel am Besetzungsverfahren in Sachsen-Anhalt und vielen anderen Bundesländern alles andere als ausgeräumt. „Die Ablehnung meines Antrags hat das OVG sehr sportlich damit begründet, dass die Europarechtskonformität derart auf der Hand liege, dass sich eine Vorlage an den EuGH erübrige“, sagt Engeler in einer Pressemitteilung.
Diese Argumentation sei nicht nachvollziehbar, so Engeler. „Die juristische Literatur vertritt vielfach, dass ein Ernennungsverfahren, bei dem einzig am Ende einer nicht-öffentlichen Vorauswahl eine Person gewählt wird, mit Artikel 53 der Datenschutz-Grundverordnung unvereinbar ist. Es geht gerade darum, die Unabhängigkeit der gewählten Person dadurch zu sichern, vorherige Einflussnahmen und Absprachen zu verhindern.“
Die Frage der Unabhängigkeit der Datenschutzbehörden bleibt also aktuell. Um so mehr in einem Bundesland, in dem die AfD zur stärksten Kraft werden könnte.
Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
0 Commentaires