Die Europäische Kommission will die Zusammenarbeit der Geheimdienste innerhalb der EU auf eine neue Stufe heben. In ihrer Ansprache zur „Lage der Union“ hatte die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im September vergangenen Jahres für die Einrichtung eines Gemeinsamen Zentrums für Situationsbewusstsein (Joint Situational Awareness Centre) geworben. Wie es sich von anderen Geheimdienststrukturen unterscheiden soll, blieb aber unklar.
Nun hat sich auch der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik dazu geäußert. In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage schreibt Josep Borell, die „Diskussionen“ über das gemeinsame Zentrum würden im Rahmen des Strategischen Kompasses fortgesetzt. Dabei handelt es sich um neue Leitlinien der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Sie sollen helfen, die militärischen Anstrengungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten stärker operativ auszurichten.
Keine EU-Kompetenz für Geheimdienste
Gemäß Artikel 47 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) übertragen die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeiten auch in den Bereichen Justiz und Inneres (JI) nach Brüssel. Ausschließlich die Kommission kann diesbezüglich legislative Initiativen und Maßnahmen initiieren, darüber entscheiden anschließend der Rat (also die Regierungen der Mitgliedstaaten) und das Parlament.
Ausdrücklich keine Kompetenz hat die EU für die Koordination von Geheimdiensten. Gemäß Artikel 4 Absatz 2 AEUV bleibt die „nationale Sicherheit“, für welche die Dienste zuständig sind, allein den Mitgliedstaaten vorbehalten. Stets wird deshalb in EU-Dokumenten im JI-Bereich die Trennung zwischen „strafverfolgungsrelevanten“ und „nachrichtendienstlichen“ Tätigkeiten betont.
Zwei Lagezentren in Brüssel
Die Regierungen haben sich jedoch darauf geeinigt, für die „Frühwarnung“ und ein „umfassendes Lagebewusstsein“ zwei geheimdienstliche Lagezentren in Brüssel einzurichten. Für den zivilen Bereich ist seit 2010 das INTCEN (Intelligence Analysis Centre) zuständig, das dem Auswärtigen Dienst zuarbeitet. Neben einem festen Stab arbeitet dort Personal aus den Mitgliedstaaten, die Bundesregierung ist mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesnachrichtendienst vertreten.
Mit dem EUMS INT Direktorat unterhält die EU eine dem INTCEN ähnliche militärische Struktur, die zum EU-Militärstab gehört. Sie dient der Vorausplanung außenpolitischer und militärischer Maßnahmen.
Beide Zentren bilden die Single Intelligence Analysis Capacity. Sie nutzen außer der Überwachung mithilfe des EU-Satellitenprogramms allerdings ausschließlich Informationen, die von Geheimdiensten der Mitgliedstaaten stammen. Soweit bekannt, handelt es sich dabei nicht um Rohdaten, also abgehörte Kommunikation oder Material aus Observationen, sondern um Analysen und Berichte.
Kapazitäten werden gestärkt
Mit einem Gemeinsamen Zentrum für Situationsbewusstsein dürfte sich die vorhandene Geheimdienst-Architektur auf EU-Ebene verändern. Denkbar ist, dass das zivile INTCEN und das militärische EUMS INT zu einem gemeinsamen Dienst mit verschiedenen Abteilungen zusammengefasst werden sollen.
Dass die Kapazitäten der beiden Einrichtungen gestärkt werden sollen, ist auch im Strategischen Kompass vorgesehen. Genannt werden etwa die Bereiche Satellitenüberwachung und Verarbeitung von Geodaten.
Vermutlich wird das neue Zentrum auch an der Neufassung der „Bedrohungsanalyse“ im Strategischen Kompass mitarbeiten. Mithilfe der nationalen Geheimdienste will die EU bis 2025 eine Bestandsaufnahme aller außenpolitischen Gefahrenquellen erstellen, zu deren Abwehr die Union und die Mitgliedstaaten anschließend entsprechende Fähigkeiten aufbauen sollen.
Sozialdemokrat will „Pilotprojekt“
Die Diskussion über die Aufgaben des geplanten Geheimdienstzentrums im Rahmen des Strategischen Kompasses deutet auch darauf hin, dass die (in einigen Ländern auch militärischen) Auslandsgeheimdienste der Mitgliedstaaten dort mehr Gewicht erhalten sollen.
Möglich ist aber auch, dass die EU-Mitgliedstaaten das neue Geheimdienstzentrum tatsächlich mit operativen Kompetenzen ausstatten werden. Ein solcher Umbau unter Zustimmung des EU-Parlaments ist etwa bei den JI-Agenturen Frontex und mittlerweile auch Europol seit einigen Jahren zu beobachten.
Auf diesem Ticket ist nun auch die Sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament hinsichtlich der Geheimdienste unterwegs. „Wir brauchen unsere eigenen Nachrichtendienste, mit unseren eigenen Nachrichtensystemen, wenn wir ein globaler Akteur sein wollen“, sagt der spanische Europaabgeordnete Nacho Sánchez Amor. Der Sozialdemokrat kündigt einen Vorschlag für ein Pilotprojekt an, mit dem die „Informationsbeschaffungskapazität“ des Auswärtigen Dienstes der EU erhöht werden soll.
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