Der große Technologie-Hype ist vorbei, doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hält an seinem Blockchain-Projekt zu Asylverfahren fest. Das millionenschwere Projekt soll nun in mehreren Bundesländern ausgerollt werden.
Im Jahr 2018 war der Blockchain-Hype in vollem Gange. Damals startete auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Projekt, um Informationen aus Asylverfahren auf einer Blockchain zu organisieren. Es heißt FLORA, die „Föderale Blockchain Infrastruktur Asyl“.
Mittlerweile scheint der Blockchain-Hype weitgehend abgeflaut. Auch um die Asyl-Blockchain wurde es – zumindest öffentlich – still. Doch FLORA treibt offenbar Blüten. Die Antwort des BAMF auf eine Presseanfrage von netzpolitik.org zeigt: Mittlerweile hat das Projekt insgesamt 18 Millionen Euro gekostet. Und bald soll das System nun in mehreren Bundesländern laufen. Dabei begann es zunächst schleppend.
Testbetrieb ab 2021
Nach einer Machbarkeitsstudie hatte das BAMF ab August 2018 an einem Pilotprojekt im AnkER-Zentrum Dresden gearbeitet. Diese Stellen für „Ankunft, Entscheidung und Rückführung“ bündeln mehrere Behörden und sollen Asylverfahren beschleunigen. Laut einer BAMF-Präsentation aus dem November 2018 war bereits für 2019 eine Ausweitung auf weitere Behörden geplant.
Bis es mit ersten Tests für die Blockchain losging, dauerte es noch bis Mai 2020. Im April 2021 ging das System dann in einen Pilotbetrieb mit echten Daten und wurde evaluiert.
Dabei ging es zunächst um die Anfangsphase des Asylprozesses, in der Schutzsuchende in Deutschland ankommen, registriert werden, einen Asylantrag stellen und ihre Anhörung durchlaufen. Die Idee: Die einzelnen Prozessschritte werden in der Blockchain hinterlegt. Beteiligte Einrichtungen wie das BAMF und Ausländerbehörden können abrufen, was der aktuelle Stand des Prozesses ist, ohne dass sie Faxe oder E-Mails verschicken müssen.
Das BAMF wüsste dadurch, ob jemand sich bei einer Ausländerbehörde registriert hat. Und eine Ausländerbehörde könnte abrufen, ob es bereits einen Asylantrag gibt. „Irgendwo ist ein Fax liegen geblieben und dann sitzt jemand fälschlicherweise im Flugzeug“ – aus Versehen abgeschoben. Das kenne man aus der Presse, sagte eine BAMF-Mitarbeiterin im Jahr 2018. Mit der Blockchain soll das nicht mehr passieren.
Blockchain in Brandenburg und Sachsen
Der Testbetrieb in Dresden hat das BAMF offenbar überzeugt. In zwei Berichten beschreibt die Behörde gemeinsam mit Forschenden des Fraunhofer-Instituts für Angewandte IT und der Universität Luxemburg ihre Erfahrungen.
Besonders positiv wirke sich FLORA auf die Qualität von Daten und Prozessen aus, „da Abläufe deutlich vereinfacht und mit mehr systemischer Führung um gesetzt werden“. Informationen seien besser und schneller verfügbar. Zusätzlich schreibt uns ein Sprecher der Behörde, FLORA könne „in zugangsstarken Phasen eine deutliche Prozessoptimierung und Reduzierung möglicher Fehlerquellen, die ihrerseits zu Zeit- und Effizienzverlust führen können, bewirken“. Außerdem werden laut Whitepaper „nun auch Datenschutzbestimmungen durch vordefinierte Regeln zur Löschung von Informationen konsequenter eingehalten“.
Datenschutz war zu Beginn des Projekts eines der größten Bedenken. In einem Gutachten zum Vorhaben hieß es, es stelle eine „ernsthafte Herausforderung“ dar, personenbezogene Daten über die Blockchain zwischen den öffentlichen Stellen zu übermitteln. Der Datenaustausch berge ein „beachtliches Risiko für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen“.
Denn Blockchains zeichnen sich in der Regel gerade dadurch aus, dass Inhalte nicht gelöscht werden können. Das Konzept des BAMF sieht daher unter anderem vor, für jeden Anwendungsbereich eigene „Blockchain-IDs“ zu generieren. Das soll verhindern, „dass auch nach der erfolgten Anonymisierung der Daten in der Blockchain anhand der Blockchain-ID komplette Verfahren über mehrere Anwendungsbereiche zusammengesucht werden“ können.
Das BAMF hat also offenbar einen hohen Aufwand betrieben, um ein Konstrukt zu finden, mit dem sich die Eigenheiten einer Blockchain so umgehen lassen, dass sie zu geltenden Datenschutzbestimmungen passen. Wie genau die Datenschutzfolgeabschätzung des BAMF aussieht, können wir leider nicht beurteilen. Eine Herausgabe des Dokuments lehnte das BAMF ab. Auch der komplette Abschlussbericht der Evaluation unterliege „datenschutzrechtlichen Beschränkungen und steht daher nur zur BAMF-internen Verwendung zur Verfügung“, schreibt ein Sprecher der Behörde.
Ausweitung in mehreren Bundesländern geplant
Bestehende Systeme hingegen löst FLORA nicht ab, sondern „verbindet diese im Sinne einer ‚technologischen Klammer'“. Das heißt: Das Dokumentensystem des BAMF für Asylverfahren, MARiS, braucht es weiterhin. Ebenso die eigenen Systeme der Ausländerbehörden und anderer Einrichtungen.
Im August 2022 ging das System schließlich in den Produktivbetrieb – nicht nur in Dresden. Laut einer Antwort des BAMF auf eine Presseanfrage von netzpolitik.org wird FLORA „aktuell in den BAMF-Außenstellen (und den Ausländerbehörden) der Bundesländer Sachsen und Brandenburg produktiv genutzt“.
Eine Ausweitung ist bereits geplant: „Die Anbindung von Rheinland-Pfalz befindet sich in unmittelbarer Vorbereitung. Konkrete Planungen für eine künftige Anbindung an FLORA werden derzeit mit den Bundesländern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen abgestimmt“, schreibt ein Sprecher der Behörde. Das könne „vergleichsweise zügig“ passieren, es müssten vor allem „Anpassungen an landesspezifische Varianten des Asylprozesses“ erfolgen.
Seit April 2021 kam die Asyl-Blockchain damit laut BAMF in circa 16.000 Verfahren zum Einsatz. „Zum heutigen Zeitpunkt werden in FLORA acht Prozent der deutschlandweiten Asylverfahren bearbeitet“, so der Sprecher. Wenn etwa Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg dazukommen, erhöhe sich die Quote auf 26 Prozent.
Doch nicht nur räumlich soll sich die Blockchain verbreiten. Sie soll künftig auch mehr Prozesse als nur den Beginn des Asylprozesses abbilden können. „Unterbringung und Zuweisung in Landkreise und Kommunen, Entscheidung und Vollzug, Rückkehrberatung sowie den Dublin-Prozess“ nennt das BAMF als Planung.
18 Millionen Euro seit 2018
Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage aus dem Jahr 2019 wurden bis dahin 1,15 Millionen Euro für das Projekt ausgegeben und weitere 3,38 Millionen Euro veranschlagt. Unsere Anfrage zeigt, dass sich diese Beträge vervielfacht haben: 18.023.997 Euro sind bisher für FLORA angefallen, in den Jahren 2020 bis 2022 waren es allein je mehr als vier Millionen Euro. Um den Betrieb aufrechtzuerhalten, rechnet das Bundesamt mit vergleichsweise geringen Beträgen von 100.000 Euro pro Jahr.
Das BAMF ist stolz auf FLORA: Die Projektlandschaft „erhebt weiterhin den Anspruch eines Leuchtturmvorhabens, an welchem sich andere Behörden auch zukünftig orientieren und von dem sie sich inspirieren lassen können“, steht im Abschluss-Bericht. Es will den Ausbau „selbst-souveräner digitaler Identitäten“ vorantreiben und mit Blockchain-Technologie „grenz- und behördenübergreifende Prozesse im Dublin-Verfahren“ koordinieren.
Diesen Blockchain-Enthusiasmus teilen anscheinend immer weniger Bundeseinrichtungen. Gab es 2019 noch eine Blockchain-Strategie der Bundesregierung, findet sich das Schlagwort heute nur noch selten in politischen Vorhaben. Blamable Projekte wie der digitale Führerschein und Zeugnisse haben die Begeisterung weiter reduziert. Das BAMF ist davon offensichtlich unbeeindruckt.
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