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Chatkontrolle: Was du jetzt dagegen tun kannst

Die Kritik an der sogenannten Chatkontrolle reißt nicht ab, doch die Befürworter:innen bleiben stur. Einige Menschen lassen sich davon nicht entmutigen. Wir wollten von ihnen wissen: Wie können sich Interessierte politisch engagieren, um das Überwachungsgesetz zu stoppen?

Menschen mit Protestschildern gegen Chatkontrolle
Protest kann viele Gesichter haben. CC-BY 4.0 cven

Eigentlich will die EU-Kommission mit einem Gesetzesvorschlag aus dem letzten Jahr sexualisierte Gewalt gegen Kinder im Netz bekämpfen. Doch auf der einen Seite zweifeln Expert:innen die Wirksamkeit des Vorschlags an, zum anderen schätzen sie die Pläne als grundrechtswidrig ein. Ein Teil des Vorschlags ist die sogenannte Chatkontrolle: Anbieter von Kommunikations- oder Hostingdiensten sollen auf Anordnung auch die privaten Daten ihrer Nutzenden nach Hinweisen auf mögliches Missbrauchsmaterial oder Grooming scannen. So nennt man es, wenn Erwachsene mit sexuellem Interesse Kontakt an Minderjährige anbahnen.

Seit mehr als einem Jahr bricht die Kritik an den Plänen der EU-Kommission nicht ab, doch die Befürworter:innen bleiben stur. Das ist für Gegner:innen frustrierend. Lässt sich der Kommissionsvorschlag überhaupt noch verändern oder sogar verhindern – und was können Menschen tun, die sich irgendwie engagieren wollen? Wir haben Aktivist:innen gefragt und konkrete Handlungswege aufgeschrieben.

Herausfinden, wo gerade verhandelt wird

Tom Jennissen engagiert sich beim Bündnis „Chatkontrolle stoppen“ und dem Verein Digitale Gesellschaft – und er ist optimistisch. „Wir haben auf jeden Fall noch die Möglichkeit, die Pläne zur Chatkontrolle zu verhindern“, schreibt er auf Anfrage von netzpolitik.org. „Dazu müssen wir jetzt den Druck erhöhen, denn die Zeit bis Ende September wird entscheidend sein.“

Bis Ende September werden die wichtigen Gremien im EU-Parlament ihre Positionen zum Kommissionsentwurf verhandeln. Dort beschäftigt sich federführend der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) mit dem Gesetzentwurf. Außerdem ist der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) relevant. Er hat eine beratende Rolle und will noch vor der parlamentarischen Sommerpause im August seine Position beschließen. LIBE plant, Ende September über die Änderungsanträge aus dem Ausschuss abzustimmen.

Auch Elina Eickstädt engagiert sich bei „Chatkontrolle stoppen“ und ist Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC). Sie empfiehlt: „Vor der Abstimmung wäre es also sehr gut, nochmal dediziert IMCO-Mitglieder anzuschreiben, besonders die von der Fraktion Renew.“ Renew Europe ist eine Fraktion im EU-Parlament, in der unter anderem Abgeordnete der FDP vertreten sind. Während sich deutsche Renew-Abgeordnete wie Moritz Körner gegen die Chatkontrolle einsetzen, sehe das bei den Kolleg:innen aus anderen Mitgliedstaaten anders aus.

Europa-Abgeordnete identifizieren

Ein erster Entwurf für eine IMCO-Stellungnahme des maltesischen Sozialdemokraten Alex Agius Saliba aus dem Februar adressierte bereits viele kritische Punkte zur Chatkontrolle. Er wandte sich gegen die Schwächung verschlüsselter Kommunikation, gegen Alterskontrollen und gegen die Erkennung von Grooming.

Eickstädt schlägt vor: „Man kann deutlich machen, dass einem Bericht nicht zugestimmt werden darf, der nicht den Schutz von verschlüsselter Kommunikation gewährleistet und Aufdeckungsanordnungen in ihrer aktuellen Form unterstützt. Diese müssen immer gezielt und spezifisch sein.“ Sie gibt zu Bedenken: „Wenn der gute Report von Saliba in der Abstimmung scheitert, geht es wieder zum Kommissionstext zurück.“ Es könnte also helfen, die Abgeordneten auf diese oder andere kritische Punkte hinzuweisen.

Im LIBE-Ausschuss sehe es ähnlich aus, auch hier gehören viele Renew-Abgeordneten zu den Wackelkandidat:innen. Außerdem enttäuschte der erste Berichtsentwurf des konservativen Berichterstatters Javier Zarzalejos die Kritiker:innen. Da bis zur geplanten LIBE-Abstimmung am 21. September noch etwas Zeit ist, schlägt Eickstädt vor, sich zunächst auf die Berichterstatter:innen zu konzentrieren.

Für jeden Ausschuss gibt es eine:n Berichterstatter:in, diese Person leitet den Prozess bis zu einer finalen Ausschussposition. Von den anderen Fraktionen gibt es sogenannte Schattenberichterstatter:innen, die jeweils für ihre Fraktionen versuchen, Kompromisse auszuhandeln.

Europa-Abgeordnete kontaktieren

Alle Mitglieder der jeweiligen Ausschüsse sind auf den jeweiligen Ausschussseiten mit Angabe ihrer Fraktion gelistet. Ihre E-Mail-Adressen, Telefon- und Faxnummern erscheinen bei einem Klick auf ihr Foto in der Übersichtsseite.

Einen guten Überblick bietet auch die Seite Parltrack. Hier lassen sich auch leicht die Berichterstatter:innen und Schattenberichterstatter:innen der einzelnen Fraktionen herausfinden.

Falls man Abgeordnete per Telefon kontaktieren will, wird man meist bei ihren Mitarbeitenden landen. Sie sind aber auch gute Gesprächspartner:innen, weil sie die Positionen der Abgeordneten mit vorbereiten. Es ist gut, sich vorher ein paar Punkte zu notieren, die einem besonders wichtig sind. Ein Kontakt per E-Mail ist natürlich auch möglich. Anregungen für eine solche E-Mail gibt das Team von „Chatkontrolle stoppen!“.

Bundestagsabgeordnete ansprechen

Neben der EU spielt auch Deutschland eine wichtige Rolle. „Die deutsche Politik darf sich nicht wegducken“, schreibt Jennissen. „Die Bundesregierung hat sich immer noch nicht durchringen können, ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag als Position für die fast schon beendeten Verhandlungen im Rat festzulegen – das Scannen privater Kommunikation abzulehnen.“ Fast ein Jahr hatte die Bundesregierung über ihre Position zur Chatkontrolle gestritten. Nun lehnt sie zwar das Scannen verschlüsselter Nachrichten ab, bei unverschlüsselten Daten jedoch nicht.

Jennissen kritisiert, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) „weit davon entfernt“ sei, „die Chatkontrolle aktiv abzulehnen oder auch nur die Minimalposition der Bundesregierung zur Ablehnung von Client-Side-Scanning offensiv zu vertreten.“

Dass Faeser selbst zu einer solchen Ablehnung zu bewegen ist, bezweifelt Jennissen. Doch der Bundestag könne noch etwas tun: „Durch eine Erklärung gemäß Artikel 23 Grundgesetz kann er die Bundesregierung auffordern, die Chatkontrolle abzulehnen und diese Position auch aktiv in Brüssel zu vertreten.“

Schon im Dezember hatten FDP und Grüne im Bundestag einen Entwurf für eine solche Stellungnahme erstellt, doch besonders die Innenpolitiker:innen der SPD blockieren das Vorhaben. Die Position scheint sehr festgefahren. Dennoch gehört der Austausch mit Wähler:innen zum Alltag von Bundestagsabgeordneten. Eine Übersicht von Innenpolitiker:innen der SPD-Bundestagsfraktion gibt es auf der Seite zur Arbeitgruppe Inneres.

Mit ausreichend Druck aus dem Bundestag könnte Deutschland seine Position im Rat ändern. „Damit würde eine Sperrminorität im Rat in greifbare Nähe rücken“, schreibt Jennissen. Sperrminorität heißt: Eine Minderheit kann einen Vorschlag im Rat blockieren. Sie lässt sich etwa mit vier Staaten erreichen, die gemeinsam 35 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Mitgliedsländer, die Chatkontrolle kritisch sehen, sind Österreich und die Niederlande. Würden diese gemeinsam mit Deutschland gegen den Entwurf stimmen, bräuchte es nur noch ein weiteres Land.

Protest auf die Straße bringen

Neben der Möglichkeit, Abgeordnete zum Handeln aufzufordern, lässt sich auch noch anders für Aufmerksamkeit sorgen. „Solange es keine klare, ablehnende Position der Bundesregierung gibt, die sich auch in den Verhandlungen niederschlägt, müssen wir den Protest weiter auf die Straße tragen“, schreibt Jennissen. „Öffentliche Proteste und Demos – gerade auch außerhalb Berlins – können den Ampelparteien deutlich machen, dass es keine gute Idee ist, mit dem offenen Bruch eines Versprechens in die Europawahl im nächsten Jahr zu starten.“

Interessierte können dich dabei bestehenden Protesten anschließen oder auch selbst etwas auf die Beine stellen. Beim Organisieren der ersten eigenen Demo oder Kundgebung können vor allem 12 Tipps helfen. „Ohne öffentlichen Druck ist weder von den Abgeordneten noch der Regierung etwas zu erwarten“, schreibt Jennissen.


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