Das Justizministerium will Nutzer*innen besser vor Übergriffen im Netz schützen. In einem Eckpunktepapier stecken neben den bereits länger diskutierten Account-Sperren auch mehr Pflichten für Online-Dienste – und eine Art Quick-Freeze-Verfahren. Auch Messenger sollen künftig mehr Daten herausgeben.
Das Justizministerium (BMJ) möchte die Rechte von Menschen stärken, die im Netz Anfeindungen und Gewalt erleben. Am heutigen Mittwoch hat die von Marco Buschmann (FDP) geführte Behörde hierzu Eckpunkte vorgelegt. Zusammen mit den Erläuterungen sind es zehn Seiten, die als Grundlage für ein neues Gesetz gegen digitale Gewalt dienen sollen.
Ein zentraler Aspekt des geplanten Gesetzes sind Accountsperren für Täter*innen. Das bedeutet: Wer andere Menschen im Netz bedroht und beleidigt, könnte den Social-Media-Account verlieren, zumindest zeitweise. Dafür bräuchte es eine richterliche Anordnung. Eine solche Maßnahme fordert bereits seit Längerem die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).
Das Papier sieht auch Regelungen vor, die sich als Quick-Freeze-Verfahren deuten lassen. Demnach sollen Online-Anbieter bei Verdachtsfällen vorsorglich personenbezogene Daten speichern – falls diese Daten später zur Verfolgung von Delikten benötigt werden. Anordnen könnten das dem Papier zufolge Landgerichte.
Im Vorjahr hatte das Justizministerium das Quick-Freeze-Verfahren als Alternative zur vielfach kritisierten Vorratsdatenspeicherung ins Spiel gebracht. Bei der Vorratsdatenspeicherung würden massenhaft Daten gespeichert. Beim Quick-Freeze-Verfahren sollen – bildlich gesprochen – nur im Verdachtsfall gezielt Daten aus dem täglichen Datenstrom schockgefroren werden, bevor sie gelöscht werden.
Provider sollen auf Anordnung IP-Adressen speichern
„Wer eine Verletzung seiner Rechte erfährt, muss sich selbst effektiv vor Gericht dagegen wehren können“, heißt es im BMJ-Papier. Das aktuelle Recht werde diesem Anspruch nicht gerecht. Das Ministerium will das ändern, indem es Online-Anbietern neue Pflichten verpasst. Sie sollen den Behörden mehr als bisher Auskunft über verdächtige Nutzer*innen erteilen.
Ablaufen könnte das zum Beispiel so: Betroffene von mutmaßlichen Straftaten wie Beleidigung, Verleumdung oder Bedrohung sollen von den jeweiligen Landgerichten Unterstützung bekommen. Betroffene müssten sich hierfür zuerst einen Anwalt nehmen und könnten sich dann mit dessen Hilfe direkt an das Landgericht wenden. Das zuständige Landgericht soll Online-Anbieter wie beispielsweise Facebook in die Pflicht nehmen dürfen: Die Anbieter müssten dann unter anderem offenlegen, welcher Account mit welcher E-Mail- und IP-Adresse hinter einer verdächtigen Äußerung steckt.
Das Gericht kann dann Internet-Anbietern wie etwa Vodafone, Telekom oder 1&1 mitteilen, dass sie die Daten zu einer verdächtigen IP-Adresse noch nicht löschen dürfen. Denn es sind die Internet-Anbieter, die anhand einer IP-Adresse einen Klarnamen ermitteln können – und zwar den Namen der Person, die den Internet-Anschluss mit der jeweiligen IP-Adresse bezahlt.
Vorgehen gegen Verfasser*innen schlechter Online-Rezensionen
Der Zugriff auf IP-Adressen ist ein oft genutztes Mittel, um mutmaßliche Straftaten im Netz aufzuklären. Aber es birgt Hürden: Internet-Anschlüsse werden häufig von mehreren Personen genutzt. Die Person, auf deren Namen ein Internet-Anschluss registriert ist, könnte zu Unrecht in Verdacht geraten.
Brisant ist außerdem: Das Ministerium möchte die Palette der Delikte erweitern, bei denen Anbieter Daten herausrücken müssen. Laut BMJ-Papier sollen künftig nicht nur Straftaten betroffen sein, sondern auch die „Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ oder des „Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“. Was das heißen kann, macht das Papier mit einem Beispiel anschaulich: Etwa, wenn ein Restaurant durch „wahrheitswidrige Nutzerkommentare“ geschädigt wird.
Ob Beschwerde über eine staubtrockene Pizza oder Todesdrohung: Laut BMJ-Papier könnt beides dazu führen, dass Online-Dienste einem Landgericht die IP-Adressen von Nutzer*innen offenlegen müssen. Und Internet-Provider müssten auf Anordnung auch die dazu gehörigen Klarnamen der Anschluss-Inhaber*innen vorlegen.
Ausweitung auf Messenger geplant
Neu ist außerdem: Die Pflicht zur Offenlegung solcher Daten würde auch Messenger-Dienste umfassen, heißt es im BMJ-Papier. Bisher seien von der Regelung nur sogenannte Telemedien umfasst, das ist der juristische Sammelbegriff für beispielsweise soziale Netzwerke wie Instagram oder Facebook. Unter Messenger dürften dann künftig auch Ende-zu-Ende-verschlüsselte Dienste wie Signal, WhatsApp oder Threema fallen.
Mit dieser Maßnahme geht das Justizministerium weiter über das hinaus, was zivilgesellschaftliche Organisationen wie die GFF gefordert haben. Messenger dienen in der Regel der Kommunikation zwischen Einzelpersonen oder in kleinen Gruppen und stellen keine öffentlichen Kommunikationsräume dar. Strafverfolgungsbehörden wünschen sich seit langem, dass die Betreiber*innen mehr Daten über Nutzer*innen herausgeben. Der Gesetzgeber war hier allerdings bislang zurückhaltend.
Beim Vorgehen gegen Straftaten im Netz gibt es immer eine Abwägung: Einerseits sollen Nutzer*innen das Netz anonym nutzen können und vor Überwachung geschützt sein. Andererseits sollen sich Betroffene von Gewalt wirksam wehren dürfen. Das geplante Gesetz würde die Rechtslage von der Anonymität wegrücken und die Nachverfolgbarkeit von Nutzer*innen erhöhen. Über Reaktionen und Einschätzungen aus der Zivilgesellschaft werden wir berichten.
Dem Justizministerium ist offenbar bewusst, dass sich daran Diskussionen entzünden werden. Manche Bedenken spricht das Ministerium bereits selbst in den Erläuterungen zum Eckpunktepapier an. Die Erläuterungen sind nach Fragen und Antworten gegliedert. Gleich die erste Frage handelt davon, warum der Auskunftsanspruch über Straftaten hinaus erweitert wird – also auch auf beispielsweise schädliche Restaurant-Kritiken. Ein inhaltliches Argument liefert das BMJ an dieser Stelle allerdings nicht. Es wiederholt schlicht, dass sich Betroffenen damit „gegen alle Verletzungen ihrer Rechte zur Wehr setzen können“.
Account-Sperren mit zeitlicher Begrenzung
Als weiteres Mittel gegen gewalttätige Accounts sieht das Papier Account-Sperren vor. Das heißt zum Beispiel, ein Anbieter wie Facebook könnte dazu verpflichtet werden, einer Person den Zugang zu ihrem Account zu verwehren, wenn sie andere bedroht und beleidigt hat.
Für eine solche Account-Sperre sieht das BMJ allerdings einige Einschränkungen vor, damit solche Sperren nicht vorschnell angeordnet werden. Demnach sollte die Inhaltemoderation der Plattform als „milderes Mittel“ Vorrang haben, bevor eine Sperre in Frage kommt. Ein weiteres Kriterium ist „die Gefahr der Wiederholung schwerwiegender Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ durch Inhalte des Accounts. Einfach ausgedrückt: Accounts sollen nicht schon wegen eines Ausrutschers gesperrt werden. Außerdem sollen Account-Sperren zeitlich begrenzt sein und betroffene Accounts sollten die Gelegenheit haben, sich vor einer Sperre zu den Vorwürfen zu äußern.
Account-Sperren bringen für Betroffene digitaler Gewalt Vor- und Nachteile. Der größte Vorteil ist, dass ein Gericht für eine Sperre nicht die Identität von mutmaßlichen Täter*innen feststellen muss. So etwas kann lange dauern und gar scheitern, während Betroffene weiterhin den Angriffen ausgesetzt sind. Ein Nachteil von Account-Sperren ist, dass Angriffe selten bloß von einzelnen Accounts ausgehen.
Eine Sperre kann zum Beispiel dann etwas bewirken, wenn ein betroffener Account viele Follower*innen hat, die ihrerseits Hetze weiterverbreiten. In diesem Fall könnte eine Sperre Wellen von Hass und Hetze zumindest bremsen. Anders ist die Lage, wenn Personen gezielt von einem oder mehreren Stalker*innen bedroht werden. Solche Täter*innen arbeiten oft mit mehreren Accounts parallel und lassen sich durch Account-Sperren kaum nachhaltig aufhalten.
Anlaufstellen im Inland
Für viele Betroffene digitaler Gewalt ist es oft eine große Hürde, sich überhaupt Hilfe zu holen oder gar juristische Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es bürokratische Hürden gibt und Verfahren Zeit und Geld kosten können. Vor diesem Hintergrund plant das BMJ Erleichterungen. So soll etwa die Zuständigkeit beim Landgericht gebündelt werden. Online-Anbieter sollen außerdem direkte Anlaufstellen in Deutschland anbieten – auch dann, wenn sie ihren Firmensitz eigentlich im Ausland haben.
Solche sogenannten Zustellungsbevollmächtigten gibt es bereits jetzt, das verlangt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Das bald in Kraft tretende Digitale-Dienste-Gesetz der EU (DSA) wird das NetzDG zwar ablösen, doch direkte Anlaufstellen sollen laut BMJ-Papier bleiben. Ob diese Vorgabe europarechtlich durchsetzbar ist, steht nach einem Urteil zum NetzDG vor wenigen Wochen jedoch in Frage. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hatte entschieden, dass der deutsche Gesetzgeber sozialen Medien mit Sitz im Ausland nicht einfach Vorgaben zur Gestaltung ihrer Dienste machen darf.
Bis zum 26. Mai können Interessierte nun die Eckpunkte des BMJ kommentieren. Auf dieser Basis möchte das Ministerium einen Referentenentwurf erstellen. Das ist der nächste Schritt auf dem Weg zu einem neuen Gesetz. Den Entwurf möchte das BJM in der zweiten Jahreshälfte vorlegen.
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