Egal ob auf Twitter, Mastodon oder TikTok: Wenn Mitarbeiter:innen öffentlich-rechtlicher Medien sich auf Social Media politisch zu Wort melden, sorgt das oft für Aufregung. Richtlinien sollen hier Orientierung bieten. Lorenz Tripp hat Guidelines verschiedener Sender verglichen und betont im Interview deren demokratiepolitische Dimension.
Die Serie „Neues aus dem Fernsehrat“ beleuchtet seit 2016 die digitale Transformation öffentlich-rechtlicher Medien. Hier entlang zu allen Beiträgen der Reihe.
Vor etwas mehr als einem Jahr sorgte der WDR für Aufsehen mit einer neuen „Social Media Dienstanweisung,“ die Meinungsäußerungen von Mitarbeiter:innen regeln und „eine klare Unterscheidung zwischen privaten und dienstlichen Accounts“ vorsah. In seiner Masterarbeit hat jetzt Lorenz Tripp, Studienassistent am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Uni Graz, die Social-Media-Regeln des WDR mit jenen der britischen BBC, des österreichischen ORF und der schweizer SRG verglichen. Ich habe mit ihm ein Interview über die Ergebnisse seiner Arbeit geführt, die im Volltext online zugänglich ist.
Sie haben sich in Ihrer Abschlussarbeit Social-Media-Guidelines von öffentlich-rechtlichen Medien aus Deutschland (WDR), Österreich (ORF), der Schweiz (SRG) sowie dem Vereinigten Königreich (BBC) angesehen. Was sind ihre zentralen Erkenntnisse aus dem Vergleich?
Lorenz Tripp: Die Frage, was öffentlich-rechtliche Journalist:innen in den sozialen Medien sagen dürfen und was nicht, beschäftigt alle vier der untersuchten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Äußerungen von öffentlich-rechtlichen Journalist:innen sorgen regelmäßig für öffentliche Debatten über deren Objektivität und Glaubwürdigkeit. Häufig wird dabei die Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks grundsätzlich in Frage gestellt. Social-Media-Richtlinien für Journalist:innen bedürfen einer umfassenden Interessensabwägung zwischen dem Recht der einzelnen Journalist:innen auf freie Meinungsäußerung einerseits und dem gesetzlich normierten Objektivitätsgebot, dem der öffentlich-rechtliche Rundfunk unterliegt, andererseits.
In diesem Spannungsverhältnis haben die von mir untersuchten Rundfunkanstalten sehr unterschiedliche Regelungen getroffen: Die Social-Media-Richtlinien der BBC greifen besonders intensiv in die Rechte der Journalist:innen ein und untersagen de facto jede öffentliche politische Äußerung. Der WDR dagegen verfügt über keine verbindlichen Regeln über den privaten Gebrauch von Social-Media und formuliert lediglich sehr allgemeine Empfehlungen. Der ORF und die SRG schlagen einen Mittelweg ein, indem sie nur bestimmte Äußerungen für unzulässig erklären beziehungsweise sachliche Begründungen für Meinungsäußerungen verlangen.
Viele Menschen betonen in ihren Profilbeschreibungen auf Twitter oder Mastodon, dass sie „privat hier“ seien. Hat so ein Hinweis irgendeine rechtliche Relevanz und sind in so einem Fall die Social-Media-Guidelines auch anwendbar?
Lorenz Tripp: Durch sogenannte Disclaimer wie „hier privat“ oder Ähnliches versuchen sich Journalist:innen in den sozialen Medien rechtlich abzusichern und sich von ihrem Arbeitgeber oder ihrer Arbeitgeberin zu distanzieren. Das Argument lautet: Als Privatperson darf ich, trotz meiner öffentlichen Stellung, immer noch sagen, was ich will. Das ist richtig, denn auch Journalist:innen haben ein Recht auf freie Meinungsäußerung. Unstrittig ist aber auch, dass die Meinungsfreiheit unter Gesetzesvorbehalt steht und ihr durch die Treuepflicht der Arbeitnehmer:in gegenüber dem Arbeitgeber beziehungsweise der Arbeitgeberin Grenzen gesetzt werden. Durch den Hinweis, dass es sich um ein privates Profil handle, lassen sich Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag also nicht umgehen.
Die untersuchten Guidelines unterscheiden sich teilweise stark hinsichtlich ihres Umfangs, von unter zwei bis über sechs Seiten. Was würden Sie empfehlen, eher kurz und allgemeiner oder länger und detaillierter?
Lorenz Tripp: Bei kurzen und allgemeinen Richtlinien besteht die Gefahr, dass sie zu oberflächlich sind und dadurch den Journalist:innen keine Rechtsicherheit bieten. Beispielsweise lautet eine Bestimmung der ORF-Richtlinien: „In keinem Fall dürfen öffentliche Äußerungen geeignet sein, Zweifel an der Glaubwürdigkeit, Objektivität oder Unabhängigkeit des ORF oder seiner Mitarbeiter/innen aufkommen zu lassen“. Um die Anwendung der Richtlinien zu erleichtern, würde ich eher zu detaillierten, ausführlicheren Richtlinien raten und dazu, schwammige Begriffe zu vermeiden.
Was gilt eigentlich als „objektiv“?
Ganz allgemein, was sind Ihrer Meinung nach Kriterien für gute Social-Media-Guidelines, was sollte unbedingt, was keinesfalls drinnen stehen?
Lorenz Tripp: Gute Social-Media-Richtlinien werden den Journalist:innen nicht von außen aufoktroyiert, sondern unter deren Beteiligung ausgearbeitet. Unbedingt sollten Social-Media-Richtlinien ein klares Bekenntnis zur Meinungsfreiheit enthalten. Außerdem sollten gute Social-Media-Richtlinien konkrete Beispiele aus dem Alltag in den sozialen Medien enthalten, um so den Journalist:innen eine möglichst gute Orientierungshilfe bieten zu können. Keinesfalls sollten die Richtlinien ein generelles Social-Media-Verbot für öffentlich-rechtliche Journalist:innen vorsehen.
Neben den Richtlinien selbst haben Sie sich auch konkrete Fallbeispiele in den untersuchten Ländern analysiert. Was haben Sie aus diesen insgesamt über zehn Mini-Fallstudien gelernt? Welche Fälle waren besonders eindrücklich oder folgenreich?
Lorenz Tripp: Die Anwendung der Social-Media-Richtlinien kann in der Praxis sehr schwierig sein. Bei der rechtlichen Einordnung einzelner Social-Media-Tätigkeiten werden zwangsläufig eine Reihe von Fragen aufgeworfen: Tätigt ein:e Journalist:in selbst eine Aussage, wenn sie auf Twitter einen fremden Beitrag kommentarlos teilt? Bedeutet ein Like Zustimmung? Was gilt als „sachlich begründet“ oder „objektiv“? Es fällt aber auf, dass es in den untersuchten Ländern deutliche Kulturunterschiede im Umgang mit privaten Meinungsäußerungen von öffentlich-rechtlichen Journalist:innen gibt.
In Deutschland veröffentlichte Ingo Zamperoni etwa einen Tweet, in dem er zur aktiven Unterstützung einer politischen Protest-Bewegung aufrief (Anmerkung: der Tweet wurde später gelöscht). Das wäre bei der BBC nur schwer vorstellbar. Gleichzeitig stieß ich aber auch auf Regulierungsexzesse. Der britische Radiomoderator Jeremy Vine wurde etwa dafür gescholten, dass sein Twitter-Profil als Befürwortung eines politisch umstrittenen Verkehrsprojekts in einem Stadtteil von London verstanden werden könnte (!), lediglich weil er ein Fahrradfan ist und auf seinem Profil offen für das Fahrradfahren wirbt.
Sie haben sich ausschließlich Guidelines von öffentlich-rechtlichen Medienanbietern angesehen. Sind ihre Ergebnisse auch auf solche von privaten Medienanbietern übertragbar?
Lorenz Tripp: Nein, jedenfalls nicht vollumfänglich. Private Medienanbieter stehen in Tendenzträgerschaft, das heißt sie verfolgen eine bestimmte Blattlinie und können die politischen Ansichten der Journalist:innen beziehungsweise der Eigentümer:innen propagieren. Entscheidet etwa die Chefredaktion der Bild-Zeitung eine Kampagne gegen einen bestimmten Minister zu fahren, so ist das eine Entscheidung, die ausschließlich in den Redaktionsräumen der Bild-Zeitung getroffen wird. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss jedoch einen gesetzlichen Auftrag erfüllen und ist der Allgemeinheit gegenüber verantwortlich.
Objektive Berichterstattung ist dabei nicht nur ein Qualitätsmerkmal von vielen, sondern eine gesetzlich auferlegte Verpflichtung. Die Debatte über die Social-Media-Richtlinien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat daher stets eine gesamtgesellschaftliche und demokratiepolitische Dimension, die weit über das einfache Arbeitnehmer:in/Arbeitgerber:in-Verhältnis hinausgeht.
Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
0 Commentaires