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Öffentliches Geld – Öffentliches Gut!: Das Original-Grundgesetz von 1949 ist erstmals digital zugänglich

Um eine digitale Version des ursprünglichen Grundgesetzes zu erhalten, waren mehrere Informationsfreiheitsanfragen nötig. Doch jetzt ist es geschafft: Fast 74 Jahre nach seiner Entstehung ist das Originalgrundgesetz als Digitalisat verfügar. Gemeinfrei für alle!

Der Behälter, in dem das Grundgesetz eingelagert wurde
Tief unter der Erde lagert eine Kopie der Originalfassung des Grundgesetzes. CC-BY-SA 4.0 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe

Mehrere hundert Meter tief im Berg und luftdicht verschlossen in speziellen Edelstahlbehältern – so lagert seit 2016 eine Kopie der Originalfassung des Grundgesetzes. Der Barbarastollen in der Nähe des Schwarzwaldortes Oberried ist der zentrale Bergungsort der Bundesrepublik Deutschland. Auf insgesamt 32.000 Kilometern Mikrofilm werden dort „wichtige Dokumente mit besonderer Aussagekraft zur deutschen Geschichte und Kultur“ für die Nachwelt eingelagert, erklärt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.

Dass so viel Aufwand betrieben wird, um Dokumente von so herausragender historischer Bedeutung wie das Grundgesetz zu konservieren, ist aller Ehren wert. Umso unverständlicher hingegen, wie wenig bislang dafür getan wird, solche Zeugnisse unserer Geschichte für alle frei verfügbar zu machen. Abgesehen von einzelnen Fotografien war die Urfassung des Grundgesetzes bislang nicht digital zugänglich.

Schon 2019 forderte Heinrich Wefing von der Tageszeitung DIE ZEIT: „Raus aus dem Tresor!“ Denn das Original des Grundgesetzes, immerhin das „Fundament der deutschen Demokratie“, lagere im Archiv des Bundestages, so Wefing. Herausgeholt werde es nur zu besonderen Anlässen – und auch der Bundestag stelle allenfalls ein Faksimile aus, also eine originalgetreue Nachbildung.

Symbol der Demokratie

Digitalisat einer Seite des Grundgesetzes
Die Urschrift des Grundgesetzes erzählt auch einige interessante Geschichten. Auf Seite 63 etwa zeigt sich die Ablehnung Bayerns, ein paar Seiten weiter haben der damalige bayerische Ministerpräsident Hans Ehard und Landtagspräsident Michael Horlacher dann aber doch unterschrieben.

Das hat auch Benjamin Bremert und Lukas Mezger geärgert. Während Mezger sich seit Jahren ehrenamtlich bei Wikimedia Deutschland engagiert und Texte für die Wikipedia schreibt, ist Bremert Geschäftsführer von openJur, einer Datenbank zur Förderung der Erstellung und Verbreitung von freiem juristischen Wissen. Vollkommen unverständlich ist für ihn, dass die Verwaltung die Urfassung des Grundgesetzes nicht längst von sich aus digital bereitgestellt hat.

Lukas Mezger ergänzt: „Das Grundgesetz als so zentrales Dokument für unsere Gesellschaft sollte allgemein zugänglich sein – nicht nur in der heute gültigen Fassung, sondern auch in der ursprünglichen Form, wie sie 1949 vom parlamentarischen Rat und den Parlamenten der westdeutschen Länder angenommen wurde.“

Bremert hatte schon mehrere Jahre versucht, über openJur eine Veröffentlichung zu erwirken. Erfolgreich war schließlich ein Antrag auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG): „Zuerst war uns nicht klar, wo die Daten überhaupt liegen, daher mussten wir bei verschiedenen Ministerien und bei der Bundestagsverwaltung IFG-Anträge stellen. Der Antrag bei der Bundestagsverwaltung dauerte dann auch noch einigermaßen lange und man schrieb uns irgendwann, dass man nicht zuständig sei und die Daten nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist an das Parlamentsarchiv übergeben wurden.“

Aber Bremert ließ sich nicht abschütteln: „Erst als wir auf einen Bescheid bestanden und darauf hingewiesen haben, dass wir dagegen klagen würden, scheint die ganze Sache in der Bundestagsverwaltung noch einmal geprüft worden zu sein. Danach hat es dann noch einmal mehr als sechs Monate gedauert, bis uns das Digitalisat geschickt wurde.“

Am 23. Mai wird das Grundgesetz 74 Jahre alt

Jetzt, pünktlich zum 74. Geburtstag des Grundgesetzes am 23. Mai, ist das Original endlich digital verfügbar. Und zwar nicht nur einsehbar, sondern tatsächlich frei nutzbar – denn als amtliches Werk ist der Text des Grundgesetzes gemeinfrei. Das gelte auch für das Digitalisat der Urschrift, betont Mezger, der sich beruflich als Anwalt schwerpunktmäßig mit urheberrechtlichen Fragestellungen beschäftigt. Die buchkünstlerische Gestaltung des Drucks erreiche keine schöpferische Eigenart, die besonders schützenswert sei, und auch die digitale Reproduktion per Scan unterliege keinem urheberrechtlichen Schutz.

Das heißt: Die digitale Version kann gespeichert und vervielfältigt, bearbeitet, für künstlerische, wissenschaftliche oder pädagogische Zwecke genutzt, ja sogar verkauft werden. Den Weg in die Wikipedia und die freie Mediensammlung Wikimedia Commons hat sie bereits gefunden.

Aber selbst wenn es diesen gemeinfreien Status nicht hätte: Dokumente, die mit öffentlichen Geldern erstellt wurden, sollten grundsätzlich für alle zugänglich und von allen frei nutzbar sein. Dazu kommt der symbolische Wert: Gerade jetzt, da demokratische Werte in Deutschland und weltweit unter Beschuss geraten, sind Transparenz und gelebte Demokratie so stark gefordert wie selten zuvor.

Archive müssen Verantwortung übernehmen

Das Engagement von Menschen wie Lukas Mezger und Benjamin Bremert ist großartig und ausgesprochen wertvoll für unsere Gesellschaft. Und doch stellt sich die Frage: Warum ist ihr Einsatz an dieser Stelle überhaupt notwendig? Wieso kommen Institutionen wie das Archiv des Bundestages nicht von sich aus auf die Idee, solche Dokumente digital zur Verfügung zu stellen?

Es darf nicht bei der Veröffentlichung dieses einen Dokuments bleiben. Wir bei Wikimedia Deutschland wünschen uns, dass öffentliche Einrichtungen ihre Verantwortung erkennen, Archive durchforsten und Zeugnisse der Demokratie in die Öffentlichkeit tragen. Beispiele gibt es genug – in Deutschland, aber auch in Europa. Lukas Mezger denkt da etwa an die Urschrift der Römischen Verträge, die noch nicht digital vorliegt und auch bei Wikipedia und Wikimedia Commons fehlt.

Was mit öffentlichem Geld und im öffentlichen Interesse erstellt wurde, darf nicht unter Verschluss gehalten werden. Wir wünschen uns, dass symbolträchtige Dokumente der Geschichte zukünftig nicht nur mit viel Aufwand und Zeremonie in der Erde verbuddelt werden, sondern – im Gegenteil! – den Weg heraus aus den Archiven und rein ins Licht der Öffentlichkeit finden.


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